Störung der Geschäftsgrundlage

Die durch politische und wirtschaftliche Umstände verursachten Preiserhöhungen für Baustoffe können für private Baufamilien existenzbedrohlich sein. Unternehmen versuchen, die gestiegenen Kosten an die Verbraucher weiterzugeben, und beru­fen sich auf § 313 BGB und den „Wegfall der Geschäftsgrundlage“: Für Bauherren stellt sich die Frage: Was bedeutet das eigentlich und muss ich das hinnehmen?

Die letzten Jahre und Monate wa­ren sehr turbulent auf den Bau­stellen: Im Januar 2020 brach die Corona-Pandemie aus, im Februar 2022 entflammte der Ukraine-Krieg und im Mai 2022 begann die Inflation stark anzusteigen, was zu einer Erhö­hung der Zinsen führte. Dennoch gilt grundsätzlich: Preiserhöhungen nach § 313 BGB nicht einfach hinnehmen, sondern rechtlich durch Fachanwälte für Baurecht prüfen lassen. In den meis­ten Fällen sind die Kostenerhöhungen gegenüber Verbrauchern nicht berech­tigt. Der Unternehmer muss die Mehr­kosten bauablaufbezogen begründenund Materialien vorhalten, wenn er ei­nen Auftrag annimmt.


Präventiv: Vertrag prüfen lassen
Maßgeblich ist, dass Verträge für beide Parteien bindend sind. Sofern dieser keine wirksame Preisanpassungsklau­seln enthält, ist dies für den Bauherrn von Vorteil, denn die Mehrkosten als Folge der Materialpreissteigerungen trägt dann das Unternehmen. Hier kann bereits erwähnt werden, dass Preisan­passungsklauseln in einem Vertrag mit Verbrauchern in vielen Fällen unwirk­sam sind. Aufgrund einer gegebenen­falls wirksamen Preisgleitklausel ist es Unternehmen allerdings möglich, die gestiegenen Kosten für Baumaterial vollständig an die Bauherren weiter­zugeben. Daneben werden häufig wei­tere Klauseln verwendet, die – auch wenn sie oft unwirksam sind –, den Preis scheinbar nachträglich erhöhen. Um sicherzugehen, dass der Vertrag keine verbraucherfeindlichen Klauseln enthält, die zu teuren Überraschungen während der Bauzeit führen können, sollte der Bauvertrag unbedingt vor der Unterzeichnung von einem Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, der sich im Verbraucherbaurecht spezialisiert hat, geprüft und angepasst werden. Die aktuelle Lage auf dem Markt macht es den Verbrauchern möglich, einen ausgewogenen und fairen Vertrag zu verhandeln. Sie sind keine Bittsteller, sondern Vertragspartner auf Augenhö­he. Unwirksame Klauseln können auch nach Vertragsschluss noch für unwirk­sam erklärt werden, mit der Folge, dass der Unternehmer an den ursprünglich vereinbarten Preis gebunden ist.
 

Vertrag kündigen
Eine weitere Möglichkeit ist die Kün­digung des Bauvertrages. Allerdings ist die sogenannte „freie“ Kündigung nach § 648 BGB stets gut abzuwägen und immer anwaltlich zu begleiten, da sie in der Regel mit hohen Kosten verbunden ist. Demgegenüber ist eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 648 a BGB nur möglich, wenn dieser Grund durch den Unternehmer verur­sacht wurde. Als Beispiel wäre der Fall zu nennen, dass die Ausführungsfris­ten aufgrund langer Lieferzeiten von Baumaterial nicht eingehalten werden können. Hier muss im Einzelfall geprüft werden, ob der Unternehmer den Ver­zug selbst verschuldet hat oder nicht. Die Kündigung des Vertrages ist ohne anwaltliche Prüfung auf jeden Fall riskant. Es empfiehlt sich einen Bau­vertrag niemals ohne fachanwaltliche Beratung zu kündigen.

 

Vertrag anpassen, gemäß § 313 BGB 
Letztlich besteht die Möglichkeit der Vertragsanpassung oder des Rücktritts aufgrund einer Störung der Geschäfts­grundlage nach § 313 Abs. 1 BGB. Eine solche Störung liegt vor, wenn:

  • sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nachträglich schwerwiegend verändert haben und 
  • die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung voraus­gesehen hätten und
  • einer Partei das Festhalten am un­veränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

 

Wann kann der Bauherr einen Vertrag kündigen?
Letztlich stellt sich die Frage, wann eine Geschäftsgrundlage derart gestört ist, dass der Bauherr aussteigen kann? Zu­nächst ist eine Vertragsanpassung vor­rangig. Erst wenn eine Vertragsanpas­sung nicht möglich oder unzumutbar ist, kommt ein Rücktritt in Betracht. Beispielsweise könnte dem Unter­nehmen eine teilweise Kostentragung unzumutbar sein, was einen Rücktritt möglich macht. Dieser könnte folgen­de Gründe haben:

  • Preiserhöhung: Ein Rücktritt vom Vertrag ist möglich, wenn der Bau­preis aufgrund der erhöhten Mate­rialkosten stark ansteigt. Allerdings hat jede Partei eine gewisse Preis­erhöhung selbst zu tragen, falls eine wirksame Preisgleitklausel verein­bart wurde. An diese Risikovertei­lung ist der Bauherr dann wieder unter dem Grundsatz „Verträge sind bindend“ bis zu einer gewissen Grenze gebunden.
  • Keine Beschaffbarkeit von Materia­lien: Eine weitere Möglichkeit liegt darin, dass das Unternehmen be­stimmte Materialien gar nicht be­schaffen kann und diese deshalb durch qualitativ minderwertige Al­ternativen ersetzen muss. Hier muss aber auch nachgewiesen werden, dass eine frühzeitige Beschaffung nicht möglich war.
  • Anstieg der Zinsen: Denkbar wäre letztlich auch ein zu starker Anstieg der Zinsen. Diese Umstände sind Grundlage des Vertrages, allerdings ist dabei zu beachten, dass ein sol­cher Zinsanstieg nicht von heute auf morgen geschehen ist und in den meisten Fällen vorhersehbar war. Außerdem liegt ein solcher Anstieg im Risiko des Bauherrn. Ein Rücktritt wird allein deswegen nur in Ausnah­mefällen möglich sein.

Zusammenfassend muss erwähnt werden, dass es immer auf die Be­trachtung des konkreten Einzelfalles ankommt. Pauschale Aussagen kön­nen hier nicht getroffen werden. Es ist dem Bauherrn dringend anzuraten, sich anwaltlich beraten zu lassen, da die richtige rechtliche Bewertung für Laien fast unmöglich ist. 

 

Wann kann das Unternehmen einen Vertrag kündigen? 
Grundsätzlich kann der Auftragnehmer – im Ge­gensatz zum Bauherrn – den Bauvertrag nicht frei kündigen. Und auf eine Störung der Geschäfts­grundlage können sich Unternehmer nur in beson­deren Ausnahmefällen berufen. Zwar ist der § 313 BGB ein zweischneidiges Schwert, was bedeutet, dass die oben genannten Ausführungen zur Stö­rung der Geschäftsgrundlage entsprechend auch für Unternehmen gelten. Jedoch genügt nicht das einfache Abstellen auf die Corona-Pandemie oder den Ukraine-Krieg. Vielmehr müssen die Baukos­ten, bauablaufbezogen, genauestens dargelegt werden. Lassen Sie also pauschale Hinweise auf die Pandemie oder den Krieg nicht einfach gelten und fordern Sie den Ersatz des Verzugsschadens. 

 

Was passiert bei Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht beim Hausbau? 
Es gibt drei Möglichkeiten, in denen der Bauherr seine Mitwirkungspflichten nicht erfüllen kann: 

  • Der Bauherr hat seine Mitwirkung noch nicht oder nicht ordnungsgemäß ausgeführt: Wenn im Ver­trag geregelt ist, dass der Bauherr Eigenleistun­gen erbringt oder er z. B. das Grundstück vorher roden muss, ist es wichtig, dass er diese Leistun­gen rechtzeitig erbringt. 
  •  Ein Vorunternehmer hat seine Arbeiten noch nicht oder nicht ordnungsgemäß ausgeführt: Wenn z. B. der Keller von einem anderen Unternehmer verspätet hergestellt wird, kann der Nachunter­nehmer nicht mit dem Hausbau beginnen. Als Bauherr muss man daher im Vertrag mit dem Vorunternehmer klare Regelungen zur Bauzeit treffen und Vertragsstrafen für den Fall der Über­schreitung der Bauzeit vereinbaren. 
  • Der Bauherr hat noch kein Grundstück: Leider kommt es häufig vor, dass Bauherren einen Bau­vertrag unterschreiben, ohne ein Grundstück zu besitzen. Ist die im Vertrag vereinbarte Festpreis­garantie abgelaufen, wird es für viele Bauherren sehr teuer. 

 

Vertragsschluss ohne Grundstück?
Der Bauherr hat im Sinne des § 642 BGB bestimmte Mitwir­kungspflichten beim Hausbau. Hierzu zählt u.a. die Pflicht, das Grundstück dem Unter­nehmer so zur Verfügung zu stellen, dass dieser seine Bau­leistung erbringen kann.
Auf gar keinen Fall sollte ein Verbraucher einen Bauvertrag unterschreiben, wenn noch kein Grundstück erworben wurde und nicht klar ist, wo gebaut wird. Ist der Vertrag schon unterschrieben und man will aus dem Vertrags­verhältnis aussteigen, sollte man sich auf die Unwirksam­keit wegen fehlender Ver­tragsgrundlagen berufen und die Erhöhung des Festpreises nicht akzeptieren. 

 


 

Manuela Reibold-Rolinger

  • Fachanwältin für Bau- und Immobilienrecht
  • Schlichterin nach SOBau und Mitglied in der ARGE Baurecht.
Gründerin der Bauglück GmbH
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Der Beitrag „Störung der Geschäftsgrundlage“ erschien zuerst in der Zeitschrift „bauen.", Ausgabe 4/5-2023. Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.