Aufstockung als Alternative zum Neubau

Umbau statt Neubau

Modernisierungen, Aufstockungen und Umbauten bestehender Gebäude sind nicht nur nachhaltiger, sondern oftmals auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll. Unsere Gastautoren, Rechtsanwältin Dr. Vanessa Bargon und Projektentwickler Benjamin Slosharek, erläutern, worauf private Bauherrn achten sollten.

Die Fläche für Neubauten wird immer knapper und die Preise für Bauland steigen. Eine sinnvolle Alternative ist das „Bauen im Bestand“, also die Veränderung und Anpassung bestehender Gebäude. Vor allem aus Gründen der Nachhaltigkeit ist der Bestand dem Neubau meist vorzuziehen, aber auch aus wirtschaftlicher Sicht rechnet sich die Nutzung bestehender Gebäude.
Erläutern wir es an einem Beispiel: Die Eheleute Müller beabsichtigen, ihr Einfamilienhaus aus dem Jahr 1960 mit einer Größe von 130 Quadratmetern so umzubauen, dass eine eigenständige Einheit entsteht, die der erwachsene Sohn mit seiner Familie bewohnen kann. Da die vorhandene Fläche dafür nicht ausreicht, ist eine Erweiterung notwendig. Das Wohngebäude steht mit einer Außenwand auf der Grenze zu einem Nachbargrundstück. Gleichzeitig soll das Wohngebäude energetisch optimiert werden, um die Kosten für Heizung, Strom und Warmwassererzeugung zu reduzieren. Für die erforderliche Planung beauftragt Familie Müller einen Architekten, der auch als zugelassener Energieberater fungiert.

 

Bauen im Bestand ist nachhaltig

Mit Blick auf die Nachhaltigkeit ist die Modernisierung und der Anbau am bestehenden Gebäude positiv zu bewerten. Die energetische Verbesserung des Gebäudes hat mehrere günstige Effekte: Zum einen sinkt der Energieverbrauch, was sowohl die Kosten für Familie Müller reduziert als auch das Risiko von zukünftigen Energiepreissteigerungen vermindert. Zudem trägt Familie Müller durch die Modernisierung dazu bei, dass der schlechte Bestand der Gebäude innerhalb Deutschlands zunehmend verbessert wird und die Emissionen der Wohngebäude sinken. Aktuell kann davon ausgegangen werden, dass 68 Prozent aller Einfamilienhäuser in die Energieeffizienzklassen E oder schlechter fallen. Kombiniert mit der Tatsache, dass meist fossile Brennstoffe bei dem Betrieb der Gebäude zum Einsatz kommen, besteht gerade bei den Einfamilienhäusern ein großer Handlungsbedarf.
Darüber hinaus entscheidet sich Familie Müller nicht nur dafür, den Bestand zu verbessern, sondern zieht den Bestandserhalt auch dem Ersatzneubau vor. Dies hat den Vorteil, dass bereits vorhandene Baumaterialien im Gebäude verbleiben können, welche bei Abriss entsorgt werden würden. Nur selten werden die Materialien von alten Bestandsgebäuden recycelt oder sogar zurückgebaut und wiederverwendet. Bei dem Abriss des Bestandes und Neubau von Gebäuden entstehen selbstredend auch Emissionen, die verhindert werden können, wenn der Bestand weiter genutzt wird. Der Abriss des Bestandes kann demnach auf Basis der Emissionen nur selten gerechtfertigt werden, da der energieeffiziente Ersatz-Neubau die Emissionen selten bis gar nicht wieder ausgleichen kann.

Bauwerkserkundung sichert Machbarkeit

Der vorhandene Bestand erlaubt jedoch kein ungehindertes Bauen. Die neu zu erbringenden Planungs- und Bauleistungen können zudem nur unter Berücksichtigung der vorhandenen Gegebenheiten des Bestands erbracht werden. Das Planen und Bauen im Bestand birgt oftmals ein besonderes Risiko für den Erfolg des Umbaus, insbesondere wenn mit dem Umbau eine Aufstockung, also eine Erweiterung nach oben, verbunden ist. Daher muss der Architekt eine sehr gründliche Bestandsaufnahme vornehmen, um sicherzustellen, dass der Umbau des vorhandenen Gebäudes mit den geplanten Maßnahmen überhaupt möglich ist oder ob zusätzliche umfangreiche Maßnahmen erforderlich sind, die erhebliche Kosten mit sich bringen können.
Den Architekten trifft beim Bauen im Bestand eine sogenannte Bauwerkserkundigungspflicht. Er hat zu prüfen, ob die vorhandenen Bauunterlagen und der Zustand des Gebäudes eine sichere Grundlage für die geplanten Baumaßnahmen sind (OLG Köln, Urteil vom 19.08.2013 – 22 U 12/13). Der Architekt ist verpflichtet, die Probleme, die sich aus der Bauaufgabe, den Planungsanforderungen und den Zielvorstellungen ergeben, zu untersuchen, zu analysieren und zu klären. Die sachgerechte Beratung schließt es ein, dass die Risiken erörtert werden und er dem Bauherrn hinreichend vor Augen führt, welche Folgen mit einer bestimmten Ausführung des Bauvorhabens verbunden sind (OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.05.2019 - 23 U 142/18). Der Architekt muss also Familie Müller auf die sich aus dem Bestand ergebenden Risiken hinweisen.

Baugenehmigung nicht immer erforderlich

Ein beauftragter Planer sorgt für eine dauerhaft genehmigungsfähige Planung, die eine rechtsbeständige Realisierung des Umbaus ermöglicht. Für die Sanierung und Renovierung eines Hauses ist in der Regel keine Baugenehmigung notwendig. Zu den genehmigungsfreien Baumaßnahmen zählen beispielweise Arbeiten im Innenraum, wie die Erneuerung des Bodens, der Heizungsanlage und Leitungen, Austausch von Heizkörpern, sogar die Entfernung nicht tragender Wände. Anders sieht es dagegen aus bei der Entfernung tragender Wände oder der Erweiterung des Gebäudes durch Anbau oder Aufbau. Der Planer muss dafür sorgen, dass die bei der Planung, der Errichtung und der vorgesehenen Nutzung des Objekts maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Aber auch wenn für eine Baumaßnahme keine Baugenehmigung notwendig ist, müssen bei Modernisierung und Sanierung zahlreiche geltende Vorschriften eingehalten werden.


GEG und andere Vorgaben
Wer ein Gebäude neu baut oder ein bestehendes Gebäude saniert, muss zahlreiche gesetzliche Vorgaben zur Energieeffizienz und zum Einsatz erneuerbarer Energien beachten. Seit November 2020 gilt das Gebäude-Energie-Gesetz (GEG). Auch bei Sanierung, Anbau oder Ausbau greifen die Anforderungen des GEG. Das GEG regelt hier, in welcher energetischen Qualität das zu errichtende Gebäude ausgeführt werden muss. Diese Vorgaben beziehen sich beispielsweise auf die U-Werte der Hülle oder dem Anteil an erneuerbaren Energien bei der technischen
Gebäudeausrüstung.


Weniger Fläche mehr Nachhaltigkeit

Der Anbau von zusätzlicher Wohnfläche birgt zwar genehmigungsrechtlich einen höheren Aufwand, hat aus der Sicht der Nachhaltigkeit einen entscheidenden positiven Effekt: Familie Müller teilt sich in Zukunft die Flächen des Gebäudes und des Grundstückes mit mehreren Personen. Der Flächenverbrauch pro Kopf der Familie sinkt also durch die Mehrfachnutzung von Flächen.
Dies ist relevant, weil seit 1950 der allgemeine Flächenverbrauch pro Kopf stetig steigt. Damals waren es noch circa 15 Quadratmeter pro Person in Deutschland, während wir heute bei etwa 43 Quadratmeter liegen. Dies führt zuerst dazu, dass immer mehr Fläche versiegelt wird, obwohl die Anzahl der Einwohner mehr oder weniger gleich bleibt. Des Weiteren werden durch den zunehmenden Flächenverbrauch die Energie- und Emissionseinsparungen durch effizientere Gebäude konterkariert: In den vergangenen Jahren wurde unter dem Strich keine Energie eingespart, weil wir zwar effizienter werden, aber die beheizte Fläche konstant ansteigt.

Regeln der Technik beachten

Für Familie Müller stellt sich aus der rechtlichen Sicht die Frage, ob der Standard zum Zeitpunkt der Errichtung des Wohngebäudes aus dem Jahr 1960 einzuhalten ist. Regelmäßig finden bei umfassenden Umbau- und Sanierungsmaßnahmen die aktuell geltenden anerkannten Regeln der Technik Anwendung. Sie definieren sowohl für die durch den Architekten zu erbringenden Planungsleistungen als auch die Mindestanforderungen für den die Bauleistungen ausführenden Unternehmer. Im Hinblick darauf, dass ohne eine abweichende Erklärung der Auftragnehmer die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik zusichert, muss er den Auftraggeber auf die Bedeutung der allgemein anerkannten Standards hinweisen.
Hierzu zählen: Regeln der Technik und die mit der Nichteinhaltung verbundenen Konsequenzen und Risiken. Ein Ausnahmefall wäre, wenn diese dem Auftraggeber bekannt sind oder sich aus den Umständen ergeben. Der Auftraggeber kann so das Risiko rechtsgeschäftlich übernehmen. Ohne eine entsprechende Aufklärung kommt eine rechtsgeschäftliche Zustimmung dazu, dass abweichend von den anerkannten Regeln der Technik gearbeitet wird, regelmäßig nicht in Betracht. Das Vorhaben von Familie Müller hat demnach einige Hürden, welche vor allem im rechtlichen oder regulatorischen Bereich gemeistert werden müssen. Die positiven Effekte, ein zukunftsfähiges Gebäude, das effizient und emissionsarm in einem generationenübergreifenden Familienverbund bewohnt wird, sind jedoch gute Gründe, sich diesen Hürden des Bestandes anzunehmen.

Benjamin Slosharek

  • Ingenieur
  • Experte für Nachhaltigkeit

Dr. Vanessa Bargon

  • Rechtsanwältin
  • auf Bau- und Architektenrecht spezialisiert
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Der Beitrag „Umbau statt Neubau“ erschien zuerst am 15. August 2023 in der Zeitschrift „bauen.", Ausgabe 10/11-2023. Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.