„Der untätige Bauträger“

Rechtsanwalt Dr. Söre Jötten betrachtet und erläutert die Möglichkeiten eines beratenden Anwalts, unter Berücksichtigung der Neuregelung des Bauträgervertrags, die Fertigstellung des Baus zu bewirken, ohne die Erwerber dem Risiko auszusetzen, ihre individuellen Eigentumsübertragungsansprüche und die damit akzessorischen Vormerkungen zu verlieren.

Kommt es im Rahmen eines Bauträgervertrags zu Verzögerungen und bleibt der Bau schlussendlich stecken, bedeutet dies für die Erwerber bzw. die (werdende) Wohnungseigentümergemeinschaft viel Frust und auch für den beratenden Anwalt eine besondere Herausforderung. Dieser muss den schwierigen Spagat schaffen, auf die Fertigstellung des Baus hinzuwirken, sei es durch den Bauträger oder einen Dritten, ohne die Erwerber dem Risiko auszusetzen, ihre individuellen Eigentumsübertragungsansprüche und die damit akzessorischen Vormerkungen zu verlieren. Dieser Beitrag untersucht, welche Möglichkeiten insoweit bestehen, insbesondere unter Berücksichtigung der Neuregelung des Bauträgervertrags in §§ 650u f. BGB.

I. Einleitung

Das Bauträgermodell erfreut sich insbesondere im Geschosswohnungsbau unveränderter Beliebtheit. Der Bauträgervertrag ist in §§ 650u f. BGB . seit dem 01.01.2018 auch gesetzlich geregelt. Er zeichnet sich gem. § 650u Abs. 1 BGB – entsprechend der schon zuvor allgemeinen Auffassung – durch die werkvertragliche Herstellungspflicht und die kaufvertragliche Übereignungspflicht eines Bauwerkes aus. Vertragspartner des Bauträgers sind regelmäßig Verbraucher, die sich den Traum von der Eigentumswohnung verwirklichen wollen.

Für diese handelt es sich bei dem Bauträgervertrag um ein risikobehaftetes Rechtsgeschäft. Die Insolvenz des Bauträgers vor Fertigstellung des Bauvorhabens dürfte die größte Gefahr für Erwerber darstellen. Entsprechend intensiv wird auch bereits seit Jahren diskutiert, wie ein höheres Schutzniveau für Erwerber erreicht werden kann. Zeitlich vor einer ggf. drohenden Insolvenz des Bauträgers begegnen Erwerber zunehmend einem anderen Problem: Der Bau „bleibt stecken“, bspw. nach Übergabe des Sondereigentums an Erwerber und vor abnahmereifer Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums. Zu diesem Zeitpunkt haben die Erwerber üblicherweise bereits einen Großteil des Kaufpreises gezahlt und Besitz an der Wohnung erlangt, aber noch nicht Eigentum erworben. Letzteres steht vielmehr noch dem Bauträger zu; der Eigentumsübertragungsanspruch ist lediglich durch die akzessorische Auflassungsvormerkung gesichert. Zeigen sich erhebliche Mängel, die der abnahmereifen Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums entgegenstehen, ist das Interesse des Bauträgers in Anbetracht der geringen ausstehenden Restzahlungen oftmals klein, mit großem finanziellen Aufwand auf eine Fertigstellung oder Beseitigung kostenträchtiger Mängel, die sich zwischenzeitlich gezeigt haben, hinzuwirken. Er bleibt trotz Ablauf des vertraglich vereinbarten Fertigstellungstermins untätig. Als der „am besten abgesicherte Gewerbetreibende am Bau“ spielen Fragen der Zahlungsfähigkeit der einzelnen Erwerber für den Bauträger sowieso keine große Rolle. Der einzelne Erwerber bzw. die (werdende) Wohnungseigentümergemeinschaft begehren die abnahmereife Fertigstellung des Bauwerkes. Zugleich wollen die Erwerber Eigentum an der Wohneinheit erwerben. Ihren Eigentumsverschaffungsanspruch und damit die akzessorische Vormerkung dürfen sie daher unter keinen Umständen verlieren. Dies hätte schließlich zur Folge, dass im Falle der Rückabwicklung des Vertrages Rückzahlungsansprüche der bereits geleisteten Raten nicht mehr abgesichert wären.

Für die baurechtliche Beratungspraxis bedeutet diese Konstellation eine besondere Schwierigkeit, die mit erheblichen Haftungsrisiken verbunden ist. Es soll nachfolgend zunächst untersucht werden, ob die bislang in der Praxis vorherrschende Teilkündigung des Bauträgervertrages oder die Geltendmachung von werkvertraglichen Gewährleistungsansprüchen auch weiterhin in Betracht kommen. Anschließend erfolgt eine Analyse des bislang in der Praxis wenig bedeutsamen werkvertraglichen Erfüllungsanspruches sowie denkbarer Ansprüche aus dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht.

II. Kündigung und Gewährleistungsansprüche

Kommt es bei der Abwicklung von Bauverträgen zu Komplikationen, weil der Werkunternehmer das Werk nicht fertigstellt und Mängel nicht beseitigt, ist es auf den ersten Blick naheliegend, den Vertrag vorzeitig zu beenden, das Werk durch einen Dritten fertigstellen zu lassen und ggf. gewährleistungsrechtliche Mängelansprüche geltend zu machen. Auch der bisherigen Rechtsprechung, die ein Steckenbleiben des Baus betrifft, liegen ganz überwiegend Sachverhalte zu Grunde, in denen Erwerber den Vertrag außerordentlich gekündigt haben oder Gewährleistungsrechte geltend machen. Es soll daher zunächst untersucht werden, inwieweit nach der zum 01.01.2018 in Kraft getretenen Novellierung des Bauvertragsrechts und der Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahre 2017 zur Geltendmachung von Gewährleistungsrechten erst nach Abnahme diese Möglichkeiten auch weiterhin bestehen.

1. Das Kündigungsrecht des Erwerbers

In Bauträgerverträgen war die freie Kündigung des bauvertraglichen Teils des Bauträgervertrages nach ständiger Rechtsprechung des BGH stets ausgeschlossen, dies hat nun in § 650u Abs. 2 BGB auch Eingang in das Gesetz gefunden. Einzelne Erwerber konnten vor der Novellierung des Bauvertragsrechts nach ganz herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur unter bestimmten Voraussetzungen aber den bauvertraglichen Teil des Bauträgervertrages aus wichtigem Grund wirksam kündigen. Dieses Kündigungsrecht wurde mangels entsprechender Regelung im Werkvertragsrecht auf § 314 BGB analog gestützt. Wann ein wichtiger Grund vorliegt, ist dabei Frage des Einzelfalles. Dass eine erhebliche Verzögerung des Bauvorhabens und damit das hier diskutierte Steckenbleiben des Baues ein wichtiger Grund sein kann, ist in der Rechtsprechung aber unumstritten. Wird der bauvertragliche Teil des Bauträgervertrages aus wichtigem Grund gekündigt, so kann der Erwerber unter Anrechnung der für das Grundstück und für das bis dahin erstellte Bauwerk geleisteten Zahlungen die Übereignung verlangen. Zugleich kann er einen Drittunternehmer beauftragen, das Werk fertigzustellen. Ob auch im Geschosswohnungsbau nach bis zum 31.12.2017 geltender Rechtslage die außerordentliche Kündigung der Bauverpflichtung aus wichtigem Grund von nur einem einzelnen Erwerber erklärt werden kann, ggf. gedeckt von einem Mehrheitsbeschluss der (werdenden) Wohnungseigentümergemeinschaft, oder nicht vielmehr nur eine Kündigung durch die Mehrheit der Erwerber in Betracht kommt, ist höchstrichterlich nicht geklärt.

 

Rechtanwalt Dr. Söre Jötten


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz "Der untätige Bauträger" von Rechtanwalt Söre Jötten erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2021, 1-12, Heft 1). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.