Seitenwechsel: Wie ein Berufsanfänger vom Kanzlei- zum Syndikusanwalt wurde

Jasper Marwege schwebte eigentlich eine klassische Kanzlei-Karriere als Rechtsanwalt vor. Als begeisterter Segler lag es nahe, sich nach dem Referendariat im maritimen Wirtschaftsrecht zu tummeln. Also heuerte er in einer Großkanzlei an und landete dort im Baurecht. Und blieb – jedenfalls im Rechtsgebiet, nicht aber in der Kanzlei. Inzwischen ist er Syndikusrechtsanwalt bei der Zech Group, einem großen deutschen Bauunternehmen. Im Interview erzählt er uns von seinem Berufsstart in der Großkanzlei und wie es zu diesem „Seitenwechsel“ auf Unternehmensseite kam.

Herr Marwege, Schiffe werden auch „gebaut“, dennoch: Baurecht war eigentlich nicht Ihr Plan. Wie kommt man vom Schiff zum Bagger?

Jasper Marwege (schmunzelnd): Die Frage ist berechtigt und lässt sich wohl besser nachvollziehen, wenn man meine damaligen Motive kennt. Ich war damals auf der Suche nach „meinem Rechtsgebiet“ nicht nur von meiner Leidenschaft für das Hochseesegeln und der damit verbundenen thematischen Nähe zum maritimen Wirtschaftsrecht geleitet. Ich kann mich für technische Inhalte begeistern und der praktische Hintergrund der rechtlichen Bewertung erschien mir reizvoll. Ein Schiff mit Schlagseite existiert nicht nur auf dem Papier, man kann es sich anschauen. Basierend auf diesen vielleicht etwas naiven Vorstellungen eines Berufsanfängers war für mich klar: Rechtsanwalt für maritimes Wirtschaftsrecht muss es sein – um durch einige Zufälle kurz darauf im privaten Baurecht zu landen. Im Nachhinein eine glückliche Fügung.

Glückliche Fügung - inwiefern?

Im Baurecht gibt es zwar keine Schiffe, aber all meine anderen Vorstellungen wurden erfüllt. Auch ein Mangel am Bau existiert real, der praktische Bezug ist also gegeben. Immer wieder steht man mit Helm auf der Baustelle und befasst sich vor Ort mit dem, was die Akte beschreibt – für mich ist das Juristerei zum Anfassen. Man muss als Baurechtler auch mehr als manch anderer Rechtsanwalt technische Inhalte verstehen. Ich habe mich also in einem technikgeprägten Rechtsgebiet mit direktem Praxisbezug wiedergefunden, das ich während der Ausbildung kaum erahnt habe. Bis auf wenige erfreuliche Ausnahmen wird das private Baurecht in Studium und Referendariat ja sehr stiefmütterlich behandelt.

Okay, das mit dem Baurecht haben wir verstanden. Aber wie haben Sie sich vom „klassischen Rechtsanwalt“ zum Syndikusrechtsanwalt in einem Bauunternehmen entwickelt?

Dieser Schritt war nicht geplant, sondern fiel mir quasi in den Schoß. In der Tat habe ich mich immer in der Rolle des Rechtsanwalts gesehen. Weder der Staatsdienst noch eine Rechtsabteilung kamen für mich in Frage. Entsprechend habe ich die ersten Jahre meines Berufslebens auf dem „klassischen Weg“ verbracht. Ich war im baurechtlichen Dezernat einer größeren Kanzlei tätig, habe meinen Fachanwalt gemacht und hatte keinen Grund, meine Entwicklung zu überdenken, bis die Möglichkeit zum Wechsel plötzlich vor mir lag. Der Perspektivwechsel war für mich reizvoll. Ich war der Auffassung, dass man durch den „Seitenwechsel“ in die Wirtschaft sicherlich nicht dümmer wird. Dieser Auffassung bin ich übrigens auch heute noch. Der Horizont erweitert sich durch den etwas anderen Blickwinkel.

Haben sich die Erwartungen, die Sie mit Ihrem Wechsel verbunden haben, erfüllt?

Ja, auf jeden Fall. Ich berate nach wie vor im privaten Bau- und im Vergaberecht. Was die juristischen Inhalte angeht, betreibe ich also weiterhin genau das Geschäft, das mir wahnsinnig viel Spaß macht. Die Beratung ist aber etwas ganzheitlicher geworden, der Blickwinkel unternehmerischer.

Können Sie das noch etwas näher ausführen?

Der klassische Rechtsanwalt wird häufig erst hinzugezogen, wenn das Kind schon tief in den Brunnen gefallen und blau angelaufen ist. Eine befriedigende Lösung des Problems ist dann oft schon in weiter Ferne. Darüber konnte ich mich ärgern. Durch die Tätigkeit im Unternehmen ist man von Anfang an dabei. Man begleitet und gestaltet die Vertragsverhandlung, berät das Projektteam von der ersten Minute an und kann so manch eine Weichenstellung derart beeinflussen, dass Probleme vermieden werden. Strategische Überlegungen werden so von der Ausnahme zur Regel.

Fehlt Ihnen denn gar nichts aus Ihrer früheren Tätigkeit?

Ich hatte die Sorge, dass mir das Verhandeln vor Gericht fehlen würde. Diese Sorge war aus heutiger Sicht aber unbegründet. Zum einen sitzt man auch als Syndikusrechtsanwalt oft genug im Gerichtssaal – nur eben in der Rolle des Parteivertreters. Zum anderen musste ich für mich persönlich feststellen, dass ja nicht jeder Gerichtstermin nach den eigenen Vorstellungen verläuft und damit auch ein gewisses Frustpotential birgt, das ich in meiner anwaltlichen Tätigkeit aber so nicht wahrgenommen habe. Auch die Dauer einer baurechtlichen Streitigkeit kann frustrieren. Deswegen nutzen wir heute die große Vielfalt an Möglichkeiten, eine außergerichtliche Lösung zu finden.

Wenn Sie Werbung machen müssten für Ihren Job, welchen Aspekt würden Sie herausstellen?

Den weiteren und stärker unternehmerisch geprägten Blickwinkel. Die juristische Tätigkeit ist dieselbe wie zuvor – da haben Rechtsabteilungen in der Anwaltschaft glaube ich einen schlechteren Ruf, als Sie verdienen. Durch die Größe unserer Rechtsabteilung habe ich das Glück, mich ausschließlich auf meinen Fachbereich konzentrieren zu können. Zu dieser mehr oder weniger deckungsgleichen Beratung kommt aber hinzu, dass man in der Regel nicht mit einer einzelnen Fragestellung konfrontiert ist, sondern mit einem Gesamtsachverhalt, der sich bei Großbauvorhaben über viele Jahre erstreckt. Es macht wahnsinnig viel Spaß, daran mitzuwirken, ein solches Bauvorhaben auf solide Füße zu stellen.

Herr Marwege, vielen Dank für das Gespräch!

 


 

Rechtsanwalt Jasper Marwege ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Syndikusrechtsanwalt bei der Zech Group in Bremen.