Der Besitzer und der Ersatz des „Substanzschadens“

Auch für die Baubranche hat die im Deliktsrecht angesiedelte Rechtsfrage, ob der Besitzer im Falle von Drittbeschädigungen den Ersatz von Substanzschäden beanspruchen kann, praktische Bedeutung. Um hohe Eigenkapitalbindungen bzw. hohe Fremdfinanzierungskosten für den Eigentumserwerb von Baumaschinen und Geräten zu vermeiden, werden diese häufig geleast oder gemietet. Dann ist der Bauunternehmer als Leasingnehmer oder als Mieter nur Besitzer, nicht Eigentümer. Damit stellt sich im Falle der Zerstörung oder Beschädigung der geleasten oder gemieteten Baumaschinen und Geräte die Frage, ob der Bauunternehmer selbst die Ersatzbeschaffungskosten oder die Reparaturkosten von dem Schädiger verlangen kann.

I. Einleitung

Zu den deliktisch geschützten absoluten Rechtsgütern zählt der Besitz, § 823 Abs. 1, 6. Alt. BGB. Unbestritten vermittelt dieses Rechtsgut im Falle seiner rechtswidrigen und schuldhaften Verletzung Schadensersatzansprüche, soweit das (Be-)Nutzungsrecht des Besitzers beeinträchtigt ist.1 Ob der Besitzer auch den Ersatz von Schäden wegen der Substanzbeeinträchtigung der beschädigten Sache beanspruchen kann – dies betrifft konkret vor allem Vermögensnachteile in Gestalt der Reparaturkosten – ist streitig.2 Insbesondere lässt der Bundesgerichtshof in einer aktuellen Entscheidung die Beantwortung dieser Fragen offen.3 Lediglich ein Teilausschnitt der aufgeworfenen Rechtsfragen ist vom Bundesgerichtshof final beantwortet worden: Soweit es vor der Wiederherstellung der Integrität des beschädigten Rechtsgutes (=Reparatur) um den Ersatz fiktiver Reparaturkosten geht – und damit um die Auswahlentscheidung des Gläubigers, anstelle der primären Naturalrestitution sekundär Geldersatz zur Kompensation des Integritätsinteresses zu verlangen, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, steht die Wahl dem Eigentümer und nicht dem Besitzer zu.4 Konstruktiv handelt es sich hierbei um den Fall der insoweit rechtstechnisch gesetzlich ungeregelt gebliebenen gläubigerseitigen Ersetzungsbefugnis.5

Die vorliegende Abhandlung entwickelt ein Gesamtkonzept, mit dem sämtliche offenen Fragen, die mit der – vermeintlichen – „Verdoppelung der Gläubigerstellung“ bei Sachbeschädigungen im Falle des Auseinanderfallens von Eigentum und Besitz auftreten, beantwortet werden.

Zunächst ist es insoweit erforderlich, sich Klarheit über Inhalt und Umfang des jeweils betroffenen geschützten Rechtsgutes, also einerseits des Eigentums und andererseits des Besitzes, zu verschaffen. Denn Kernelement des Schadensersatzrechtes ist es, den Geschädigten insoweit zu schützen, wie der Schutzzweck der betreffenden Norm reicht. Rechtstechnisch ist diese „Schutzzwecktheorie“ in Bezug auf das verletzte Rechtsgut in der haftungsausfüllenden Kausalität angesiedelt.6 Im deliktischen Bereich ist also bei absoluten Rechtsgütern i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB zu klären, was diese inhaltlich schützen.

II. Umfang und Reichweite des Schutzzwecks von Eigentum und Besitz

Bereits diese Einstiegserwägungen verdeutlichen, dass Quelle des bisherigen Meinungsstreites ein Missverständnis ist.

Die Diskussion läuft nämlich unter der „Flagge“, ob neben dem Eigentümer als Gläubiger, dem ersichtlich unproblematisch der Anspruch auf Ersatz des Substanzschadens zusteht, auch dem Besitzer dasselbe Recht zusätzlich als weiterem Gläubiger zusteht. Dies betrifft die Konstellation, in der Eigentum und Besitz auseinanderfallen. Materiell-rechtlich geht diese Sichtweise damit davon aus, dass eine Verdoppelung der Gläubigerstellung beim Anspruch auf Ersatz des Substanzschadens eintritt und dies trotz unterschiedlicher Tatbestandsmerkmale – dem Eigentum und dem Besitz.7

Die gleiche Frage stellt sich allerdings ebenfalls – dann unter dem Stichwort der Anspruchskonkurrenz mit einer etwaigen „Anspruchsdoppelung“ in der Person eines einzigen Gläubigers – wenn sich Eigentum und Besitz in einer Hand befinden.

Also gilt es zu hinterfragen, ob tatsächlich eine Verdoppelung der Gläubigerstellung beim Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz und eine Anspruchsdoppelung beim Zusammenfallen von Eigentum und Besitz eintritt. Dies 

ist nicht der Fall. Denn bei genauer Betrachtung sind Eigentum und Besitz absolute Rechtsgüter, die in einem vollständigen Alternativverhältnis stehen und einen jeweils eigenständigen separaten Schutzzweck verfolgen.

1. Gesetzliches Eigentümer-Besitzerverhältnis grenzt den Schutzbereich von Eigentum und Besitz gegeneinander ab

Nur und ausschließlich dem Eigentum als absolutem Recht ist bei gesetzessystematischer Auslegung vom Rechtscharakter her der Schutz der Integrität zugeordnet. Dagegen erfasst, sich alternativ vom Eigentum unterscheidend, das absolute Rechtsgut des Besitzes – der bekanntlich nichts anderes ist, als die physische, reale Sachherrschaft, § 854 Abs. 1 BGB – lediglich die mit der tatsächlichen Sachinhaberschaft einhergehende Benutzungsmöglichkeit. Nähere Erkenntnisse verspricht ein Blick auf das Eigentümer-Besitzerverhältnis.

Die gegebene Alternativität beider genannter absoluter Rechtsgüter springt geradezu ins Auge, wenn man sich anhand der Konstellation, in der Eigentum und Besitz auseinanderfallen, verdeutlicht, dass – fußend auf dem gesetzlichen Eigentümer-Besitzerverhältnis – die den Ausfluss des Besitzrechtes bildende tatsächliche Nutzungsbefugnis den Eigentümer von dieser Benutzungsbefugnis ausschließt.

Die Alternativität von Eigentum und Besitz erschließt sich bereits aus den insoweit die Sphären des Eigentümers vom Besitzer abgrenzenden Regelungen über die Rechte und Pflichten im gesetzlichen Eigentümer-Besitzerverhältnis. Der Umkehrschluss aus §§ 987, 988 BGB, wonach Nutzungen nur nach Rechtshängigkeit und bei unentgeltlich erlangtem Besitz vom Besitzer auszukehren sind, zeigt, dass der Besitzersphäre vom Gesetz – unter Ausschluss des Eigentümers, also alternativ – die Nutzungsbefugnis eingeräumt wird. Diese geht als Recht Hand in Hand mit dem Umstand, dass die Sache physisch nur von ihrem unmittelbaren Besitzer genutzt werden kann, nicht vom Eigentümer, der keinen Zugriff hat.

Umgekehrt schließt die allein über das absolute Rechtsgut des Eigentums dem Eigentümer zugeordnete Rechtssphäre des Integritätsinteresses aus, dass der Besitzer aktivlegitimiert für die diskutierten Substanzschäden sein könnte. Insoweit gestatten wiederum das gesetzliche Eigentümer-Besitzer-Verhältnis und das Deliktsrecht selbst die entsprechenden Rückschlüsse. Denn das Integritätsinteresse des Eigentümers ist auch und gerade gegenüber dem Besitzer geschützt. Dessen Haftung gegenüber dem Eigentümer als dem Rechtsträger des Integritätsinteresses wird im Vergleich zu der ansonsten bei Eigentumsverletzungen durch den Besitzer unmittelbar anwendbaren Haftungsvorschrift des § 823 Abs. 1, 5. Alt. BGB dann eingeschränkt, wenn er unverklagt und gutgläubig ist, §§ 989, 990 BGB.8 Sowohl der bösgläubige als auch der gutgläubige Besitzer sind damit potentielle Schädiger des Integritätsinteresses – ebenso wie Dritte. Damit kann derjenige, welcher wie der Besitzer – und zwar sowohl der bösgläubige wie der gutgläubige – möglicher Haftungsschuldner wegen Verletzung des im Eigentumsrecht des Eigentümers angesiedelten Integritätsinteresses ist, nicht selbst als Gläubiger ein weiterer Träger dieses Integritätsinteresses sein.

2. Vertragliche Eigentümer-Besitzerverhältnisse weisen die gleiche Schutzbereichsabgrenzung wie das gesetzliche Eigentümer-Besitzerverhältnis auf

Zum gleichen Ergebnis führt die Betrachtung der „vertraglichen Eigentümer-Besitzer-Verhältnisse“. Als vertragliches Eigentümer-Besitzerverhältnis wird im Rahmen dieser Abhandlung dasjenige des schuldrechtlich berechtigten Besitzers verstanden. In der Praxis sind dies vor allem das Leasing, die Miete, die Pacht, die Leihe und die Verwahrung.

Hier liegt eine Abspaltung des im umfassenden Eigentumsrecht nach § 903 BGB mit enthaltenen9 Besitzrechts vor: Der Eigentümer „behält“ aus seinem umfassenden Eigentumsrecht alle Rechtsbefugnisse mit Ausnahme des schuldrechtlich auf den Vertragspartner übertragenen tatsächlichen Besitzrechts. Auch hieran zeigt sich, dass sich der Besitz alternativ als gesetzlich nach den §§ 854 ff. BGB genau konturiertes Recht von den übrigen Befugnissen aus dem Gesamtrecht des Eigentums unterscheidet.

 


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „Der Besitzer und der Ersatz des 'Substanzschadens' " von Dr. Hans-Joachim Weingart erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2023, 1143 - 1153, Heft 9). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.