Störung der Geschäftsgrundlage am Bau

Wir leben in einer Welt, in der sich globale Krisen immer stärker auf die Realisierung von Bauvorhaben auswirken. Es stellt sich die Frage, wie das wirtschaftliche Problem nicht absehbarer, erheblicher Mehrkosten für die Leistungserbringung unter angemessener Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsparteien gelöst werden kann. Auch unabhängig von diesen globalen Problemen können die bei Vertragsschluss bestehenden Erwartungen beider Parteien, dass sich bestimmte Umstände nicht ändern werden, enttäuscht werden.

Die Lösung des Problems wird regelmäßig über die Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB gesucht. Anknüpfend an ihren gemeinsamen Vortrag bei der 60. Baurechtstagung in Berlin erörtern Rechtsanwältin Dr. Birgit Franz und Rechtsanwalt Prof. Werner Langen die Frage, ob von dem Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage zu Recht so restriktiv Gebrauch gemacht wird, wie die Rechtsprechung dies vermuten lässt.

I. Einleitung

Wir leben in einer Welt, in der sich globale Krisen immer stärker auf die Realisierung von Bauvorhaben auswirken. Dies hat sich jüngst durch die Corona-Krise und im Anschluss daran als Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gezeigt: Folge waren Materialknappheit sowie massiv steigende Baustoffpreise. Auch in der Zukunft sind ähnliche fundamentale Entwicklungen nicht ausgeschlossen. Es stellt sich die Frage, wie das wirtschaftliche Problem nicht absehbarer, erheblicher Mehrkosten für die Leistungserbringung unter angemessener Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsparteien gelöst werden kann.

Auch unabhängig von diesen globalen Problemen können die bei Vertragsschluss bestehenden Erwartungen beider Parteien, dass sich bestimmte Umstände nicht ändern werden, enttäuscht werden. Die Lösung des Problems wird regelmäßig über die Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB gesucht. Die Anspruchsvoraussetzungen sind allerdings in der Regel sehr hoch. Insbesondere die Zumutbarkeitsschwelle ist nicht einfach zu überspringen. Die Autoren setzen sich damit auseinander, ob von dem Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage zu Recht so restriktiv Gebrauch gemacht wird, wie die Rechtsprechung dies vermuten lässt. Sie widmen sich dieser Fragestellung – mit Blick auf die Rechtsprechung und die jüngsten Beiträge der Literatur – vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs. Hierbei liegt der Fokus auf der Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag und der Anpassung der vereinbarten Vergütung.

II. Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB

Verträge können durch nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Umstände in ihren Grundlagen so schwerwiegend gestört sein, dass ihre unveränderte Durchführung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, nicht mehr zumutbar erscheint. Die Gründe hierfür können Sozialkatastrophen wie Krieg, Währungsverfall oder Umweltkatastrophen sein und sich auf eine Vielzahl von Verträgen auswirken; sie können aber auch nur einen Vertrag oder eine begrenzte Zahl von Verträgen betreffen.1 Die Rechtsprechung hat für diese Fälle – beginnend mit diversen Reichsgerichtsentscheidungen, die im Zusammenhang mit dem 1. Weltkrieg ergangen sind2 – aus dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB das Rechtsinstitut des Fehlens oder des Wegfalls, kurzum also der Störung der Geschäftsgrundlage entwickelt. Der Gesetzgeber hat dieses Rechtsinstitut mit der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 in § 313 Abs. 1 BGB wie folgt kodifiziert.

„Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.“

Die gesetzliche Regelung gibt die von der Rechtsprechung entwickelten Leitlinien in allgemeiner Form wieder, da das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage einer detaillierten Regelung nicht zugänglich ist. Auf eine offene Umschreibung durch Regelbeispiele wurde bewusst verzichtet. Die weitere Konkretisierung bleibt der Rechtsprechung überlassen.3 Dementsprechend ist der Tatbestand von unbestimmten Rechtsbegriffen geprägt. Konkret handelt es sich um folgende drei Tatbestandsmerkmale:

  • Bestimmte Umstände, die zur Geschäftsgrundlage des Vertrages geworden sind, müssen sich nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben (vgl. hierzu Ziffer IV und V).
  • Bei Vorhersehung dieser Umstände hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen (vgl. hierzu Ziffer VI).
  • Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, darf einem Teil das Festhalten am Vertrag nicht zumutbar sein (vgl. hierzu Ziffer VIII).

Bevor auf das letztgenannte Tatbestandsmerkmal näher eingegangen werden kann, dessen Konkretisierung sich die Rechtsprechung in verschiedenen Entscheidungen angenommen hat, gilt es die erstgenannten beiden Tatbestandsmerkmale in gebotener Kürze für den Fall des vorliegend näher zu untersuchenden Ukraine-Krieges zu prüfen.

 

 


 

- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „Störung der Geschäftsgrundlage am Bau " von Dr. Birgit Franz und Prof. Dr. Werner Langen erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2023, 845 - 860, Heft 5). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.