§ 640 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F. lebt weiter – die unberechtigte vorläufige Abnahmeverweigerung und ihre Folgen

Bislang ist durch die Rechtsprechung nicht geklärt, welche Rechtsfolgen mit einer vorläufigen unberechtigten Abnahmeverweigerung, z.B. wegen unwesentlicher Mängel, verbunden sind: Treten dann – wie nach früherer Rechtsprechung – die Abnahmefolgen ein, eben weil der Besteller nach § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB (weiterhin) nicht zur Verweigerung wegen nur unwesentlicher Mängel berechtigt ist? Durch das neue Bauvertragsrecht1 wurde § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F. aufgehoben und § 640 Abs. 2 BGB in seiner jetzigen Fassung neu eingeführt.

Mit der Einführung des § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F. hatte der Gesetzgeber seinerzeit Rechtsprechung kodifiziert, die in der unberechtigten Abnahmeverweigerung einen Verstoß gegen Treu und Glauben gesehen und die Wirkungen der Abnahme mit unberechtigter Abnahmeverweigerung als eingetreten angesehen hat.


Voraussetzung für die fiktive Abnahme nach § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F. war die Abnahmepflicht, also der objektive Zustand des Werkes. Der Unternehmer musste, um die fiktive Abnahme herbeizuführen, das Werk vertragsgemäß ohne wesentliche Mängel hergestellt haben. Ob dies der Fall war, wurde möglicherweise erst Jahre später in Gerichtsprozessen geklärt, wobei der Unternehmer die Beweislast für die Abnahmefähigkeit des Werkes zu tragen hatte. Der Gesetzgeber erachtete daher die im Jahr 2000 eingefügte fiktive Abnahme als unzureichend, da das Ziel, das Abnahmeverfahren zu beschleunigen, in der Praxis aufgrund von Rechtsunsicherheiten Schwächen gezeigt habe.

§ 640 Abs. 2 BGB unterscheidet sich deshalb von § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F. maßgeblich.
Denn die neue fiktive Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB rückt das Verhalten des Bestellers in den Vordergrund. Die fiktive Abnahme setzt nunmehr voraus, dass der Besteller schweigt oder zumindest nicht in konkret begründeter Weise unter Angabe mindestens eines Mangels die Abnahme verweigert. Nach der alten Fassung kam es darauf nicht an, wenn objektiv eine Abnahmepflicht vorlag.


B. Abnahmeverweigerung nach Abnahmeverlangen


Im Ausgangpunkt statuiert § 640 Abs. 1 Satz 1 BGB die Pflicht des Bestellers, das vertragsgemäß hergestellte Werk abzunehmen. Nach § 640 Abs. 1 Satz 2 BGB kann der Besteller die Abnahme nur wegen wesentlicher Mängel verweigern.
Ein wesentlicher Mangel liegt vor, wenn der Mangel nach seiner Art, seinem Umfang und seinen Auswirkungen so schwerwiegend ist, dass es dem Auftraggeber unter Beachtung objektiver Gesichtspunkte im Verhältnis zu dem nach dem Vertragszweck vorausgesetzten Gebrauch und dem geschuldeten Erfolg nicht zugemutet werden kann, im Ergebnis auf Mängelansprüche verwiesen zu werden.
Insbesondere der Gebrauchsfähigkeit kommt eine besondere Bedeutung zu. Dabei können auch subjektive Vorstellungen der Vertragspartner über die Bedeutung bestimmter Einzelheiten bei der Ausführung der Arbeiten eine Rolle spielen, wenn diese Vorstellungen hinreichend zum Ausdruck gekommen sind.


Entscheidend ist, ob es dem Besteller unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien zugemutet werden kann, die angebotene Leistung als im Wesentlichen vertragsgemäße Erfüllung des Vertrages anzusehen. Anhaltspunkte für die Abwägung können Art und Umfang des Mangels, Maß der Gebrauchsbeeinträchtigung, Höhe der Mangelbeseitigungskosten, Unverhältnismäßigkeit des Mangelbeseitigungsaufwandes sowie der Grad eines etwaigen Verschuldens des Auftragnehmers sein. Liegen mehrere Mängel vor, die jeweils für sich betrachtet nicht schwerwiegend sind, kann sich aber aus der Summe der Mängel ergeben, dass der Auftraggeber nicht mehr verpflichtet ist, die Leistung abzunehmen. Derselbe Mangel kann wesentlich oder auch unwesentlich sein, je nachdem, wie groß ein Bauvorhaben ist bzw. aus wessen Perspektive es zu beurteilen ist.

 

I. Voraussetzungen der Abnahmefiktion nach § 640 Abs. 2 Satz 1 BGB


Gem. § 640 Abs. 2 Satz 1 BGB gilt ein Werk allerdings als abgenommen, wenn der Unternehmer dem Besteller nach Fertigstellung des Werks eine angemessene Frist zur Abnahme gesetzt hat und der Besteller die Abnahme nicht innerhalb dieser Frist unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat. § 640 Abs. 2 Satz 1 BGB setzt also denknotwendig voraus, dass keine rechtsgeschäftliche Abnahme vorliegt.

 

1. Fertigstellung
Das Werk muss fertiggestellt sein. Hierfür ist es nötig, aber auch ausreichend, dass die Leistung vollständig abgeschlossen ist. Das bedeutet, dass das Werk ausschließlich quantitativ zu beurteilen ist. Die geschuldeten Teilleistungen müssen allesamt erbracht sein. Auf das Vorliegen wesentlicher oder unwesentlicher Mängel kommt es bei der fiktiven Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB nicht an. Die Darlegungs- und Beweislast für die erreichte Fertigstellung der Bau- und Werkleistungen liegt beim Auftragnehmer.

 

2. Abnahmeaufforderung unter Setzung einer angemessenen Frist
Der Auftragnehmer muss dem Auftraggeber weiterhin eine angemessene Frist zur Abnahme setzen.
Einen Anhaltspunkt kann dabei die Frist des § 12 Abs. 1 VOB/B liefern. Eine unangemessen kurze Frist ist nicht unwirksam, sondern wird durch eine angemessene Frist ersetzt.

 


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „§ 640 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F. lebt weiter – die unberechtigte vorläufige Abnahmeverweigerung und ihre Folgen" von Dr. Maximilian R. Jahn und Niklas Roth erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2023, 2001 - 2009, Heft 12)Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.