Sie waren von 2004 bis 2011 als Richter am Landgericht tätig. Das Baurecht hatten Sie seinerzeit gar nicht auf dem Schirm, oder?
Tatsächlich hat mich erst die Richterlaufbahn zum Baurecht geführt. Nach dem Referendariat habe ich direkt als Richter angefangen, wurde in die Justizbehörde abgeordnet und war dort im ersten Jahr mit Öffentlichem Recht und Europarecht befasst. Bis ich dann als `Richter auf Probe´ in einer Baurechtskammer des Landgerichts Hamburg gelandet bin.
Und hier startete dann Ihre Liaison mit dem Baurecht?
Ganz genau. Für das Zivilrecht hatte ich schon während meiner Studienzeit eine Vorliebe, habe dort auch promoviert. Von daher kam mir der Einsatz in einer Zivil- und Baurechtskammer sehr entgegen. Dass ich mich im Baurecht so zuhause fühle, kam aber auch für mich unerwartet. Ich bin dann auch noch nach meiner Ernennung als Richter auf Lebenszeit fast fünf Jahre dort geblieben. Dann habe ich einen kurzen Zwischenstopp als Amtsrichter eingelegt und eine Strafabteilung geleitet. Ich wollte nochmal einen anderen Blick wagen. Natürlich auch, weil das die Chancen auf eine Beförderung für einen jungen Nachwuchsrichter steigert. Nach diesen sieben Jahren als Richter habe ich mich dann entschieden auszusteigen.
Was hat Sie zu dieser Entscheidung bewogen?
Hauptgrund war, dass man als Richter immer nur die ‚kaputten‘ Fälle auf den Tisch bekommt. Da ist der Karren dann schon an die Wand gefahren und die Parteien sind zerstritten. Und am Ende gibt es bei Bauangelegenheiten selten die oder den glücklichen Gewinner. Oftmals steht am Ende ein Vergleich, was auch sinnvoll ist, häufig aber mit dem Totschlag-Argument, dass bei langen Prozessen beide Parteien verlieren. Mir haben hier die inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeiten gefehlt:
Frühzeitig Projekte begleiten, beraten und mit Weitblick kommunizieren – das war und ist für mich der Reiz des Baurechtsanwalts. Weniger Vergangenheitsbewältigung und mehr Zukunftsgestaltung.
Was raten Sie einem Baurechtsanwalt, wenn der Richter mit den technischen Details einer Sachlage nicht vertraut ist?
Anschaulich erklären und bildhaft darstellen: Ein echtes Verständnis der Details ist das A und 0 für eine fundierte Prozessführung, aber auch für eine kompetente Rechtsberatung. Da muss man den Mandanten dann auch manchmal auf den Füßen – oder in diesem Fall auf der Baustelle – stehen, um richtig durchzusteigen.
Denn Bauen ist facettenreich, neben den Standards ist die Bandbreite an Bauwerken und zugehörigen Details einfach riesig. Auch das macht für mich die Attraktivität des Rechtsgebiets aus.
Dass das nicht nur für uns Rechtsanwälte täglich neue Herausforderungen mit sich bringt, sondern allen voran auch junge Richterinnen und Richter immer wieder mit neuen Inhalten konfrontiert werden, versteht sich danach von selbst. Von daher gilt die Devise: Sachverhalte nicht nur benennen, sondern bei Bedarf auch erörtern und am besten plastisch darstellen. Es hilft beispielsweise schon oft, aus den Architektenplänen heraus Übersichtsbilder oder das defekte Bauteil in den Schriftsatz einzukopieren. Damit ist schon einiges gewonnen.
Seit 2013 sind Sie nun also Rechtsanwalt in einer großen Baurechtskanzlei. War das eine bewusste Entscheidung?
Ganz klar: Jein (lacht). Wie so häufig im Leben kamen auch hier mehrere Umstände zusammen. Eine wichtige Rolle hat für mich das gemeinsame Arbeiten mit Kolleginnen und Kollegen gespielt. Als Einzelanwalt geht außerdem mehr Zeit für Verwaltungstätigkeiten drauf. Ich wollte mich inhaltlich aber gerne so weitgehend wie möglich der anwaltlichen Tätigkeit widmen. Und dass ich im Bau- und Immobilienrecht bleibe, war nach meiner langjährigen Tätigkeit in einer Baurechtskammer naheliegend. Bei meiner jetzigen Kanzlei Kapellmann habe ich mich auf die Empfehlung eines Kollegen hin beworben. Und mich auch gleich überzeugen lassen.
Sie kennen das Baurecht aus verschiedenen Perspektiven und sind dem Rechtsgebiet bis heute treu geblieben? Warum?
Man sieht, was man tut, im wahrsten Sinne des Wortes. Zum Beispiel lässt sich bei einem Spaziergang durch die Stadt live mitverfolgen, wie ein noch bebautes Grundstück angekauft wird, bestehende Bebauung abgerissen, das Fundament des neuen Bauvorhabens gelegt wird, während man selbst gleichzeitig die Bindung von Planern, Architekten, Ingenieuren und Bauunternehmen begleitet. Das ist sehr spannend. Baurecht ist plastisch und dynamischer als es auf den ersten Blick wirkt. Für das Baurecht sprechen auch die Mandanten und Kollegen: So naheliegend es scheint, so wertvoll ist es doch in den Verhandlungen, dass viele Menschen hier Klartext sprechen, pragmatisch sind und keine Prinzipienreiter.
Ich habe viele Mandanten, mit denen ich auch privat ein Bier trinken gehen würde. So macht arbeiten Spaß.
Warum sollte sich der Nachwuchs für das Baurecht entscheiden?
Neben der Tatsache, dass das Baurecht aus den genannten Gründen viele Vorzüge mit sich bringt, gibt es kaum einen stabileren Rechtsbereich oder eine verlässlichere Branche. Denn gebaut werden wird immer. Ob Neubau, Umbau oder Modernisierung – es gibt immer was zu tun!
Wie finden Jurastudierende am besten den eigenen Weg?
Jede Nachwuchsjuristin und jeder Nachwuchsjurist sollten sich die Zeit nehmen, sich ausreichend zu orientieren. Denn die Verästelungen und Möglichkeiten sind vielfältig. Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen, ‚alles in Ruhe auf sich zukommen lassen, offen sein, Dinge ausprobieren und auf sich selbst vertrauen‘. Mit ein bisschen Instinkt und Bauchgefühl findet sich dann der individuell richtige Weg ganz von allein.
Rechtsanwalt Dr. Stefan Bruinier
- Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
- Mitglied der ARGE Baurecht