80%-Regelung gilt auch im VOB/B-Vertrag!

KG, Urteil vom 02.11.2021 - 27 U 120/21 BGB §§ 650c, 650d; VOB/B § 2 Abs. 5, 6, 8, §§ 14, 16 Abs. 1

1. Auch im VOB-Vertrag kann der Auftragnehmer bei der Berechnung von geschuldeten Abschlagszahlungen 80% der Nachtragsvergütung ansetzen und im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend machen. Das gilt selbst dann, wenn die VOB/B "als Ganzes" vereinbart ist.
2. Abschlagszahlungen können im Rahmen eines VOB-Vertrags nur verlangt werden, wenn eine der Abschlagszahlung entsprechende vertragsgemäße Bauleistung erbracht worden und die Abschlagsrechnung prüfbar ist.
3. Als vertragsgemäß sind alle Leistungen anzusehen, für die dem Auftragnehmer gem. § 
2 VOB/B eine (Nachtrags-)Vergütung zusteht. Nicht erforderlich ist, dass eine Vereinbarung über die geänderte oder zusätzliche Vergütung zu Stande gekommen ist.
4. Der Auftraggeber kann im einstweiligen Verfügungsverfahren feststellen lassen, dass der Auftragnehmer vorläufig nicht berechtigt ist, Abschlagszahlungen i.H.v. 80% des Betrags aus einem Nachtragsangebot geltend zu machen.
5. Der Auftragnehmer muss in einem einstweiligen Verfügungsverfahren seinen Anspruch auf geänderte oder zusätzliche Vergütung darlegen und glaubhaft machen, wozu bei einem Anspruch auf zusätzliche Vergütung aus § 
2 Abs. 6 VOB/B gehört, dass er dem Auftraggeber den Anspruch vor der Ausführung angekündigt hat.

KG, Urteil vom 02.11.2021 - 27 U 120/21

BGB §§ 650c650d; VOB/B § 2 Abs. 5, 6, 8, §§ 1416 Abs. 1

 

Problem/Sachverhalt

Der Auftragnehmer (AN) hatte Abbrucharbeiten bei einem Universitätsgebäude übernommen. Es ist zu Zusatzleistungen und Behinderungen gekommen. Über die vom Auftraggeber (AG) anerkannten Zusatzleistungen hinaus hat der AN zwei Nachträge, insbesondere für das Vorhalten von Personenschleusen, i.H.v. über 560.000 Euro geltend gemacht und meint, ein Anspruch i.H.v. 80% der angebotenen Nachtragsvergütung über § 650c Abs. 3 BGB fordern zu können. Der AG möchte im einstweiligen Verfügungsverfahren festgestellt wissen, dass der AN zu entsprechenden Abschlagsforderungen nicht berechtigt ist.

Entscheidung

Der Antrag hat zur Hälfte Erfolg. Das KG stellt fest, dass der AN vorläufig nicht berechtigt ist, Abschlagszahlungen für die Leistung zu fordern, die er vor Ankündigung der Zusatzvergütung begehrt, weist aber den Antrag für die Zeit ab Ankündigung zurück. Insoweit stünden dem AN Abschlagszahlungen i.H.v. 80% seines Angebotspreises zu, da Abschlagszahlungen gem. § 16 VOB/B vereinbarte Abschlagszahlungen i.S.v. § 650c Abs. 3 BGB seien.

Praxishinweis

Die Berechtigung der Nachträge lässt sich anhand der Urteilsgründe nicht nachvollziehen und soll hier dahingestellt bleiben. Prozessual bejaht das KG mit der herrschenden Meinung die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 650d BGB auf den VOB/B-Vertrag, wobei der Sinn einer negativen Feststellungsverfügung mangels Rechtskraft einerseits und § 320 BGB bei Nichtzahlung der Nachtragsvergütung andererseits nur sehr begrenzt sein kann. Die Anwendung der materiell-rechtlichen 80%-Regelung des § 650c Abs. 3 BGB rechtfertigt das KG damit, dass die Anwendung dieser Vorschrift im VOB-Vertrag nicht ausgeschlossen worden sei. Das übergeht allerdings das Problem, dass § 650c BGB seinem Wortlaut nach nicht für alle Nachträge und damit nicht für alle Abschlagsforderungen gilt, sondern nur für Anordnungen gem. § 650b BGB. Eine erweiternde Auslegung bedarf einer Begründung, die weder dieser Senat noch der 21. Senat des KG (IBR 2021, 229) bislang geliefert hat.

 

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Dr. Claus von Rintelen, Hamburg

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