KI in der Baurechtskanzlei

Tom Braegelmann ist sowohl in Deutschland als auch in den USA als Rechtsanwalt zugelassen. Nach seinem LL.M. war er drei Jahre als Rechtsanwalt in New York tätig und von den quasi unbegrenzten digitalen Möglichkeiten begeistert. „Schon damals, 2008, konnte ich bei Gericht Schriftsätze direkt in die Akte hochladen. Das gibt es bis heute so nicht in Deutschland“, sagt er. Zurück in Deutschland („Ich fühlte mich fast in die Steinzeit zurückversetzt“) blieb er dem Thema LegalTech verbunden und ist heute ein gefragter Insolvenz- und Restrukturierungsexperte. Wir sprachen mit ihm über die Bedeutung der neuen Technologien in der anwaltlichen - insbesondere in der baurechtlichen - Praxis.

Herr Braegelmann, einige halten KI für eine weitere industrielle Revolution, andere sehen darin die größte Veränderung seit der Erfindung des Buchdrucks. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen (kichert). Den Buchdruck halte ich für zu hoch gegriffen, die industrielle Revolution wiederum trifft nicht den Punkt. Aber eines ist klar: Das, was da gerade passiert, wird weitreichende Konsequenzen haben und unser Leben verändern. Ein Beispiel: Seit der Einführung von Chat GPT gibt es an den Berliner Schulen meines Wissens ab Klasse 7 kaum noch Hausarbeiten, bei denen zu Hause sehr viel geschrieben werden müsste, da die Lehrer genau wissen, dass die Schüler den Textgenerator nutzen, um die Aufgaben ganz oder partiell zu erledigen. Größere Schreibaufgaben werden nur noch in der Schule unter menschlicher Aufsicht verfasst. Die neue Technologie hat also bereits allein durch ihre Existenz die deutsche Schule in ihrem Alltag verändert. Das kann man nicht von jeder Technologie behaupten Das werden wir in allen Bereichen sehen. Ich würde von einer einschneidenden Teil-Disruption sprechen, aber keine, die uns Menschen abschafft. Vielmehr geht es um Augmentation, also um die Erweiterung unserer Möglichkeiten und darum Dinge effizienter tun zu können.

Welche Möglichkeiten bieten die neuen Technologien für die anwaltliche Praxis?

Ganz klar: Zeitersparnis – zumindest für die Routineaufgaben. Gleichzeitig könnten einige Dinge, die bisher spezielle juristische Arbeit und menschliche Aufmerksamkeit erforderten, zu Routineaufgaben werden. Originäre menschliche Arbeit, ein großer Revisionsschriftsatz, ein vertieftes juristischen Memorandum oder die Kernstücke eines Urteils, bleibt davon weitgehend unberührt. Dafür brauchen Sie sehr viel Wissen und Erfahrung, aber auch Kreativität und die Fähigkeit zu bewerten, Qualitäten also, über die Maschinen naturgemäß nicht verfügen (und selbst wenn es so aussieht, dass sie darüber verfügten, dann simulieren sie dies nur). Aber die anwaltliche Praxis besteht ja noch aus anderen werthaltigen juristischen Teilen und repetitiven Arbeiten, die bisher von Kollegen und Kolleginnen, wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Referendaren erledigt werden. Ich denke an juristische Recherchen, das Zusammenfassen von juristischen Meinungen und Streitständen das Auswerten großer Dokumentenmengen oder erste Entwürfe von Schriftsätzen. Das geht mit KI schneller und vielleicht sogar besser. Die gesparte Zeit kann ich als Anwalt nutzen und mich um die inhaltliche Qualität zu kümmern.

 

Chat GPT kann sehr schnell recht ordentlich schreiben. Wenn man die Maschine entsprechend trainiert, kann Sie sich sogar individuelle Schreibstile merken. Was bedeutet das für juristische Texte?

Ich würde mal vermuten, dass die Textqualität durch KI steigt. Wir Anwälte sind ja nicht unbedingt bekannt für unsere schriftstellerischen Fähigkeiten (lacht). Es gibt schon manche, die können sehr schön und überzeugend schreiben, gleich beim ersten Entwurf. Das ist aber nicht allen von uns gegeben und es fließt dann immer sehr viel Mühe in den Inhalt und dann auch noch den Ausdruck. Dass es auch nicht per se falsch, denn beim Schreiben verfertigt man eben auch seine Gedanken, vertieft und verschärft seine Argumentation - aber diese Teile soll der Bot ja auch gar nicht ersetzen, sondern die Teile, wo man eben nicht juristisch, gedanklich, handwerklich alles geben muss.

 

Nur ein Mensch kann entscheiden, wie mit Unwägbarkeiten umzugehen ist.

 

Wo sehen Sie die Grenzen von KI in der anwaltlichen Praxis?

Ganz klar: Sachverhaltserfassung kann keine KI für Sie erledigen. Die Maschine hat keine Augen und kann nicht aus dem Gesamteindruck einer Person beurteilen, ob diese als Zeuge die Wahrheit sagt. KI kann auch nicht ohne weitere Kenntnisse beurteilen, ob ein Sachverständigengutachten, das kohärent wirkt, tatsächlich richtig ist. Auch einen Mangel auf der Baustelle kann KI nicht erfassen, die Dialog-Plattform würde den Weg zur Baustelle nicht mal finden. Man muss sich klarmachen: Das sind Text- Verwandlungsmaschinen, keine All-Round-Roboter. Unklare, fragmentarische Sachlagen stellen ebenfalls eine Grenze dar. Dazu mein Lieblingsbeispiel: Ich habe einen Darlehensvertrag samt fünf Nachträgen , der dritte Nachtrag ist nicht vollständig unterschrieben, der vierte fehlt ganz. Im Übrigen hat man nur Teile eines E-Mails Verkehrs zur Erläuterung von vor sieben Jahren. Was nun? Nur ein Mensch kann entscheiden, wie mit solchen Unwägbarkeiten umzugehen ist. Viele andere typische anwaltliche Tätigkeiten kann KI ebenfalls nicht übernehmen. Dazu gehört es, streitige Dinge zu entscheiden, oder zwischen richtig oder falsch zu unterscheiden.

Wie sieht es mit Zwischentönen oder gar Gefühlen aus? Wie geht KI mit diesen naturgemäß menschlichen Qualitäten um?

Keine Maschine der Welt kann Emotionen wahrnehmen. Allerdings wird es sicherlich Anbieter geben, die behaupten, dass Maschinen Gefühle wahrnehmen können. In Wirklichkeit werden diese Maschinen, da sie nicht Gedanken lesen können, immer nur verschiedene physischen Äußerungen und Bewegungen von Menschen wahrnehmen und daraus Korrelationen ableiten und dann vielleicht kausale Schlüsse ziehen. Aber ob das jemanden überzeugt? Vielleicht verstößt das dann auch gegen den kommenden EU AI Act. Bisher jedenfalls kann keine KI einem Mandanten das Gefühl geben, dass die Dinge in Ordnung kommen, weil die bisherige Erfahrung dafür spricht.

Was sollten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte jetzt tun, um sich bestmöglich auf die Entwicklung einzustellen?

Ganz wichtig ist es, neugierig zu bleiben und die neuen Möglichkeiten auszutesten. Juristen sollten auch in der Lage sein, alte Gewohnheiten abzulegen und durch neue, sinnvolle zu ergänzen. Dabei sollten Sie weiterhin kritisch bleiben. Ich bin beileibe kein Technik-Euphoriker, schätze aber die neuen Möglichkeiten, die uns die Technologien bieten, wenn Sie uns das Leben leichter machen und es uns ermöglichen, wie in diesem Fall, besser zu schreiben (und dann natürlich auch bessere Texte zu lesen, denn die anderen werden das ja auch nutzen).

Diverse Rechtsnormen, anspruchsvolle Bautechnik, viele Beteiligte, lange Laufzeiten - baurechtliche Fälle sind naturgemäß komplex und vielschichtig. Wie kann KI helfen? 

Dem Vernehmen nach kommen Baurechtsfälle häufig mit Unmengen an Unterlagen daher. Hier kann KI helfen, die Unterlagen auszuwerten, nach bestimmten Schlagworten zu durchsuchen. Standardisierung, Dokumentation und Mustererkennung gehören auch zu den Stärken von KI. Beispielsweise könnten Verträge mit Vorlagen abgeglichen werden und bei Unstimmigkeiten markiert das System dann entsprechende Stellen, sodass ein Mensch das noch einmal prüfen und Kohärenz herstellen kann.

Herr Braegelmann, vielen Dank für das Gespräch.

Tom Braegelmann

  • Rechtsanwalt
  • Attorney and Counsellor at Law (New York) Of Counsel
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