Mangel muss bereits zum Zeitpunkt der Abnahme vorliegen!

OLG Oldenburg, Beschluss vom 17.07.2023 - 12 U 214/19 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen) BGB §§ 633, 634, 640

1. Nimmt der Auftraggeber die Leistung ohne Vorbehalt ab, hat das u. a. zur Folge, dass er in Bezug auf eine von ihm in der Folgezeit behauptete Mangelhaftigkeit der Leistung darlegungs- und beweisbelastet ist.
2. Für die Beurteilung, ob die Leistung mangelhaft ist, kommt es grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Abnahme an. Die Mangelhaftigkeit der Leistung kann nicht allein mit einem nach der Abnahme eingetretenen Zustand begründet werden.

OLG Oldenburg, Beschluss vom 17.07.2023 - 12 U 214/19 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen)

BGB §§ 633634640

Problem/Sachverhalt

Der Auftragnehmer (AN) errichtet ein Holzrahmenhaus. Nach der Abnahme kommt es zum Streit. In einem selbständigen Beweisverfahren wird festgestellt, dass das Wohnhaus nicht die geschuldete Dichtheit erreicht. Der Auftraggeber (AG) führt das auf Ausführungsmängel, der AN auf bauliche Veränderungen nach der Abnahme zurück. Als der AN auf Restwerklohn klagt, hält der AG dem ein Zurückbehaltungsrecht entgegen. Die Beweisaufnahme erster Instanz ergibt, dass der AN Fugen zwischen der Betonsohle und den aufgehenden Wänden stellenweise nicht sorgfältig abgedichtet hat. Ob das Bauwerk allein deshalb die geschuldete Dichtheit verfehlt, kann nicht geklärt werden. Möglicherweise wird der geschuldete Grenzwert nur verfehlt, weil auch weitere und nicht vom AN ausgeführte Gewerke mangelhaft sind.

Entscheidung

Die Werklohnklage des AN hat Erfolg! Für nach der Abnahme reklamierte Mängel ist der AG darlegungs- und beweispflichtig. Für die Beurteilung, ob ein (Bau-)Werk mangelhaft ist, kommt es dabei auf den Zeitpunkt der Abnahme an. Die Mangelhaftigkeit eines Werks kann daher nicht allein mit dem nach der Abnahme gegebenen Ist-Zustand eines Bauwerks begründet werden. Dieser Beweis ist dem AG hier nicht gelungen. Denn im Ergebnis der Beweisaufnahme konnte nicht geklärt werden, welche der zahlreichen Leckagen in welchem Umfang zur Überschreitung des für die Gebäudedichtheit maßgebenden Grenzwerts beigetragen haben.

Praxishinweis

Der Fall ist interessanter, als die beiden zutreffenden Leitsätze nahelegen. Ausweislich der Entscheidungsgründe hatte der AN die Fugen zwischen der Betonsohle und den aufgehenden Wänden stellenweise nicht fachgerecht abgedichtet. Diesen Baumangel hat der AN fraglos zu vertreten. Warum das OLG dem AG insoweit nicht zumindest ein Zurückbehaltungsrecht zugestanden hat, ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen. Denkbar wäre, dass der AG sein Zurückbehaltungsrecht allein auf die unzureichende Dichtheit der Gebäudehülle, nicht aber (auch) auf die in der Beweisaufnahme festgestellten Ausführungsmängel der Dichtungsfugen gestützt hat. Das wäre allerdings gefährlich spitzfindig. Nicht minder interessant ist die weitere Frage, ob der AN für die unzureichende Dichtheit des Gebäudes mängelweise haftet, wenn der geschuldete Grenzwert erst durch das Zusammenwirken mit von fremder Hand verursachten Baumängeln verfehlt wird. Mit dem OLG Düsseldorf (IBR 2015, 661) könnte der AN dann als Gesamtschuldner sowohl für die fachgerechte Behebung der eigenen als auch der von fremder Hand verursachten Mängel haften. Eine solche Haftung würde allerdings den Nachweis voraussetzen, dass das Bauwerk bereits im Zeitpunkt der Abnahme nicht ausreichend dicht war. Diesen Nachweis konnte der AG hier nicht führen.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Dr. Wolfgang Kau, Dresden

© id Verlag