Erfahrungsbericht eines Absolventen der Zusatzqualifikation Privates Baurecht an der Philips-Universität Marburg
Ich darf mich kurz vorstellen: Ich bin 35 Jahre, Rechtsanwalt seit 8 Jahren, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Partner einer überörtlich tätigen auf das Architekten- und Baurecht spezialisierten Kanzlei, Honorardozent und freudiger regelmäßiger Besucher einschlägiger Treffen der deutschen Baurechtsszene.
Zum Baurecht kam ich wie die Jungfrau zum Kind. Im Allgemeinen meint diese Redewendung wohl etwas Positives; jedenfalls bei mir. Meine Interessen haben sich im Studium auf das Zivilrecht beschränkt und haben sich dort im Wahlfach Gesellschaftsrecht/Wirtschaftsrecht ausgebreitet, weil die übrigen zivilrechtlichen Wahlfächer wenig mit den von mir geschätzten ersten 3 Büchern des BGB zu tun hatten.
Zu Beginn des Referendariats bekam ich den Ratschlag an der Zusatzqualifikation Privates Baurecht teilzunehmen, die sich zu diesem Zeitpunkt im zweiten von 3 Semestern befand. Für diesen Ratschlag bin ich in der Retrospektive aus mehreren Gründen dankbar, die mir erst später gewahr wurden. Andere Teilnehmer der Zusatzqualifikation, die bereits im ersten Jahr des Anwaltsberufs sind, können diese Erfahrungen sicherlich bestätigen.
Zunächst stellte sich heraus, dass die Vorlesungen als gutes Repetitorium für einen ganz überwiegenden Teil des Zivilrechts angesehen werden können, das sowohl inhaltlich als auch von Zeitmanagement parallel zum Referendariat gut reinpasst. Dass die meisten Dozenten namhafte Praktiker aus ganz Deutschland sind, war nach der Erfahrung des Studiums mit der Lehre durch Universitätsprofessoren eine erfrischende Erfahrung. Jede Woche kam ein anderer als Fachbuchautoren und zum Teil sogar von Buchrücken nach und nach bekannter Vertreter der Baurechtsszene. Zum einen war es Woche für Woche spannend, welcher Charakter von hochwissenschaftlich dogmatischem „Feingeist“ über liebevollen „Geschichtenonkel“ bis zum rustikal auftretendem „Feuerwerk“ wohl dieses Mal kommen wird. Zum anderen hat die Mischung aus Praxisbezug und Theorie ein Verständnis für die Berufsaufgabe des Juristen geschaffen, das das Studium nicht vermitteln konnte und welches die Referendariatstätigkeit erleichterte.
Die Zusatzqualifikation fand immer mittwochnachmittags statt, sodass ich mit Anreise per Auto oder Bahn einen ganzen Tag einplanen musste. Die Referendariatstätigkeit war nicht so zeitintensiv, dass hierfür keine Zeit gewesen wäre. Glücklicherweise hatte ich mittwochs auch keine Referendariats-AG und konnte mit den direkten Ausbildern Zeiten an anderen Wochentagen vereinbaren. Insgesamt standen die Ausbilder und die jeweiligen Gerichtspräsidenten als Dienstherren der Zusatzqualifikation positiv gegenüber und begrüßten die persönliche berufliche Fortbildung. Noch problemloser dürfte es für Berufseinsteiger im Anwaltsberuf sein, vom Arbeitsgeber mittwochs Sonderurlaub zu bekommen um als Gasthörer günstig Erfahrungen und Kenntnisse im Baurecht zu erwerben.
Insbesondere in der An- und Abreise mit dem Zug reichte das Vor- und Nacharbeiten fast schon aus, um gute Ergebnisse für die Klausuren zu erzielen. Als allgemeines Zivilrechts-Repetitorium behandelt die Zusatzqualifikation den oft zu kurz kommenden BGB-AT, Auslegung, Stellvertretung, Verjährung, Termine, den Allgemeinen Teil des Schuldrechts und das AGB-Recht (wie vielleicht kaum ein anderes Rechtsgebiet), Bringschuld-Holschuld-Thematiken sowie natürlich Gewährleistungs- und Schadensersatzgesichtspunkte, dies alles mit dem europarechtlichen Bezug. Hinzu kommen wegen des Bauträgerrechts Grundstücksrecht und Sicherheitenrecht sowie Europarecht und Vergaberecht und Gesellschaftsrecht wegen der sogenannten Bau-ARGEn, Bietergemeinschaften und Projektgesellschaften. Mein „Quereinstieg“ in das zweite von drei Semestern war wegen der thematischen Vielfalt kein Problem. Man kann auch mit dem dritten Semester beginnen, wie es Kommilitonen taten.
Die Zivilrichter in der Ausbildung haben es bereits gewusst: Ein wesentlicher Teil der Zivilverfahren betrifft nicht das Kaufrecht, sondern das Werkvertragsrecht im Rahmen des Baurechts und zwar quantitativ hinsichtlich der Anzahl der Verfahren und der Streitwerte. Bereits in den jeweiligen Stagen kann man daher mit werkvertraglichen Kenntnissen glänzen und solange die Ausbildung in diesem Bereich an den Universtäten dünn ist, hat man als Absolvent fast schon Jobgarantie auch ohne Examensbestnoten. Womöglich gibt die Zusatzqualifikation auch einen Ansatz für eine Hebung beim zweiten Staatsexamen. Beginnt man gerade mit dem Anwaltsberuf, dürfte es sich lohnen, seinem Arbeitgeber die Möglichkeit der Zusatzqualifikation darzustellen, um im von der Ausbildung vernachlässigten Bau- und Architektenrecht tätig zu werden.
Rückblickend haben die Teilnahme an der Zusatzqualifikation und das Kennenlernen der dort auftretenden Akteure außerdem einen Einstieg in die Baurechtsszene erleichtert, die vom Hören-Sagen her um einiges fröhlicher und quirliger ist, als in so manchen anderen Rechtsgebieten.
Da die Sachverhalte des Baurechts sehr komplex sind, ist zudem einen enge Zusammenarbeit mit Mandant und häufig auch mit der gegnerischen Partei, nicht selten den gegnerischen Parteien, notwendig, weswegen die Juristentätigkeit im Baurecht alles andere als „trocken“ ist, sondern viel mit dem Umgang mit Menschen zu tun hat. Letzteres ist ein Aspekt, der einen Großteil der Zufriedenheit mit der Berufswahl ausmachen kann. Nicht streiten, sondern lösen heißt oftmals die Devise, verbunden mit der Aussicht seinen Schreibtisch zu Ortsterminen auch mal verlassen zu können. Mit andern Worten: rum zu kommen.
Rechtsanwalt Johannes Jochem, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Rechtsanwalt Johannes Jochem
- Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht