Plädoyer für einen Paradigmenwechsel im Umgang mit dem Soll-Bauablauf

Eine fachgerechte und ausreichend detaillierte Planung ist für die mangelfreie Errichtung eines Bauwerkes unabdingbar. Aber auch nach Fertigstellung und Abnahme auftretende Baumängel können im Rahmen der Nacherfüllung durch den Werkunternehmer häufig ohne eine Planung nicht fachgerecht beseitigt werden. Dieser Beitrag geht der Frage nach, von wem wann welche Art von Planungsleistungen für die Nacherfüllung erbracht werden müssen.

I. Ausgangspunkt

Im Gegensatz zu einem Ausführungsplan, dessen Inhalte vertragskonform zu realisieren sind, sind die zahlreichen Vorgangsbalken und deren zeitlichen Lagen eines vertraglich vereinbarten Terminplans unverbindlich. Umgangssprachlich ausgedrückt, ist der in einem Vertragsterminplan abgebildete Bauablauf nicht vom Auftragnehmer „abzuliefern“. Er kann also den per Vertrag geschuldeten Werkerfolg auch mit anderen Bauabläufen bewirken. Des Weiteren ist zu betrachten, weshalb dem Vertragsterminplan überhaupt eine derart besondere Rolle zufällt. Denn ganz grundsätzlich muss festgestellt werden, dass der Vertragsterminplan verschiedenartigen und veränderlichen Rahmen- und Randbedingungen unterliegt und mitunter einen mehrjährigen Planungshorizont umfasst. Damit liegt es auf der Hand, dass Soll- und Ist-Bauablauf voneinander abweichen. Dies ist sowohl baurechtlich als auch baubetrieblich bekannt. Und dennoch werden einzelne (isolierte) Ablaufketten dieses – sich (nahezu) niemals realisierenden – „Soll-Bauablaufs“ für die störungsmodifizierte Fortschreibung gestörter Bauabläufe verwendet.

Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte  fordert in ihren Urteilen bezüglich gestörter Bauabläufe, dass im Rahmen der bauablaufbezogenen Darstellung eine Gegenüberstellung von Soll- und Ist-Bauablauf vom Anspruchsteller vorzulegen ist. Dieser Darstellung sollen sodann die kalkulierten Kapazitäten zugeordnet werden. Darüber hinaus wird eine Schlüssigkeit des Sollbauablaufs zur Kalkulation des Auftragnehmers verlangt. Neben diesen grundsätzlichen Eigenschaften des Bauablaufs werden von der OLG-Rechtsprechung weitere inhaltliche Eigenschaften des Vertragsterminplans gefordert. So heißt es, der Terminplan müsse verbindlich und rechenbar sein. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass alle vorgenannten von den OLG-Rechtsprechungen geforderten Eigenschaften nicht dem eigentlichen Zweck, beziehungsweise der Aufgabe eines Terminplans entsprechen.

 

II. Wesen und Aufgabe der Terminplanung

Der Begriff Terminplanung wird meist auf die Planung des zeitlichen Ablaufs einer Produktion oder bestimmter Vorhaben bezogen. In beiden Fällen gilt es zunächst, im Rahmen der Ablauforganisation die Abläufe beziehungsweise Zwänge des Vorhabens zu ermitteln und diese dann in einzelne zeitlich planbare Vorgänge aufzuspalten. Danach werden diese Vorgänge in der Ablauf- und Terminplanung miteinander verknüpft beziehungsweise gekoppelt und terminiert. Die Terminplanung dient also, unter Beachtung der Ablauforganisation des Vorhabens, der Terminierung und Kalendrierung von Tätigkeiten und Ereignissen. Dabei umgreift die Terminplanung systematisch alle zielorientierten Tätigkeiten der Ermittlung (Analyse) und Entscheidung (Festlegung, Begrenzung, allgemeine Strukturierung) zeitlicher Handlungsspielräume von Teilprozessen (zeitliche Prozessstrukturierung). Die Kernaufgabe der Terminplanung enthält insoweit ein Gestaltungsproblem, das unter Berücksichtigung vielfältiger Restriktionen Prozesse durch Terminstrukturen ersetzt beziehungsweise diese mit zeitlichen Handlungsspielräumen belegt, so dass ein (oder mehrere) Optimierungsziele mit vorgegebenen oder im Planungsprozess selbst entwickelten Referenzen erreicht werden können. Terminplanung kann dabei auch mit Maßnahmen-, Ressourcen- und Zielplanungen verbunden sein, sodass daraus gesetzte Bedingungen oder übergreifende Zielvorstellungen berücksichtigt werden können.

Im engeren Sinne kann der Terminplanungsprozess auch als kurzfristiger statischer Prozess angesehen werden, da nur die zum Planungszeitpunkt bekannten (existierenden) Vorgänge und die dazugehörigen Beurteilungs- und Entscheidungsparameter in einen Terminplan eingehen können. Die Erstellung eines Terminplans – der Terminplanungsprozess – kann also immer nur auf der Basis des zum Planungszeitpunkt vorhandenen Wissensstandes erfolgen. Es gehen somit nur der gegenwärtige Planungsinhalt und die gegenwärtig prognostizierbaren Realisierungsumstände und -randbedingungen in den Terminplanungsprozess ein. Demnach ist der Begriff Terminplanung auch als Planungsvorgang, der zukünftige Geschehnisse in der Gegenwart festlegt, zu verstehen. Dies schließt andererseits spätere steuernde Eingriffe, die in aller Regel zu einer Modifizierung der Terminplanung führen, nicht aus. Durch die (mehrmalige) Modifizierung der Terminplanung wird im Gegenteil aus dem eigentlich statischen Terminplan insgesamt ein dynamischer Terminplanungsprozess.

Insgesamt umfasst die Terminplanung das strukturierte Vordenken und zeitliche Organisieren zukünftiger Geschehnisse. Das Abbild dieser Planungshandlung ist der Terminplan. Darüber hinaus kann auf Grundlage des Terminplans eine verifizierende Verfolgung der Terminplanung durch den Vergleich von Soll- und Ist-Zuständen durchgeführt werden. Hierbei können Produktionsgeschwindigkeiten, also die Überprüfung von zuvor eingeschätzten Vorgangsdauern, kontrolliert werden. Zudem lassen sich im Soll-Terminplan eingeplante Mitwirkungshandlungen hinsichtlich ihres tatsächlichen Eintritts verfolgen.

Wird während der Bauausführung im Rahmen einer Ablaufkontrolle festgestellt, dass maßgebende Abweichungen vorliegen, so kann mithilfe der zum Betrachtungszeitpunkt vorliegenden Informationen steuernd in die Terminplanung eingegriffen werden. Das bedeutet, dass bisher geplante und in der Zukunft liegende Abläufe überdacht und so angepasst werden können, dass sich entweder das ursprüngliche Projektziel erreichen lässt oder die Verschiebung einzelner Fristen inkl. der damit verbundenen Teilbauabläufe festgelegt werden kann.

 


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Der vollständige Aufsatz „Plädoyer für einen Paradigmenwechsel im Umgang mit dem Soll-Bauablauf" von Dr.-Ing. Michael Mechnig erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2023, 304 - 311, Heft 2a). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.