Mehrkostenrisiko übernommen: Weitere Nachträge ausgeschlossen?

OLG Rostock, Urteil vom 26.11.2019 - 4 U 47/18; BGH, Beschluss vom 23.09.2020 - VII ZR 290/19 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen) BGB §§ 133, 157, 642; GG Art. 103 Abs. 1; VOB/B § 2 Abs. 5, 6, § 6 Abs. 6; ZPO § 139

1. Vereinbaren die Parteien eines Bauvertrags in einer Ergänzungsvereinbarung, dass "für sämtliche erforderlichen Leistungen zur Realisierung der zweiten Baustufe ein Gesamt-Pauschalpreis neu gebildet wird" und damit "gleichermaßen die bekannten, zugleich aber auch sämtliche unbekannten Sachverhalte, die zur vertragsgemäßen Fertigstellung der Gesamtleistung erforderlich sind und die Mehrkosten nach sich ziehen können," erledigt werden sollen, trägt der Auftragnehmer die Beweislast dafür, dass ein Mehrvergütungsanspruch von dem in der Ergänzungsvereinbarung geregelten Vollständigkeits- und Mehrkostenrisiko nicht erfasst wird.
2. Nach Übernahme des Vollständigkeits- und Mehrkostenrisikos kann sich der Auftragnehmer nur noch ausnahmsweise auf einen Mehrkostensachverhalt berufen

Problem/Sachverhalt

Der Unternehmer macht aus abgetretenem Recht der Dach-ARGE, der er angehörte, Mehrkostenvergütungsansprüche aus Nachträgen wegen Mehrleistungen und Bauzeitverzögerung i.H.v. gut 25 Mio. Euro geltend. Zu Grunde liegt ein Detailpauschalvertrag zwischen dem Auftraggeber (AG) und der Dach-ARGE mit einem Pauschalpreis von ursprünglich 258 Mio. Euro. Die Vertragsparteien schlossen u. a. die hier streitige dritte Ergänzungsvereinbarung. Der darin vereinbarte Gesamtwerklohn betrug nun 298 Mio. Euro. Dieser wird als Gesamt-Pauschalfestpreis bezeichnet, mit dem "sämtliche Ansprüche des Auftragnehmers ... abgegolten" sind. Der Auftragnehmer verpflichtete sich dazu, "für den neu vereinbarten Gesamt-Pauschalfestpreis vollständig und ohne Anspruch auf weitere Vergütung sämtliche Leistungen zu erbringen, die zur funktionstüchtigen, mangelfreien, termingerechten und bezugsfertigen Herstellung des Bauvorhabens erforderlich sind". Für Vergütungs- und Mehrkostenansprüche enthält die Ergänzungsvereinbarung eine Einschränkung für vom AG geforderte geänderte oder zusätzliche Leistungen, die "nicht vom Vollständigkeitsrisiko gedeckt" sind oder sich aus behördlichen Auflagen ergeben. Da bereits zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Ergänzungsvereinbarung Streit über den Umfang des Vollständigkeits- und Mehrmengenrisikos bestand, unterschrieben die Beteiligten eine Protokollerklärung zur Vereinbarung, in der sie ihre wechselseitigen Auffassungen niederlegten, aber auch Komplexe festhielten, die übereinstimmend vom Mehrvergütungsrisiko ausgenommen sind. Das Landgericht hat die Klage u. a. mit der Begründung abgewiesen, die geltend gemachten Ansprüche seien durch die dritte Ergänzungsvereinbarung ausgeschlossen.

Entscheidung

Das hat vor dem OLG keinen Bestand! Es weist das Landgericht auf die in den Leitsätzen wiedergegebene Darlegungs- und Beweislast hin und verweist den Rechtsstreit an dieses zurück, da das Landgericht hierzu von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt übergangen habe.

Praxishinweis

Streitigkeiten über den Umfang des übernommenen Vollständigkeitsrisikos bei Abgeltungsklauseln und Globalpauschalpreisverträgen sind nicht selten. Parteien solcher Verträge sind gut beraten, eindeutig zu formulieren, welche Leistungen und Risiken vom vereinbarten (Zusatz-)Preis umfasst sind und welche nicht. Unklare oder "offene" Klauseln, von denen sich deren Verwender möglicherweise im Streitfall einen Vorteil erhofft, erweisen sich oft als "Boomerang".

VorsRiOLG a. D. Jörn Jenssen, Mülheim/Ruhr