Einzelpraxis vs. Großkanzlei – ein Vergleich

Kleine Kanzlei, große Kanzlei – ein Vergleich

Rechtsanwalt Volker Blumenthal ist sein eigener Chef. Seit 2012 ist der Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht mit einer Einzelpraxis in Freiburg erfolgreich. Für ihn war das eine bewusste Entscheidung: „Hier habe ich viel mehr Freiheiten, als in einer großen Einheit“, sagt er. Freiheit gebe es auch in einer großen Kanzlei, hält Rechtsanwalt Dr. Stephan Kraatz dagegen, „denn dort hält einem ein ganzes Team von Kolleginnen und Kollegen den Rücken frei“. 1995 stieg er bei CMS Hasche Sigle in Leipzig ein, seit 1999 ist er dort Partner. Im Gespräch loten die beiden Baurechtler viele Gemeinsamkeiten und einige wesentliche Unterschiede ihrer beiden Kanzleiformate aus.

Herr Blumenthal, Hand aufs Herz: Welche Klischees über Großkanzleien kennen Sie?

Den Hinweis auf die langen Arbeitszeiten lasse ich weg – die gibt es auch in kleinen Kanzleien. Die Ellenbogengesellschaft ist ein Schlagwort, was mir eher zuzutreffen scheint. Diese Hennen- und Hahnenkämpfe, bei denen jeder schauen muss, wo sie oder er bleibt, das gehört in Großkanzleien wohl dazu. Außerdem ist jeder ein kleines Rad im großen Getriebe und muss funktionieren. Und schließlich glaube ich, dass einige Großkanzleien in Sachen Fortbildung nicht über den eigenen Tellerrand schauen und dafür kaum externe Quellen nutzen. 

Herr Dr. Kraatz, ist da etwas dran?

Zunächst zu den Arbeitszeiten: Ich war früher in einer kleinen und bin nun in einer großen Kanzlei tätig. Die Arbeitszeiten sind nicht sonderlich anders, da kann ich Herrn Blumenthal nur zustimmen. Der Aspekt der Ellenbogengesellschaft ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, auch wenn ich diesen Begriff nicht verwenden würde. Wie in allen großen Einheiten geht es auch in einer großen Kanzlei darum, seinen Platz zu finden und sich diesen mitunter auch zu erkämpfen. Was ich ganz und gar nicht bestätigen kann, ist das Thema Tellerrand und Fortbildung. Hier haben wir ein gut organisiertes Curriculum, das unsere Nachwuchskräfte durchlaufen. Dazu gehören natürlich auch externe Veranstaltungen wie etwa die ARGE Baurechtstagungen. Die Sache mit dem „kleinen Rad“ stimmt sicher, ist aber in einer Kanzlei mit 600 Berufsträgern naturgemäß völlig normal. Damit das Getriebe funktioniert, braucht man eben auch kleine Räder. Und natürlich kommt es darauf an, was man aus seinem kleinen Rad macht (lacht).

Nun müssen wir den Spieß natürlich umdrehen. Herr Dr. Kraatz, was sagt man den Einzelkämpfern unter den Rechtsanwälten nach?

Ich habe großen Respekt vor den sogenannten Einzelkämpfern. Gerade im Bereich Baurecht arbeiten sie auf dem gleichen Niveau wie wir in der Großkanzlei. Schwierig ist sicherlich, dass es weniger Möglichkeit zum kollegialen Austausch gibt. Auch Delegieren kann der Einzelkämpfer nicht, da ihm kein Team zur Verfügung steht. Insofern muss er oder sie auch mehr Generalist sein. Und Einzelpraxen können sicher keine Großvorhaben begleiten, da es schlicht und einfach deren Kapazitäten überschreitet.

Und, Herr Blumenthal, liegt der Kollege mit seiner Einschätzung richtig?

Mein Kollege beschreibt mit den fehlenden Möglichkeiten zum kollegialen Austausch und zum Delegieren keine Klischees, sondern schlicht die naturgemäßen Gegebenheiten in einer Einzelkanzlei. Allerdings liegt es an jedem selbst, sich hier Möglichkeiten zu schaffen, sei es durch ein eigenes Netzwerk, sei es durch den Besuch externer Veranstaltungen.

Klischees beiseite. Wie sieht die Arbeit in einer Einzelpraxis aus? Wie in einer Großkanzlei? 

Blumenthal: Bei mir ist jeder Tag unterschiedlich. Ich werde häufig spontan auf die Baustelle gerufen, was es durchaus schwierig macht, Arbeitstage zu organisieren. Damit muss man umgehen können. Das ist in der Großkanzlei wahrscheinlich anders.
Kraatz: Ja, bei uns lassen sich die Tage meist gut planen und es gibt kaum Ad-hoc-Störungen. Und wenn, dann können das Kollegen abfangen (lacht). Allerdings hatte ich auch Großprojekte, zum Beispiel das Stadion hier in Leipzig, das ich von der Planung bis hin zu den Fifa-Verträgen begleitet habe. Da bin ich morgens auf die Baustelle gefahren und oft erst um Mitternacht wieder nach Hause gekommen.
Blumenthal: Die Nähe zum Mandat und zum Mandanten ist in einer kleinen Kanzlei ganz normal. Sie lernen alle Facetten der Mandatsarbeit kennen und arbeiten sehr schnell mit hoher Eigenverantwortung.
Kraatz: Bei uns ist die Arbeit in Teams organisiert. Jedes „Rad“ widmet sich einem Teilaspekt, um das beste Getriebe mit dem höchsten Wirkungsgrad für den Mandanten herzustellen. Unsere jungen Anwältinnen und Anwälte arbeiten anfangs vor allem zu und die Arbeit wird immer kontrolliert. Mit der Erfahrung steigt der Verantwortungsgrad der jungen Kolleginnen und Kollegen schrittweise.

Herr Dr. Kraatz, was spricht für die Großkanzlei? Was vielleicht dagegen?

Nach fünf Jahren in einer kleinen Kanzlei wechselte ich zu CMS nach Leipzig. Dort ging es plötzlich um Mandate, die ich so nicht kannte: vorwiegend Großprojekte wie die Elbphilharmonie, der Flughafen BER und andere. Überhaupt nehmen wir nur Fälle an, die ein bestimmtes Volumen haben. Allerdings: Wird die Gegenseite an einem anderen Standort vertreten, müssen wir ein Mandat regelmäßig ablehnen. Dieser vorgegebene „Conflict Check“ ist natürlich sinnvoll, aber manchmal eben auch ärgerlich. Gegen die Großkanzlei spricht vielleicht auch die Konkurrenz im eigenen Haus. Der Weg bis zum Partner kann durchaus lang und beschwerlich sein. Zudem gibt es einen gewissen Erwartungsdruck, was die „Billable hours“, also die abrechenbaren Stunden, und den Umsatz angeht. Damit muss man umgehen können.

Herr Blumenthal, Sie haben sich als Rechtsanwalt für eine Einzelpraxis entschieden. Warum? Welche Vorteile sehen Sie? Gibt es auch Nachteile?

Mir war es schon immer wichtig, für meine Überzeugungen einstehen zu können, mich nicht anpassen zu müssen und letztendlich nur dem Mandanten gegenüber rechenschaftspflichtig zu sein. Das ist so nur in einer kleinen Kanzlei möglich, da Sie nicht an eine vorgegebene Struktur gebunden sind – allerdings stehen Sie dann auch allein im Feuer, wenn mal etwas schiefgeht (lacht). 
Herr Dr. Kraatz erwähnte den Interessenkonflikt. Das spielt bei mir genauso eine Rolle. Freiburg ist überschaubar und manchmal muss ich ein Mandat ablehnen. Das tue ich übrigens auch, wenn es zwischenmenschlich gar nicht passt.


„Baurecht ist nichts für Stubenhocker“


Themenwechsel: Warum machen Sie ausgerechnet Baurecht?

Blumenthal: Ich wollte eigentlich nie Anwalt werden, aber dank des Baurechts macht es mir richtig Spaß (lacht). Im Ernst: Ich mag unser Rechtsgebiet, weil es nicht nur juristisch, sondern auch technisch zugeht. Die Möglichkeit, über den juristischen Tellerrand hinaus zu arbeiten, sich auch mal mit einem Sachverständigen auf eine bautechnische Diskussion einlassen zu können, das ist interessant und macht mir einfach Spaß. 
Kraatz: Ja, stimmt, im Baurecht sind wir nicht auf die rein juristischen Aspekte beschränkt, sondern können Dinge mitgestalten. Es geht darum, dass ein Bauobjekt in einer bestimmten Qualität und innerhalb eines zeitlichen und finanziellen Rahmens errichtet wird. Wenn es denn steht, dann ist es einfach befriedigend, seinen Teil dazu beigetragen zu haben.

Was ist das Besondere am Baurecht?

Blumenthal: Baurecht ist nichts für Stubenhocker. Man muss Spaß daran haben, sich auf der Baustelle auch mal dreckig zu machen (lacht). Ich finde es großartig, mir vor Ort einen Eindruck zu verschaffen und mit unterschiedlichen Menschen aus den verschiedenen Gewerken zu tun zu haben. 
Kraatz: Als Baurechtler müssen Sie mit Menschen umgehen können, auch mit solchen, die aus einer völlig anderen Welt kommen. Da müssen Sie verschiedene „Sprachen“ sprechen, den Ton treffen, um ihr meist hemdsärmeliges Gegenüber zu erreichen. 

Hatten Sie einen Mentor oder eine Mentorin, jemand, der sie gefördert hat? Was war das Wichtigste, was Sie von dieser Person gelernt haben?

Kraatz:
„Setz dich auf die andere Seite des Schachbretts und schau dir das Spiel von der anderen Seite an“, hat mein erster Chef und Mentor immer zu mir gesagt. Basierend darauf hat er mir viel Handwerkszeug für Verhandlungen mitgegeben. Davon profitiere ich noch heute.
Blumenthal: Um ehrlich zu sein, habe ich einen Mentor eigentlich immer vermisst. Als Einzelkämpfer müssen Sie sich Rat aus anderen Quellen holen.
Kraatz: Wir haben bei uns ein festes Mentorensystem. Mir sind einige Berufseinsteiger zugeordnet und es liegt in meiner Verantwortung, diese beim Weiterkommen aktiv zu unterstützen. 

Angenommen, jemand bewirbt sich bei Ihnen. Welche Rolle spielen die Abschlussnoten?

Kraatz:
Wenn Sie sich bei uns bewerben wollen, brauchen Sie zwei Prädikatsexamen. Ansonsten ist die Erfolgsaussicht der Bewerbung problematisch. 
Blumenthal: Das ist bei mir anders. Für mich ist der Gesamteindruck entscheidend und wenn ich jemanden für passend halte, lasse ich mich nicht unbedingt durch nicht ganz perfekte Noten abhalten.

Würden Sie heute, mit dem Wissen und den Erfahrungen, die Sie gesammelt haben, etwas anders machen? 

Kraatz:
Nein! (lacht) 
Blumenthal: Im Nachhinein hätte ich mich gerne früher spezialisiert und promoviert. Wenn es seinerzeit etwa schon die Zusatzqualifikation Privates Baurecht der Uni Marburg gegeben hätte, wäre vieles leichter gewesen. Aber im Rechtsgebiet bin ich sicher richtig (lacht).