AK 25: Ein weiter Blick über den Tellerrand des Baurechts

Oder: Ein Rückblick auf die 25. Sitzung des Arbeitskreises Internationales Baurecht zum Thema Erdbebensicheres Bauen. - Ingenieure, Banker, Versicherer, Statistiker, Bauherren, Bauunternehmen, und Baurechtler – sie alle bewegt und beschäftigt das Thema Erdbebensicherheit. Fügt man alle Perspektiven zusammen, entsteht ein 360-Grad-Blick auf ein äußerst spannendes und aktuelles Thema. So geschehen bei der 25. Sitzung des Arbeitskreises Internationales Baurecht am 11. Mai, die in Präsenz in Berlin und als Online-Konferenz Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der ganzen Welt anzog. Gemeinsam mit Rechtsanwalt Dr. Jan-Bertram Hillig und Dipl. jur. Liliane Allgeyer lassen wir die Highlights noch einmal aufleuchten.

Herr Dr. Hillig, Frau Allgeyer, Sie haben einigen Aufwand betrieben, um die 25. Sitzung des AK zum Thema Erdbebensicheres Bauen zu realisieren. Sind sie belohnt worden?

Liliane Allgeyer: Ja, auf jeden Fall. Alle waren sehr engagiert, es wurde viel diskutiert und fleißig Networking betrieben. Ganz besonders stolz sind wir auf die illustre Runde der Referentinnen und Referenten, die wir gewinnen konnten. Jede und jeder ausgewiesene Koryphäe auf dem eigenen Fachgebiet, die spannende Einblicke aus ihrer jeweiligen Blickrichtung eingebracht haben.

Dr. Jan-Bertram Hillig: In der Tat sind wir sehr erfreut über den gesamten Verlauf, die Vorbereitung, die Kommunikation und schließlich die Veranstaltung selbst. Besonders schön: die Evaluation im Anschluss bestätigt unsere individuellen Eindrücke. Alle Teilnehmenden würden die Veranstaltung auf jeden Fall oder sehr wahrscheinlich weiterempfehlen. Was will man mehr (lacht).

Hat sich ihr „360 Grad-Konzept“ bewährt, also das Thema „Erbebensicheres Bauen“ aus technischer, wirtschaftlicher und baurechtlicher Sicht zu beleuchten? Inwiefern?

Hillig: Anfangs dachten wir, dass es eine kurze Veranstaltung wird, nach dem Motto: Wenn du im einem Erdebengebiet baust, muss das Bausoll entsprechend formuliert sein. Je mehr wir in das Thema eingestiegen sind, desto mehr wurde uns klar, dass es so einfach nun mal nicht ist. Es gibt viel Facetten, die auch und gerade in die Entwicklung entsprechender Bauverträge hineinspielen – irgendwann war klar, dass wir die 360 Grad brauchen.

Allgeyer: Dazu gehörten etwa die politische Perspektive und die Rolle der Entwicklungsbanken, die Kredite zur Verfügung stellen. Das hat Heiko Maas sehr gut zusammengefasst mit seinen Ausführungen zur UN-Geberkonferenz nach den Erdbeben in der Türkei und Syrien. Dabei beleuchtete er die Unterscheidung zwischen humanitärer Hilfe, die grundsätzlich alle Länder erhalten können, und einer Stabilisierungshilfe. Es entsteht schnell ein Dilemma, wenn etwa Hilfen für ein diktatorisch regiertes Land anstehen, das man ja eigentlich gar nicht stabilisieren möchte.

Hillig: Weitere spannenden Einblicke kamen von Irina Smajlbegovic, die als Portfolio-Managerin der KfW Bank u.a. für die Türkei zuständig ist. Sie berichtete über die KfW-Finanzierungen von Bauprojekten, insbesondere Krankenhäuser und Schulen, und wie die KfW diese Bauprojekte managt. Die KfW sei erleichter gewesen, so Irina Smajlbegovic, dass alle Gebäude, die die KfW im Süden der Türkei gefördert habe, die beiden Erdbeben unbeschadet überstanden hätten. Und schließlich brachte Wilhelm Morales Avilés von der Münchener Rück noch den Blick der Versicherer und der Rückversicherer auf die Gemengelage ein.

Allgeyer: Interessant war etwa, dass in unterschiedlichen Vorträgen die Bedeutung unabhängiger Prüfungen der Bauplanung unterstrichen wurde. Mit so simplen Mitteln wie dem Vier-Augen-Prinzip lässt sich demnach bereits ein hohes Maß an Sicherheit erreichen – sofern das zweite Augenpaar unabhängig ist. Yeşim Bezen aus der Türkei machte deutlich, dass die Nichteinhaltung eines solch simplen Prüfprinzips im Februar dieses Jahres zum Einsturz von mehr als 100 000 Gebäuden in der Türkei mit beigetragen hat.

Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten „Learnings“ der 25. AK-Sitzung. Was konnten die Teilnehmenden mitnehmen?

Hillig: Sowohl Wayne Kalayjian aus Kalifornien als auch Yeşim Bezen aus der Türkei berichteten, dass es in ihren Ländern seit etwa 1930 Bauordnungen gibt, die technische Baustandards für Erbeben vorgeben. Diese Entwicklung geschah in weit entfernt voneinander liegenden Regionen, aber zeitgleich. Das ist schon spannend. Mit jedem Erdbeben, das seitdem passierte, wurden in beiden Ländern die Vorschriften verschärft, zuletzt in der Türkei nach dem Beben aus 1999. Wenn diese allerdings nicht eingehalten werden, laufen sie ins Leere, wie die jüngsten Ereignisse in der Türkei zeigen.

Sehr lange konnten sich Bauunternehmen in der Türkei selbst zertifizieren, um die eigene Planung zu prüfen. Erst seit 2019 ist das nicht mehr möglich. Diesen rechtlichen Zusammenhang der Erdbeben in der Türkei im Februar hat Yeşim Bezen sehr beeindruckend dargestellt. Zumal erläuterte die türkische Kollegin, dass Krankenhäuser und Schulen erdbebensicher zu machen, zu kurz springt. Daher wird derzeit in der Türkei diskutiert, ob die öffentliche Hand langfristige Kredite für die Zivilbevölkerung zur Verfügung stellen sollte, damit sich jeder Eigentümer leisten kann, sein Haus erdbebensicher zu bauen oder nachzurüsten. Yeşim Bezen befürwortet dies. Nur so lässt sich das oberste Ziel erreichen, möglichst viele Leben zu retten.

It was a pleasure to speak at this conference about such a sensitive and highly important topic. Listening to my peers and their experiences was very interesting but getting an insight into technical matters was an added value.
Yeşim Bezen
The event was characterized above all by the fact that the problem of dealing with earthquakes was approached not only from a legal perspective, but from a cross-section of the relevant areas. Technical understanding was sharpened, the significance for insurance companies was revealed, and the legal possibilities, but also limits, were pointed out. However, it became particularly impressive with the indication that in the last hour of the event alone there were 42 earthquakes of magnitude 2 or higher on the Richter scale. Earthquakes are not a snapshot in time, but an ever-present problem. Thank you for making this visible.
Franziska Bouchard
It was fantastic to discuss earthquake resistant construction from many different angles – legal, technical, political. Gained many insights and met fabulous colleagues. Big thank you to the organizers and presenters.
Dr. Lukas Schultze-Moderow
Earthquake-resistant construction is a rather broad topic that can be approached through a multidisciplinary perspective. The conference has offered a broad and concise view on the subject. The interesting thing, from an insurance point of view, is that at various points, it has become clear how important our participation as an industry is, and likewise the responsibility we have to achieve greater resilience.
Wilhelm Morales Avilés

 

Was waren Ihre persönlichen Highlights? Was fanden Sie besonders spannend?

Allgeyer: Hier kann ich sicher die technische Sicht der Dinge anführen, die uns Prof. Norbert Gebbeken nähergebracht hat. Ihm zufolge spielt der Wert, den ein Erdbeben auf der Richterskala erreicht, bei weitem nicht die Rolle, die ihm in den Medien immer beigemessen wird, wenn es um die Sicherheit von Gebäuden geht. Wenn ein Gebäude nicht erdbebensicher ist, stürzt es ein, egal ob eine 2 oder eine 9 auf der Richterskala steht. Viel wichtiger sind Design und Architektur für die Erbbebensicherheit eines Gebäudes.

Hillig: Ich fand die Ausführungen der Anwälte aus Erdbebengebieten äußerst interessant. Der chilenische Kollege Victor Ríos Salas referierte beispielsweise aus privatrechtlicher Sicht und brachte die Haftung auf den Punkt. Da konnten wir sehr schön über die Ländergrenzen hinweg Rechtsvergleiche anstellen. Yeşim Bezen aus der Türkei wiederum ist das Thema primär auf der öffentlich-rechtlichen Schiene angegangen und unterstrich unter anderem die Bedeutung von Bauordnungen und vor allem von der unabhängigen Kontrolle, dass diese auch eingehalten werden. Ein Highlight waren auch die Lessons Leant von Peter Simoneit, Claim Manager bei ANDRITZ METALS. Mit ihm haben wir wieder einen Referenten von einem „hidden champion“ gewinnen können, im AK zu berichten. Wo anders kann man Praktikern aus dem Internationalen Großanlagenbau zuhören, wie sie aus ihrem Nähkästchen plaudern? Nur im AK! (lacht)

Allgeyer: Victor Ríos Salas aus Chile berichtete unter anderem von dem schweren Erdbeben aus dem Jahr 2010, bei dem die Millionenstadt Santiago de Chile um 38 Zentimeter zur Seite gerutscht ist und es aber nur acht Tote gab. Das hat uns gezeigt, wie sehr sich die Auswirkungen von Erdbeben durch moderne Bauweise und entsprechende Richtlinien und Kontrollen eingrenzen lassen. Und Yalçın Kaya aus Istanbul hat dazu die Herausforderungen aufgezeigt, die bestehen, wenn man eine ganze Metropole erdbebensicher machen möchte. Sehr eindrucksvoll. Sogar eine Zuchtstationen für Erdbebenspürhunde wurde dort eröffnet! Das Istanbul-Projekt, das von der Weltbank und der KfW unterstützt wird, ist wahrscheinlich das größte seiner Art weltweit.

Wie relevant ist das Thema im Kontext des internationalen Baurechts?

Hillig: Im deutschen Baurecht spielt Erdbebensicherheit praktisch keine Rolle. Das wird sich jedoch bald ändern, zumindest graduell. Prof. Norbert Gebbeken berichtete von einer anstehenden Verschärfung der in Deutschland geltenden öffentlich-rechtlichen Vorgaben in dieser Hinsicht: Die bisherige Grundlage DIN 4149 wird demnächst von dem neuen deutschen Nationalen Anhang zum Eurocode 8 abgelöst, genannt DIN EN 1998-1 NA (EC 8). Dieser Standard wurde bereits veröffentlicht, demnächst wird der Normenübergang auch bauaufsichtlich vollzogen, wenn nämlich der Eurocode 8 in die Verwaltungsvorschriften Technische Baubestimmungen (VV TB) aufgenommen wird. Waren es früher nur etwa zehn Prozent der Fläche, die in Deutschland zu sog. Erdbebengebieten rechnen, werden es künftig aufgrund der neuen EN-Norm um die 40 Prozent sein. Dies wird zu höheren Baukosten führen. Prof. Norbert Gebbeken sah die Angemessenheit dieses Normenübergangs durchaus kritisch. Nach seiner Analyse sind in Deutschland die Risiken, die von Hochwassern und extremen Stürmen ausgehen, weitaus höher als das Erdbebenrisiko.

Allgeyer: In den Erbebengebieten der Welt ist das Thema obligatorisch, auch im Baurecht. Wayne Kalayjian aus Kalifornien berichtete, dass die Prinzipien der Plattentektonik erst seit rund 100 Jahren bekannt sind. Hätte man davon vorher gewusst, wäre Los Angeles wohl an anderer Stelle gebaut worden. Inzwischen kann man sehr genau bestimmen, ob etwa unter einer Straße zwei oder mehrere Erdplatten aufeinanderstoßen und wie groß das Risiko eines Erdbebens sein wird. So kann man im Vorfeld genau planen, wo das Risiko für gefährliche Anlagen am geringsten ist.

Kommen wir zum Schluss noch einmal auf die titelgebende Frage zurück: Können gute Bauverträge die Auswirkungen von Erdbeben abmildern?

Hillig: Die meisten der im Laufe der 25. Sitzung genannten Punkte, darunter auch das so wichtige Vier-Augen-Prinzip der unabhängigen Überprüfung, lassen sich in Bauverträgen als Pflicht einer Partei vorgeben. Somit lautet die Antwort eindeutig: Ja!  (lacht)

Herr Dr. Hillig, Frau Allgeyer, wir danken für das Gespräch.

Rechtsanwalt Dr. Jan-Bertram Hillig

  • Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
  • Mitglied der ARGE Baurecht seit 2013
Leiter Arbeitskreis Internationales Baurecht
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Dipl.-Jur. Liliane Allgeyer

  • Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei GSK Stockmann
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