Herr Prof. Leupertz, Sie waren fünf Jahre BGH-Richter. War das von Beginn an geplant?
Nein, überhaupt nicht (lacht). Um ehrlich zu sein, war das ein Produkt gleich mehrerer Zufälle. Zwar wollte ich schon als Student auf jeden Fall Richter werden. Aber eigentlich wollte ich mich als Amtsrichter lokal um die Rechtsfindung kümmern. Ich stellte mir vor, damit einen „guten Job“ zu haben, der mir gleichzeitig auch noch Zeit lassen würde, meinen vielen anderen Interessen nachzugehen. So ergab es sich – Zufall Nummer eins – dass ich damals in meiner Heimatstadt Kleve ans Lokalgericht kam. Über viele Jahre ebnete sich dann der Weg zum BGH, ohne dass ich das aktiv vorangetrieben habe.
Das war also der natürliche Lauf der Dinge?
Ich würde es eher als Zusammenkommen mehrerer Zufälle bezeichnen. Ein ganz wichtiger war meine Zeit in der Erprobung. Diese ist vorgeschrieben, wenn man höhere Ämter in der Justiz anstrebt und beispielsweise Vorsitzender des Landgerichts oder Aufsichtsführender Richter werden möchte. Dafür bin ich für neun Monate nach Düsseldorf gekommen und dort lernte ich Prof. Klaus Vygen kennen. Der war damals eine „große Nummer“, hat mich an die Hand genommen und in seinen Senat geholt. Dort habe ich von ihm nicht nur das Baurecht gelernt – mit dem ich vorher nichts zu tun hatte – sondern er hat mich auf eine ganz andere Ebene gehoben. Damit hat er mir unwahrscheinlich viele Türen geöffnet. Ohne ihn wäre ich niemals in die verantwortungsvollen Ämter gekommen.
Dann war das Baurecht also auch Zufall?
Absolut! Ich hatte vorher mit Baurecht wirklich nichts zu tun. Da war nur diese Persönlichkeit, die für das Baurecht immer schon gebrannt hat und mich dafür begeisterte. Wenn man mit Prof. Vygen zu tun hatte, kam die Begeisterung für das Fachgebiet ganz schnell und so blieb ich dem Baurecht verpflichtet.
Aber der Staatdienst war schon geplant?
Ja, auf jeden Fall. Ich wollte schon als Student in den Staatsdienst. Letztlich war es dann aber doch gar nicht so einfach. In Bonn wollte man mich nicht, weil mein Examen in der Tat nicht gut genug war. Und in einer Universitätsstadt mit wenigen Richterstellen und großer Auswahl war das schon eine Voraussetzung. Das führte mich dann zurück nach Kleve, wo man mich von Düsseldorf aus hingeschickt hatte. Diese Chance konnte ich nutzen.
Einige Zufälle später waren Sie dann Richter am BGH. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Die Tätigkeit am BGH ist etwas völlig anderes als bei anderen Gerichten. Es ist ein Rechtskontrollgericht, in dem man zwar Fälle entscheidet, aber nicht mehr die Tatsachen feststellt, sondern Rechtsfragen beantwortet. Daher ist die Aufgabe eines BGH-Richters mit der eines Instanzrichters nicht zu vergleichen. Das hatte ich im Vorfeld vielleicht ein wenig falsch eingeschätzt. Und wenngleich die anspruchsvolle Tätigkeit beim BGH mir durchaus Spaß gemacht hat, fühlte mich doch etwas zu weit weg von den Dingen, die mich wirklich interessierten. Ich wollte lebendes Baurecht, tatsächliche Fälle mit aktuellen Problemen vor Ort. Das gibt es so nicht beim BGH. Die Fälle dort sind nicht selten fünf oder sogar zehn Jahre alt. Dann streitet man im Prinzip nur noch über Finanzrückstellungen, wenn man das mal etwas despektierlich ausdrücken darf. Hinzu kommt, dass bei vielen Fällen formale Fragen im Vordergrund stehen. Das hat mir nicht so richtig Spaß gemacht hat, ich wollte etwas Anderes und so gab ich mein Amt nach etwas mehr als fünf Jahren freiwillig auf.
Als Sie Anfang 2013 dem BGH den Rücken zukehrten, wussten Sie also, was Sie nicht wollten. Hatten Sie einen konkreten Plan für die Zeit danach?
Ja, auf jeden Fall, wobei… (lacht). Ich bin beim BGH weggegangen, weil ich eine Geschäftsidee hatte. Ich wollte Schiedsrichter, Schlichter und Adjudikator sein. Mir war auch klar, dass ich nicht als Rechtsanwalt arbeiten will und keiner Beratungstätigkeit nachgehen möchte. Wenn Sie so wollen, habe ich mein Richteramt quasi privatisiert um das, was ich als Richter gemacht habe, national und international anzubieten.
Sie sind zufällig im Baurecht gelandet, dem Rechtsgebiet aber bis heute treu blieben. Warum? Was fasziniert Sie daran?
Die Kombination von komplexem Recht (Bauverträge sind ausgesprochen komplizierte Austauschverträge), Technik (von der ich vorher überhaupt keine Ahnung hatte) und baubetrieblichen Fragen (betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich meist gravierend) – diese Gemengelage unterschiedlicher Themen finde ich sensationell. Das macht mir einfach Spaß, weil ich mich immer wieder in neue Dinge hineindenken muss und immer wieder Neues lerne. Das hat mich von Anfang an fasziniert und seitdem nicht mehr losgelassen.
Was ist denn neben der fundierten juristischen Fachkenntnis noch wichtig, um im Baurecht erfolgreich zu sein?
Man muss bereit sein, sich auch mit technischen Fragen auseinanderzusetzen. Wenn Sie das Gutachten eines Sachverständigen nicht verstehen, kommen Sie nicht weiter. Dann sind da noch die baubetrieblichen Fragen. Auch mit dieser durchaus speziellen Materie muss man umgehen können, wenn man beispielsweise darüber entscheiden muss, wer für die Folgen eine Bauverzögerung verantwortlich ist. Das lernen Sie nicht an der Uni, sondern nur in der Praxis. Wer allerdings die Bereitschaft dafür mitbringt, sich mit solchen Fachgebieten außerhalb der Juristerei zu beschäftigen, den lässt das Gebiet nicht mehr los. Dann ist da noch die ausgesprochen harmonische, vertraute und auch im Umgang miteinander sehr ausgeglichene Gemeinschaft der Baurechtler mit vielen tollen Persönlichkeiten, die mir von Beginn an außerordentlich gut gefallen hat. Und das ist auch heute noch so, auch wenn das Gebiet in den letzten 20 Jahren deutlich größer geworden ist.
Wenn Sie an den heutigen Nachwuchs denken - was sollten junge Studierende heute mitbringen, um erfolgreich zu sein?
Zunächst einmal empfehle ich unabhängig vom Fachgebiet dringend, eine Fremdsprache so gut zu lernen, dass Sie sie auch im rechtlichen Bereich sicher anwenden können. Aus meiner Sicht ist das essentiell. Junge Anwältinnen und Anwälte müssen zudem für sich klären, ob Sie Ihren Weg in kleineren oder mittleren Kanzleien machen wollen, die interessante Fälle bieten können, auch das eine oder andere Großprojekt, die aber eben nicht in der ganz großen internationalen Liga sind. Wer sich für eine Großkanzlei oder sogar eine International Law Firm entscheidet, sollte sich im Klaren sein, dass das ein dornenreicher Weg ist, für den man gestrickt sein muss. Man muss bereit sein, dafür jahrelang zu ‚buckeln‘, damit man irgendwann die Chance hat, Junior-Partner oder vielleicht sogar Partner zu werden. Das muss man mögen, da muss man das Zeug dafür haben und wohl auch entsprechend protegiert werden.
Staatsdienst oder Privatwirtschaft?
Ich würde heute einem mit einem guten Examen ausgestatteten Juristen nicht mehr raten, Richter zu werden, obwohl ich den Beruf toll fand, nicht falsch verstehen! Aber der Beruf hat an Attraktivität und Renommee verloren. Und ich finde es gibt spannendere Aufgaben für gute Juristen, als der Gefahr zu unterliegen, als Richter an irgendeinem Gericht in wenig luxuriöser Umgebung kleinteilige Fälle entscheiden zu müssen. Ganz abgesehen von den Verdienstmöglichkeiten. In einer großen Anwaltskanzlei fangen Sie heute nicht selten mit 100.000 bis 120.000 Euro an – fragen Sie da mal einen Richter nach seinem Verdienst.
Verraten Sie uns zum Schluss noch Ihr Erfolgsgeheimnis?
Ich halte es für enorm wichtig, sich nicht zu verbiegen und sich selbst treu zu bleiben. Das muss man erst einmal lernen. Ich musste das auch. Gerade Juristen neigen dazu, sich formalisierten Abläufen zu unterwerfen. Ich kann aber nur empfehlen, diese mit einer kritischen Distanz zu betrachten und vielleicht auch mal zu durchbrechen. Nur wenn man das in wohlüberlegter Art und Weise an der richtigen Stelle macht, sticht man heraus. Wenn man dagegen immer alles so wie die anderen macht, entwickelt man keine Persönlichkeit mit eigenem Profil. Es dauert vielleicht eine Weile, bis man das auch mit der nötigen Überzeugungskraft kann, aber dann ist es ein ganz wichtiges Erfolgselement. Vieles von dem habe ich übrigens nicht unbedingt durch meine richterliche und auch nicht durch meine aktuelle Tätigkeit gelernt, sondern im öffentlichen und politischen Raum, wo ich an mehreren Gesetzgebungsverfahren beteiligt war; darüber hinaus auch durch viele Vorträge und Seminare, die ich im Laufe der Jahre gehalten habe. Wenn man unmittelbar mit Widerspruch konfrontiert wird und seine Anschauungen und Überzeugungen gewissermaßen „Auge in Auge“ rechtfertigen muss, schult das ungemein. Wenn man es dann noch schafft, unverstellt die eigene Persönlichkeit zum Maßstab seines Handels zu machen, ist viel gewonnen.
Herr Professor Leupertz, wir danken für das Gespräch.