Interview: Können gute Bauverträge die Auswirkungen von Erdbeben abmildern?

Die Erdbeben in der Türkei und in Syrien im Februar führten zu verheerenden Schäden an hunderttausenden Gebäuden, von denen viele wie Kartenhäuser in sich zusammenstürzten. In der Folge verloren mehr als 50 000 Menschen ihr Leben. Vor dem Hintergrund dieser schrecklichen Ereignisse widmet sich der Arbeitskreis Internationales Baurecht in seinem 25. Treffen am 11. Mai dem Thema „Erbebensicheres Bauen“.

Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit gute Bauverträge die Auswirkungen von Erbeben abmildern können. Ein Schwerpunkt wird auch die Projektfinanzierung sein. Im Gespräch erläutern AK-Leiter Rechtsanwalt Dr. Jan-Bertram Hillig und seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Liliane Allgeyer (beide GSK Stockmann) die geplanten Inhalte der Online-Konferenz und verraten, welche Rolle RA Heiko Maas, Bundesaußenminister a. D., dabei spielt.

 

Herr Dr. Hillig, Frau Allgeyer, Bundesaußenminister a. D. Heiko Maas leitet die 25. Sitzung des Arbeitskreises Internationales Baurecht ein. Warum?

Liliane Allgeyer: Es war uns besonders wichtig, auch die politische Dimension des Themas ins Spiel zu bringen: Jedes Land muss entscheiden, wie Erdbeben-sicher Gebäude im eigenen Land sein müssen. Denn technisch ist Erdbebensicherheit ja möglich. Aber es geht auch um Außenpolitik: Da viele erdbebengefährdete Regionen in relativ armen Ländern liegen, müssen die wohlhabenderen Länder entscheiden, in welchem Maße sie hier helfen wollen, z.B. durch die Bereitstellung von zinsgünstigen Krediten. Da lag es nahe, unseren GSK-Kollegen Heiko Maas darum zu bitten, das Thema einzuleiten. Zu unserer großen Freude hat Herr Maas zugesagt. In seinem Grußwort wird der ehemalige Bundesaußenminister darauf eingehen, welche politischen Ziele Deutschland und Staatengemeinschaften wie die EU beim „Erdbebensicheren Bauen“ verfolgen.

 

Können Baurechtler (w, m, x) tatsächlich etwas gegen Erdbeben tun?

Dr. Jan-Bertram Hillig: Ein Erdbeben bedeutet extremen Stress für Gebäude. Dennoch passiert in Ländern wie zum Beispiel Japan vergleichsweise wenig, während in Ländern mit schlechteren Bausubstanzen alles in sich zusammenstürzt, wie das jüngste Beispiel zeigt. Natürlich können Baurechtler:innen keine Erbeben verhindern. Aber sie können gute Bauverträge entwerfen, die die Aufgaben und Verantwortlichkeiten klar regeln. Zentral ist es, das Bausoll im Vertrag festzulegen und damit den Standard der Erdbebensicherheit. Aber wir wollen das Thema am 11.05. noch weiter vertiefen: Welche Kontrollmechanismen sollte der Bauvertrag vorsehen, um sicherzustellen, dass die nötigen technischen Normen auch tatsächlich eingehalten werden? Welche weiteren Klauseln sind wichtig? So helfen state-of-the-art-Compliance-Klauseln gegen Korruption. Leider gibt es nämlich viele Beispiele dafür, dass bei Naturkatastrophen viele Todesopfern auf Korruption zurückgehen.

 

Bauverträge, Planungsverträge, Feasibility Studies

 

Inwiefern können Verträge Einfluss auf die Qualität und insbesondere auf die Erdbebensicherheit von Gebäuden nehmen?

Hillig: Ich habe letztes Jahr zur Sanierung eines Goethe-Instituts in einem erdbebengefährdeten Land beraten. Den im Bausoll definierten Leistungen lag der Eurocode 8 zugrunde, der den Qualitätsstandard für die Erdbebensicherheit definiert. Ganz generell ist hier auch die Anforderung „Fitness for Purpose“ relevant, also die Zwecktauglichkeit der Planung und des fertigen Gebäudes. Dieser Standard ist nicht in allen Ländern ein üblicher Bestandteil von Planungs- und Bauverträgen. Um diese Aspekte in der 25. Sitzung möglichst praxisnah zu behandeln, haben wir Bauanwält:innen aus Erdbebengebieten eingeladen, anhand von Fallbeispielen die jeweilige Vertragssituation darzustellen. Wie sieht deren Feasibility Study Vertrag aus? Was gab es für Probleme und Herausforderungen? Welche Klausel darf nicht fehlen? In den Vorgesprächen berichtete beispielsweise ein Kollege aus Montenegro über Claims zu Pipelines, die vor der Küste des Landes verlaufen und die nicht erbebensicher geplant waren. Die Pipelines wurden dann gleichwohl erdbebensicher gebaut und es galt zu klären, wer die zusätzlichen Kosten dafür übernimmt. Hier wollen wir von den praktischen Erfahrungen von Kolleg:innen lernen. Das ist genau der „hands on approach“, den wir in unseren AK-Sitzungen verfolgen.

 

Ein Schwerpunkt Ihrer Konferenz ist die Projektfinanzierung und deren Auswirkung auf die Gestaltung von Bau- und Anlagenbauverträgen. Warum?

Allgeyer: Die Finanzierung spielt eine entscheidende Rolle für die Umsetzung von Bauvorhaben. Wenn internationale Entwicklungsbanken mitwirken, um z.B. Krankenhäuser erdbebensicher zu ertüchtigen, ist bereits interessant, welche Finanzierungsart, zinsgünstige Kredite oder Fördergelder, genutzt wird. Für deutsche Anwälte, die hierzu beraten möchten, ist natürlich wichtig, nach welchem Recht sich die Finanzierungsverträge richten. Wie ist dies, wenn die deutsche KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) finanziert? Werden für einzelne Projekte Projektgesellschaften gegründet? Kümmern sich die Banken um die Inhalte und Qualität der Planungs- und Bauverträge? Wie kommt man daran? Wie muss die Verwendung in solchen Projekten dokumentiert werden? Erst wenn die Finanzierung eines Vorhabens steht, können Verträge aufgesetzt werden. Das sind natürlich existenzielle Themen, zu denen auch Baurechtler:innen beraten können. Daher wollen wir diese Aspekte während der Konferenz vertiefen.

Hillig: Bei Großprojekten der Erdbebenvorsorge geht es um ganze Städte oder Stadtteile, d.h. um viel Geld und um viele Menschenleben. Allein in Istanbul sind bei einem starken Erdbeben rund 500 000 Gebäude einsturzgefährdet. Die Weltbank und die KfW haben ein Programm aufgelegt, um zumindest Schulgebäude und Krankenhäuser vor dem Einsturz zu bewahren und die Hauptstadt der Türkei insgesamt erdbebensicherer zu machen. Daher finden wir es wichtig, auch diese Aspekte zu beleuchten und als Baurechtler:innen zu diskutieren.

 

Natürlich können Baurechtler:innen keine Erbeben verhindern. Aber sie können gute Bauverträge entwickeln, die dafür Sorge tragen, das in definierter Qualität und Güte gebaut wird und die nötigen technischen Normen eingehalten werden.

 

Welche weiteren Themen werden Sie in der 25. Sitzung des AK behandeln?

Hillig: Wir wollen auch die technischen Aspekte beleuchten und uns zum Beispiel von einem Ingenieur erklären lassen, wie man ein Gebäude oder eine Industrieanlage erdbebensicher baut. Darüber hinaus wollen wir uns anschauen, wie es möglich ist, ganze Städte so zu ertüchtigen, dass sie erdbebensicher sind. Dazu wollen wir Planer einladen, die in diesem Bereich arbeiten. Strafrechtliche Aspekte, Korruptionsthemen oder auch Exportregelungen klammern wir indes weitgehend aus. Diese Themen wollen wir nur ansprechen, soweit es um spezielle Klauseln dazu in den Verträgen geht. In der Hauptsache wollen wir uns voll und ganz auf die bauvertraglichen Aspekte sowie Finanzierungsverträge konzentrieren. Zudem haben wir einen Spezialisten aus der Versicherungsbranche angefragt, darüber zu berichten, über Versicherungen gegen Erdbebenschäden zu berichten.

 

Welche weiteren Gesichtspunkte spielen für die Qualität von Gebäuden eine Rolle. Inwiefern gehen Sie im 25. AK-Treffen darauf ein?

Allgeyer: Neubauten in Erbebengebieten müssen bestimmte Standards erfüllen, um für den Ernstfall gewappnet zu sein. Es gibt aber auch jede Menge Bestandsgebäude, die nicht den aktuellen Standards entsprechen. Die können natürlich nicht einfach abgerissen und neu gebaut werden. Inzwischen gibt es diverse Ansätze, um bestehende Gebäude so nachzurüsten, dass sie größtmöglichen Widerstand gegen Erschütterungen leisten können. Im Zuge der Recherche sind wir zum Beispiel auf den Ingenieur vom Karlsruher Institut für Technologie Lothar Stempniewski gestoßen, der eine Tapete entwickelt hat, die das Gebäude von innen stützt. Es gibt auch einen speziellen Putz, der in wenigen Millimeter Stärke aufgetragen wird und die Gebäudesicherheit erhöht. Auch für solche innovativen Methoden der Ertüchtigung von Gebäuden muss es entsprechende Verträge geben.

Hillig: Ja, genau. Das oben erwähnte Goethe-Institut wurde beispielsweise mit einem Drahtnetz aufgerüstet, das das gesamte Gebäude über zwei Etagen umhüllte. Um das Bausoll im Vertrag zu definieren, muss man als Jurist die Technik zumindest ansatzweise verstehen und nachvollziehen können. Auch ist es wichtig festzulegen, wer wann was machen muss, damit am Ende ein sicheres Gebäude oder eine sichere Anlage steht. Daher wollen wir in der AK-Sitzung auch relevante technischen Aspekte besprechen, um ein Gespür dafür zu entwickeln, wie diese Dinge vertragsrechtlich einzuordnen sind.

 

Herr Dr. Hillig, Frau Allgeyer, wir danken für das Gespräch.

 


25. Sitzung des Arbeitskreises Internationales Baurecht
11. Mai 2023, 12.00 - 18.00 Uhr


 

Rechtsanwalt Dr. Jan-Bertram Hillig

  • Solicitor (England & Wales), Counsel bei GSK Stockmann
  • Mitglied der ARGE Baurecht seit 2013
Leiter Arbeitskreis Internationales Baurecht
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Dipl. Jur. Liliane Allgeyer

  • Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei GSK Stockmann