I. Die zwei Grundformen des Schadensersatzes
Am Anfang der Prüfung von Schadensersatz steht immer das „schadensrechtliche Mantra“, das lautet: Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er ohne den haftungsbegründenden Umstand stünde.
Diese Bewertung ist möglichst umfassend durchzuführen, also unter Berücksichtigung auch späterer Entwicklungen zum Nachteil oder zum Vorteil des Geschädigten.
Auf diesem universellen Grundsatz bauen allerdings zwei unterschiedliche Grundformen des Schadensersatzes auf: Der Geschädigte kann Ersatz für
- sein Integritätsinteresse oder aber für
- sein Äquivalenzinteresse
beanspruchen.
Beim Schadensersatz in Form des Integritätsinteresses ist ein Verhalten des Schädigers anspruchsbegründend, durch das das Vermögen des Geschädigten in seiner vorherigen Zusammensetzung verletzt worden ist. Die „Integrität“, d.h. Unversehrtheit, eines früheren Zustands soll wieder hergestellt werden.
Beim Äquivalenzinteresse hat ein Leistungsaustausch, der von den Parteien eines gegenseitigen Vertrag intendiert war (Kaufsache gegen Geld, Werkleistung gegen Geld) nicht wie beabsichtigt stattgefunden. Eine Leistung, die von den Parteien mit Geld bewertet worden ist, erreicht nicht ihr Leistungssoll (Mangelfreiheit), und ist somit nicht „das Geld wert“, das die Parteien im Vertrag angesetzt haben. Sie ist gegenüber Leistungssoll bzw.
Vergütung somit nicht „äquivalent“, d.h. gleichwertig.
Nur wenn ein Geschädigter Schadensersatz für sein Integritätsinteresse begehrt, lässt sich sinnvoll von Naturalrestitution sprechen. Restitution bedeutet Wiederherstellung. „Wiederherstellen“ lässt sich aber nur ein Zustand eines Vermögens bzw. Vermögenswerts, der früher einmal bestanden hat und der dann verletzt worden ist. Geht es um das Äquivalenzinteresse, begehrt der Geschädigte Schadensersatz für einen äquivalenten Sollzustand, der noch nie eingetreten war, und dessen „Wiederherstellung“ deshalb auch nicht möglich ist.
II. Wie sind §§ 249 ff. einzuordnen?
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass §§ 249 bis 251 BGB jedenfalls insoweit keine universellen Schadensnormen sind, wie sie Schadensersatz für das Integritätsinteresse des Geschädigten regeln. § 249 Abs. 1 BGB lässt sich noch als Formulierung des schadensrechtlichen Mantras verstehen, das den Ersatz des Äquivalenzinteresses mit umfasst; § 249 Abs. 2 und 250 bis 251 BGB betreffen demgegenüber allein Schadensersatz für das Integritätsinteresse und gelten somit nicht für Schadensersatzansprüche, mit denen das Äquivalenzinteresse geltend gemacht wird. Wenn dieser Befund bereits in § 249 Abs. 1 BGB hineingelesen wird, führt dies zu dem Ergebnis, dass die §§ 249 ff. BGB generell nicht auf Schadensersatzansprüche anwendbar sind, die auf das Äquivalenzinteresse gerichtet sind. Diese gerade auch vom BGH gezogene Differenzierung wird in dem grundlegenden und vom Verfasser sehr geschätzten Aufsatz von Halfmeier nicht beachtet und ist auch in der Folgezeit wiederholt übersehen worden. Auch wenn man sich letzten Endes mit dieser Frage vielleicht nicht zu lange aufhalten sollte, ist jedenfalls die Annahme Seibels nicht richtig, bei der Frage der Ermittlung des Mangelschadens seien die §§ 249 ff. BGB „ganz unzweifelhaft einschlägig“.
III. Entstehung und Bewertung eines Schadens
Der nächste wichtige Unterschied ist der zwischen Entstehung und Bewertung eines Schadens.
Geht es um das Integritätsinteresse, entsteht der Schaden durch das schädigende Ereignis, etwa den Unfall, bzw. die Verletzung einer vertraglichen oder deliktischen Sicherungs- oder Rücksichtsnahmepflicht. Es ist nicht erforderlich, dass der Geschädigte zur Beseitigung des Schadens Geld aufgewendet hat. Solche Aufwendungen stellen lediglich die Erweiterung des bereits am Rechtsgut entstandenen Schadens dar. Der durch das schädigende Ereignis entstandene und durch die Aufwendung von Kosten zur Beseitigung lediglich erweiterte Schaden ist grundsätzlich als Einheit zu betrachten (Grundsatz der Schadenseinheit), was zu einer einheitlichen Anspruchsentstehung und also einem relativ frühen Verjährungsbeginn führt, oftmals noch ehe die genaue Forderungshöhe beziffert werden kann.
Beim Äquivalenzinteresse verhält es sich im Grunde ebenso. Auch hier entsteht der einheitliche Schaden mit dem schädigenden Ereignis. Dieses schädigende Ereignis ist die mangelhafte Erfüllung, die vom Leistungserbringer nach Ablauf der (regelmäßig erforderlichen) Nacherfüllungsfrist nicht beseitigt worden ist. Dies folgt aus dem Wortlaut von § 281 Abs. 1 BGB und lässt sich verknappt auf die Formel bringen: Der Mangel ist der Schaden. Dieser vom BGH auch im Februar-Urteil wieder betonte Grundsatz ist also nicht seine „Erfindung“, wie mitunter behauptet wird, sondern folgt aus dem System des BGB. Er setzt freilich voraus, dass die mangelfreie Leistung im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Vergütung steht, was bei Kauf- und Werkvertrag, nicht aber zum Beispiel bei einem Dienstvertrag der Fall ist.
Hieraus folgt weiter: Auch wenn ein Werkbesteller Kosten zur Beseitigung eines Mangelschadens aufwendet, wird sein Schaden hierdurch nicht begründet, sondern nur ausgeweitet bzw. ausgefüllt. Der Schaden als Anspruchsvoraussetzung war schon vorher da.
- Ende des Auszugs -
Der vollständige Aufsatz „Der Schaden und seine Beseitigung“ erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2019, 871 - 880 (Heft6)). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.