Abrechnungsverhaeltnis Grossbaustelle Symbolbild

Das Abrechnungsverhältnis

Der Begriff Abrechnungsverhältnis soll eine Rechtslage beschreiben, die aus der Abgabe von Erklärungen der Parteien eines Bauvertrages entsteht. Ursprünglich wurde der Begriff entwickelt zur Bezeichnung einer Situation, in der die Forderung auf Zahlung des Werklohns auch ohne Abnahme fällig wird. Durch die Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vom 19.01.2017 zu Mängelrechten ohne Abnahme hat der Begriff Abrechnungsverhältnis einen weiteren Anwendungsbereich erhalten. Es soll aufgezeigt werden, durch welche Erklärung ein Abrechnungsverhältnis entsteht oder auch nicht entsteht und welche Folgen sich daraus ergeben.

I. Entwicklung des Begriffes Abrechnungsverhältnis in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes

 

1. BGH, Urt. v. 23.11.1978 – VII ZR 29/78

Der Unternehmer klagte restlichen Werklohn aus einem Vertrag über Estrich- und Teppichbelagarbeiten beim Neubau eines Bürohauses ein. Der Besteller rügte schon während der Bauausführung, der Teppichboden habe ganz erhebliche Wellen und sei nicht rollstuhlfest verlegt. Er verweigerte die Abnahme und verlangte die Neuerstellung des Teppichbodens. Gegenüber der Werklohnforderung wandte der Besteller ein, dass diese mangels Abnahme nicht fällig sei. Nachdem der Unternehmer die Forderung auf Neuerstellung des Teppichbodens abgelehnt hatte, forderte der Besteller Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Das Landgericht und das Oberlandesgericht1  hatten die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Klageforderung sei mangels Abnahme nicht fällig.

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verwies den Rechtsstreit zurück. Der Besteller habe die Abnahme berechtigterweise verweigert, weil wesentliche Mängel an der Werkleistung des Unternehmers vorhanden seien. Nachdem der Besteller Schadensersatz wegen Nichterfüllung gefordert habe, gehe es in der Auseinandersetzung nicht mehr um die Einwendung, dass die Werklohnforderung noch nicht fällig sei, sondern darum, ob der Schadensersatzanspruch des Bestellers ganz oder teilweise zum Erlöschen der Werklohnforderung des Unternehmers geführt habe. Der Unternehmer habe die Mängelbeseitigung verweigert. Deshalb fordere der Besteller nicht mehr Mängelbeseitigung, sondern Schadensersatz. Eine weitere Erfüllung des Vertrages durch den Unternehmer komme daher nicht mehr in Betracht. Damit entfalle die Vorleistungspflicht des Unternehmers. Es habe jetzt eine endgültige Abrechnung über die Bauleistung des Unternehmers und den Schadensersatzanspruch des Bestellers stattzufinden. Auf die Frage, ob die Abnahme der Werkleistung Fälligkeitsvoraussetzung für den Vergütungsanspruch des Unternehmers sei, komme es nicht an, wenn der Auftraggeber nicht mehr Mängelbeseitigung, sondern Schadensersatz fordere.

Die Geltendmachung der Forderung auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung führte zu der rechtlichen Situation, dass eine Abrechnung der wechselseitigen Forderungen zu erfolgen hatte. In diese Abrechnung wurde die Werklohnforderung eingestellt, obwohl sie nicht fällig war. Der Bundesgerichtshof ließ in dieser Entscheidung offen, ob in dieser Situation die Abnahme Fälligkeitsvoraussetzung für die Werklohnforderung ist, weil es darauf nicht ankomme, wenn der Besteller Schadensersatz wegen Nichterfüllung fordere. Der Hinweis auf den Wegfall der Vorleistungspflicht des Unternehmers spricht für die Annahme, die Werklohnforderung sei mit dem Verlangen des Bestellers auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung fällig geworden. Dann wäre eine Aufrechnungslage entstanden.

 

2. BGH, Urt. v. 16.09.1999 – VII ZR 456/98

Gegenstand dieses Rechtsstreits war eine Werklohnklage. Kurz nach Übermittlung der Schlussrechnung hatte der Besteller die ausgeführten Arbeiten beanstandet, die Zahlung und die Abnahme verweigert. Der Besteller forderte den Unternehmer zur Mängelbeseitigung auf und setzte ihm eine Frist zur Abgabe der Erklärung, ob und in welchem Umfang er bereit sei, die vorhandenen Mängel zu beseitigen. Für den Fall, dass die Frist erfolglos ablaufen sollte, lehnte der Besteller die Nachbesserung ab.

Der Unternehmer gab keine Erklärung ab. Nach Ablauf dieser Frist setzte der Besteller dem Unternehmer eine neue Frist zur Ausführung von Mängelbeseitigungsarbeiten und erklärte, nach erfolglosem Fristablauf werde er die Leistungen des Unternehmers ablehnen. Der Unternehmer führte keine Arbeiten aus. Er erhob Klage auf Zahlung des restlichen Werklohns. Der Besteller erhob die Einrede der Verjährung. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kam es darauf an, ob und wann die Werklohnforderung fällig geworden war.

Auf das Vertragsverhältnis der Parteien war das BGB in der bis zum 31.12.2001 gültigen Fassung anzuwenden. § 634 Abs. 1 BGB  in dieser Fassung hatte folgenden Wortlaut: „Zur Beseitigung eines Mangels der im § 633 bezeichneten Art kann der Besteller dem Unternehmer eine angemessene Frist mit der Erklärung bestimmen, dass er die Beseitigung des Mangels nach dem Ablauf der Frist ablehne. Zeigt sich schon vor der Abnahme des Werkes ein Mangel, so kann der Besteller die Frist sofort bestimmen; die Frist muss so bemessen werden, dass sie nicht vor der für die Ablieferung bestimmten Frist abläuft. Nach dem Ablauf der Frist kann der Besteller Rückgängigmachung des Vertrages (Wandelung) oder Herabsetzung der Vergütung (Minderung) verlangen, wenn nicht der Mangel rechtzeitig beseitigt worden ist; der Anspruch auf Beseitigung des Mangels ist ausgeschlossen.“


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „Das Abrechnungsverhältnis " von Rechtsanwalt Dr. Horst Jürgens erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2022, 1695 - 1712 , Heft 12). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.