Digitale Gebäudedokumentation, cloudbasiertes Mängelmanagement oder per App koordinierte Lieferung von Schüttgut – Anbieter solcher und anderer Dienstleister vermelden aktuell eine extrem erhöhte Nachfrage. „Bei uns steht das Telefon seit der Corona-Krise nicht mehr still. Jeder braucht Akten und bekommt sie nicht, weil sie nur auf Papier vorhanden sind“, zitierte kürzlich ein Branchenblatt den CEO von ISHAP, einem Anbieter von Lösungen zur digitalen Gebäudedokumentation. Ähnliches berichtet auch PlanRadar, die cloudbasierter Software für Baudokumentation sowie Mängel- und Aufgabenmanagement in Bau- und Immobilienprojekten anbieten. Nach Angaben des Unternehmens ermöglicht die Anwendung auf Basis eines digitalen Grundrisses oder Architektenplans die Erfassung, Dokumentation, Kommunikation und Nachverfolgung von Baumängeln und Aufgaben.
Eine stark angestiegene Nachfrage melden auch weitere Anbieter wie BRZ oder Capmo. Auch diese Unternehmen bieten integrierte, auf die Baubranche zugeschnittene Software-Lösungen an. Hürden wie Komplexität, Unübersichtlichkeit oder fehlende zeitliche Kapazitäten werden angesichts der Stilllegung des wirtschaftlichen Lebens und der Suche nach Alternativen zum analogen Handeln scheinbar eilig überwunden.
Neben hochspezialisierten digitalen Anwendungen entwickeln sich zurzeit auch Nischen-Märkte exponentiell. In der Schüttgutindustrie sorgt etwa das Startup Schüttflix derzeit für Aufsehen und erhöhte Nachfrage. Eine App vernetzt Erzeuger, Anbieter, Lieferanten und Abnehmer von Schüttgütern wie Erde, Sand oder Schotter, ermöglicht An- und Verkauf per Handyapp und errechnet automatisiert den besten Preis aus Transport- und Materialkosten – Live-Tracking der 4-Stunden-Lieferung inklusive.
BIM soll Standard werden
Aber auch unabhängig von der derzeitigen Ausnahmesituation wird es dieses Jahr Fortschritte beim digitalen Bauen geben. Denn in seinem Stufenplan „Digitales Planen und Bauen” definierte das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), dass ab 2020 alle neu zu planenden großen Infrastrukturprojekte mit BIM realisiert werden müssen. Anfang des Jahres hat auch das Nationale Kompetenzzentrum für die Digitalisierung des Bauwesens "BIM Deutschland" seine Arbeit aufgenommen. Die Planung und der Betrieb des Zentrums wird von der Initiative Planen Bauen 4.0 übernommen, dem Zusammenschluss der Bau- und Immobilienbranche in einer Gesellschaft. Das Ziel „Zukunft zu gestalten“ zeigt, auch hier hat man die Zeichen der Zeit erkannt – und nun scheint es, als griffen die lange vorbereiteten Zahnräder endlich ineinander.
Die Zahl der mit BIM realisierten (Groß-)Projekte steigt stetig. Dazu gehört etwa das Springer-Hochhaus in Berlin, das neue Rathaus in Leonberg oder „Wohnen am Lerchenberg“ (wir berichteten), die erste Einfamilienhaus-Siedlung, die vollständig mit der neuen Planungsmethode umgesetzt wird.
Baurecht bereit für BIM
„Das Baurecht ist bereit für BIM!“ So formulierte es Rechtsanwalt Eduard Dischke im Zusammenhang mit dem BIM Thementag Recht der Initiative buildingSMART im September 2019. Zwar müssten Bauverträge entsprechend angepasst werden, aber die rechtlichen Grundlagen im BGB und in der VOB ließen sich auch auf BIM-Projekte anwenden. Offene Fragestellungen gebe es indes vor allem bei öffentlichen Ausschreibungen. „Im Vergaberecht werden wir einiges zu bedenken haben. Da erwarte ich eine größere Entwicklung als im forensischen und vertragsrechtlichen Bereich, wo die Voraussetzungen bereits jetzt gut sind.“
Die momentane Ausnahmesituation stellt die Baubranche ohne Zweifel vor große Herausforderungen. Gleichzeitig kann sie aber auch den Startschuss in eine digitalisierte Zukunft bedeuten. Was lange Zeit nur zögerlich anlief, hat sich innerhalb weniger Wochen für viele Unternehmen als entscheidender Faktor herausgestellt, um den Betrieb in Corona-Zeiten aufrecht zu erhalten.
Nun gilt es, die kurzfristig umgesetzten, digitalen Lösungen nicht nur als Mittel zum Zweck der akuten Krisenbewältigung zu verstehen, sondern ihr grundsätzliches, enormes Potenzial für die Baubranche zu erkennen und anzuwenden – über kurz oder lang ohnehin eine Notwendigkeit, um auch zukünftig in einer zunehmend digitalisierten Welt handlungsfähig zu bleiben.