Frau Bergmann, Sie sind als Juristin klassisch in einer Kanzlei gestartet, aber dann kam alles anders. Was machen Sie heute?
Ich arbeite bei der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte/Wohnstadt, Hessens größtes Wohnungsunternehmen. Seit kurzem baue ich hier das „KC Zentraler Vermietungsservice“ auf, eine völlig neue Abteilung, die im Juni 2019 gegründet wurde. Ich hatte mich über eine interne Ausschreibung auf diese Position beworben. Meine Abteilung besteht aus zwei Bereichen, dem Vermietungsservice und den zentralen Angelegenheiten im Immobilienmanagement (ZAI). Für beide Bereiche forschen wir nach digitalen Lösungen, um Prozesse effizienter zu gestalten. Wir suchen Partner, die solche Lösungen anbieten, wie aktuell zum Beispiel Vermittlungsplattformen für den Vermietungsservice; hier ist meine juristische Ausbildung für Vertragsverhandlungen und -prüfungen von Vorteil. Im ZAI erfolgt die kaufmännische Koordination, wir setzen unter anderem Formschreiben auf, die rechtlich korrekt sein müssen, und die dann für die Mitarbeiter des Unternehmens in SAP eingespielt werden. Die Aufgaben sind vielfältig und gehen deutlich über das Juristische hinaus.
Zuvor waren Sie Syndikusrechtsanwältin im selben Unternehmen. Hatten Sie dazu keine Lust mehr oder wie kam es zu dem Wechsel?
Nein, nein, ich war überhaupt nicht unzufrieden (lacht). Ganz im Gegenteil: Mir hat die Arbeit richtig gut gefallen, sonst hätte ich auch nicht rund fünf Jahre als Syndikusrechtsanwältin im Unternehmen gearbeitet. Ich war überwiegend im Immobilienrecht tätig. In dieser Position bin ich viel zu Gericht gegangen, habe Verträge geprüft, Gutachten geschrieben, Formschreiben aufgesetzt usw. Das hat mir viel Spaß gemacht, da ich viele Freiheiten hatte und sehr eigenständig agieren konnte. Davor war ich in einer Kanzlei, wo ich mich – als Junganwältin selbstverständlich – viel mehr intern abstimmen musste. Inzwischen habe ich den Syndikus zurückgegeben und nur meine private Rechtsanwaltszulassung behalten.
Wie haben Sie die Zeit in der Kanzlei erlebt? Und was hat Sie zum Wechsel bewogen?
Ich war dreieinhalb Jahre in einer Wirtschaftskanzlei tätig. Da haben wir zum Teil sehr große Mandate betreut, der Servicegedanke war daher sehr groß geschrieben. Jeder Schritt musste anfangs natürlich abgestimmt werden und ich hatte daher auch nicht die Freiheiten, die ich danach als Syndikusrechtsanwältin hatte. Regelmäßige Arbeitszeiten waren zudem auch nicht üblich. Irgendwann dachte ich, es muss noch etwas Anderes geben. Aber, in aller Deutlichkeit: Bei allem was danach kam, habe ich immer von dieser Zeit in der Kanzlei profitiert und ich möchte diese Erfahrungen nicht missen. Sie haben mich zu der Juristin gemacht, die ich heute bin.
Wenn Sie einmal Kanzlei und Unternehmen vergleichen, was ist ähnlich, was ist anders?
Mir fallen vor allem Unterschiede ein. Als Syndikusrechtsanwältin konnte ich im Vergleich zu meiner Position als angestellte Rechtsanwältin in einer Kanzlei immer viel selbstständiger arbeiten und Entscheidungen treffen. Es gab auch keine Mandanten, mit denen ich mich abstimmen musste. Nur in seltenen Fällen habe ich mit meiner Abteilungsleitung Rücksprache gehalten. Dieses Vertrauen und diese Freiheit habe ich immer sehr genossen, ebenso – ein wesentlicher Unterschied zur Kanzlei – die geregelten Arbeitszeiten. Nur als Juristin, die auch in der freien Marktwirtschaft gearbeitet hat, nutzt man diese nicht wirklich. Und wenn die Arbeit auch noch Spaß macht, arbeite ich gerne länger und von überall aus. Aber allein der Gedanke, ich könnte auch mal nach sieben oder acht Stunden Arbeit das Büro verlassen, beruhigt ungemein. Dafür bin ich dankbar.
Das klingt ja so, als hätte die Kanzleiwelt Sie ein für alle Mal verloren, oder?
Ja, das ist wohl so. Das liegt zum Beispiel auch daran, dass mein derzeitiger Arbeitgeber sehr wertebasiert agiert. Das Unternehmen ist sozial ausgerichtet. Als Beispiel möchte ich unsere Mieter nehmen. Das Unternehmen will seine Mieter behalten. Wenn diese sich die Miete nicht mehr leisten können, treten wir mit deren Einverständnis mit dem Amt in Kontakt, damit gemeinsam Lösungen für den Erhalt des Wohnraums gefunden werden, etwa durch die Vereinbarung von Ratenzahlungen oder Stundungen. Bei rund 60.000 Wohnungen passiert jeden Tag etwas. Daher auch die häufigen Gerichtstermine. Nach kurzer Zeit kannte ich die meisten Richterinnen und Richter und sie wussten, dass wir nur vor Gericht gehen, wenn es tatsächlich gar keinen anderen Weg mehr gibt.
Wenn wir schon bei den Unterschieden sind: Als Syndikusrechtsanwältin darf man das eigene Unternehmen nur bis zu einem Streitwert von 5.000 Euro vertreten (ausgenommen hiervon sind u. a. Streitigkeiten im Wohnraummietrecht) und darf daher nur vor dem Amtsgericht auftreten. Aus diesem Grund habe ich auch oft mit externen Anwälten zusammengearbeitet, die uns zum Beispiel bei Berufungen oder in Fällen mit größeren Streitwerten vor den Landgerichten vertreten haben. Das kommt so in einer Kanzlei nicht vor. Als Syndikusrechtsanwältin war ich zwar auf Mietrecht und auch auf Baurecht konzentriert, darüber hinaus aber auch mit Fragestellungen aus anderen Rechtsgebieten konfrontiert, wie aus dem Strafrecht. Das fand ich immer sehr spannend.
Vermissen Sie den Gang zu Gericht?
Ja, in meiner jetzigen Position vermisse ich das total. Es heißt immer, dass man vor Gericht streitet, was ich durchaus reizvoll finde, denn ich scheue die Auseinandersetzung nicht. Aber es geht auch viel um Kommunikation und Austausch mit den Mietern, mit den Richtern und oft um das Ziel, eine einvernehmliche Lösung zu finden, die für beide Parteien annehmbar ist.
Klingt alles sehr spannend, dennoch haben Sie im letzten Jahr der Rechtsanwaltschaft den Rücken gekehrt. Warum?
Moment, ich bin immer noch Rechtsanwältin (lacht). Ich bearbeite nicht nur privat weiterhin Rechtsmandate, sondern kann auch mein Selbstverständnis als Juristin in meiner jetzigen Position als Abteilungsleiterin weiterhin einbringen. Diese Position ist sehr vielseitig und reizvoll für mich. Wenn Sie so wollen, führe ich mein eigenes Start-up im Unternehmen. Außer der Aufgabe, die Gründung voranzutreiben, habe ich nur wenig Vorgaben. Wir haben seinerzeit in leeren Büros angefangen. Ich musste mich um die Einrichtung, die Bestellung von technischem Equipment und Möbeln kümmern, neue Mitarbeiter einstellen, Prozesse definieren und die neue Abteilung strategisch aufstellen. Das ist eine Riesen-Herausforderung, aber eben auch ein ebensolcher Spaß.
Was hat Sie in Ihrer Karriere besonders geprägt? Wie sind Sie zu der Juristin geworden, die Sie heute sind?
Mein Selbstverständnis heute ist das Ergebnis aller vorherigen Etappen. Daher möchte ich auch keine der Stationen missen. In der Kanzlei, durchaus eine harte Schule, habe ich strategisches Denken, genaues und sauberes Arbeiten bezogen auf Schriftsätze, Recherchen, Verhandlungstaktiken usw. gelernt. Als Syndikusrechtsanwältin konnte ich meine Selbständigkeit leben und zeigen, dass ich für mein eigenes Tun auch gerne die Verantwortung übernehme. Und nun aktuell, als Allrounderin mit täglich neuen Herausforderungen, an denen ich weiter wachsen kann. Das alles fügt sich zu einem für mich perfekt passenden Rahmen.
Frau Bergmann, vielen Dank für das Gespräch!