Integrierte Projektabwicklung (IPA): „Raus aus der klassischen Bauvertragsdenke“

Die integrierte Projektabwicklung (IPA) bewegt die Baubranche in Deutschland. Der Ansatz erfordert eine völlig andere Herangehensweise als im BGB- oder VOB/B-basierten Bauvertrag üblich. Statt Einzelinteressen stehen das Projektteam und der Projekterfolg im Mittelpunkt. „IPA klingt für manche erstmal leicht esoterisch“, sagt Rechtsanwalt Marcel Manz, der das bisher wohl größte IPA Projekt in Deutschland juristisch mitbegleitet. Gemeinsam mit Ingenieur Hilko Eilers hält Manz bei der 62. Baurechtstagung am 17. November einen Vortrag zu IPA. Wir sprachen mit ihm über Chancen und Risiken der Methode und seine neue Rolle als Rechtsanwalt.

Herr Manz, Sie sind als Rechtsanwalt an der Umsetzung der Stromtrasse „A-Nord“ von Amprion beteiligt, einem der größten IPA Projekte in Deutschland mit einem Gesamtvolumen von rund 1,2 Milliarden Euro. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?  

Das Projekt ist in jeder Hinsicht sehr beeindruckend, nicht nur aufgrund seiner Größe. Insgesamt acht mittelständische Unternehmen, sechs Baufirmen und zwei Planern bauen hunderte Kilometer Stromtrasse. Das Besondere daran ist, dass sich das Projektteam vorher zusammengefunden und gemeinsam beworben hat. Dem ging ein intensiver „Findungsprozess“ voran, da sich alle Beteiligten erst einmal auf die Prinzipien von IPA einlassen mussten. Ganz zentral ist dabei, dass das Projekt und sein Erfolg im Mittelpunkt stehen und die eigenen Interessen der Projektbeteiligten teilweise zurückgestellt werden müssen. Das ist eine völlig andere „Denke“ als in der klassische linearen Projektabwicklung, in der jeder seine eigene Perspektive einnimmt. Die IPA stellt den Projekterfolg in jeder Hinsicht in den Mittelpunkt. Alle Beteiligten arbeiten in einem eigens eingerichteten Projektbüro, der sogenannten Co-Location, in der alle Fäden zusammenlaufen. Welchen Unterschied dieses Detail machen kann, merken wir in der täglichen Arbeit. Egal, welche Signatur unter einer E-Mail steht, alle ziehen an einem Strang.

 

Das klingt so, als lägen die Vorteile auf der Hand. Dennoch ist IPA in Deutschland bisher wenig verbreitet. Warum?

Das ist eine gute Frage. Im anglo-amerikanischen Raum ist das anders. Dort wird IPA seit rund 20 Jahren als Integrated Project Delivery praktiziert. Auch in Australien und Finnland ist IPA als „Project Alliancing“ seit langem bekannt. In Deutschland reichen die ersten IPA Gehversuche gerade einmal in das Jahr 2015 zurück. Inzwischen gibt es einige erfolgreiche Beispiele aus der Praxis und die Branche beginnt zu verstehen, dass es eine interessante und effektive Alternative zur linearen Projektabwicklung gibt. Das Verständnis für diese Art der Projektabwicklung und auch das Angebot in der Baubranche musste wohl erst einmal wachsen.

 

Ist IPA für jedes Projekte geeignet?

Wenn der Bauherr bereit ist, sich darauf einzulassen, ist im Grund jedes Projekt geeignet. Den Baubeteiligten muss bewusst sein, dass IPA auch Mehraufwand bedeutet. Die Beteiligten müssen bereit sein, ihre klassischen Denkmuster zu verlassen und auch mal etwas Neues zu wagen. Sie brauchen beispielsweise mehr Personal, das sich darum kümmert, die Strukturen zu entwickeln und dafür zu sorgen, dass sie eingehalten und umgesetzt werden. Aktuell sind es vor allem die großen Projekte, in denen IPA erfolgreich angewendet wird. Nach und nach kommen aber auch kleinere Projekte hinzu, die sich immer noch im zweistelligen Millionenbereich bewegen. Sie brauchen sicherlich ein gewisses Projektvolumen, um den Mehraufwand rechtfertigen zu können.

 

Lohnt sich der Mehraufwand?

Ich glaube schon. IPA stellt den Erfolg des Projekts in den Mittelpunkt und alle Beteiligten verfolgen dieses Ziel uneingeschränkt. Das ist eine vollkommen andere Herangehensweise. Sie schaffen mit IPA ein Umfeld für alle Beteiligten, das nur dem Projekt gehört und in dem volle Transparenz gilt – in der Kommunikation aber auch bei den Kosten und im Bauablauf. Das ist für viele Baubeteiligte eine völlig neue Erfahrung.

 

Sie schaffen mit IPA ein Umfeld für alle Beteiligten, das nur dem Projekt gehört und in dem volle Transparenz gilt – in der Kommunikation aber auch bei den Kosten und im Bauablauf. Das ist für viele Baubeteiligte eine völlig neue Erfahrung.

 

Welche konkreten Vorteile bietet IPA im Vergleich zur traditionell linearen Umsetzung von Bauvorhaben? 

Ein grundlegendes Merkmal der IPA ist die frühzeitige Einbindung aller relevanten Akteure in den Planungs- und Entwicklungsprozess. Dies ermöglicht eine effektive Abstimmung von Design, Kosten, Zeitplanung und technischen Anforderungen. Durch den intensiven Austausch von Wissen und Erfahrungen können Synergien genutzt und Konflikte vermieden werden. Ich persönlich sehe die IPA Prinzipien als wesentlichen Vorteil: offene und transparente Kommunikation, Kooperation statt Konfrontation oder auch das kontinuierliche Lernen und Optimieren – alle Beteiligten sind darauf eingeschworen und handeln danach. Basierend darauf ist das Verhalten aller Parteien auf „best for Project“ ausgerichtet. Persönliche Interessen treten dahinter zurück. So wird die erfolgreiche Abwicklung des Projekts innerhalb der geplanten Kosten und Zeit zur logischen Konsequenz.

 

Abschied vom Blame-Game

Herzstück von IPA ist ein Mehrparteienvertrag. Was ist dabei zu beachten? 

Der “klassische“ Bauvertrag versucht, alle möglichen Konfliktsituationen bereits im Vorhinein aufzulösen. Er enthält zumeist umfangreiche Regelungen zur Haftung, der Beendigung des Vertrages oder wie sich die Parteien bei der Störung des Bauablaufs zu verhalten haben. Regelungen zur erfolgreichen Zusammenarbeit der Parteien oder wie das Projektziel trotz eines Konflikts erreicht werden soll, enthalten solche Verträge meist nicht. Im Gegensatz dazu stellt IPA den Projekterfolg vollständig in den Vordergrund und richtet auch die vertraglichen Regelungen ganz danach aus, dieses Projektziel zu erreichen. Das heißt natürlich nicht, dass es in einem Mehrparteienvertrag keine Kündigungs- oder Haftungsregelungen gibt. Die sind aber ganz anders gestrickt. Ziel ist es, gemeinschaftlich das Ziel zu erreichen und alle Chancen- aber auch Risiken gemeinsam zu tragen. Also kein „Blame Game“ mehr.

 

Mängelhaftungsrisiken federt IPA über ein Vergütungssystem ab. Wie funktioniert das?

Wenn ein Mangel auftritt, stehen die Beteiligten hierfür gesamtschuldnerische ein. Egal wer den Mangel verursacht hat, es liegt an allen Beteiligten, diesen zeitnah abzustellen. Im Vertrag zu „A-Nord“ etwa haben wir festgelegt, dass zunächst der Verursacher die Möglichkeit erhält, den Mangel zu beheben. Sollte das nicht möglich sein, kann einer der anderen Beteiligten den Mangel abstellen – und erhält dann auch die Vergütung dafür. Im klassischen Bauvertrag würden der Unternehmer erst einmal Behinderung gegenüber dem Auftraggeber anzeigen, weil die notwendige Vorleistung des Vorunternehmer nicht mangelfrei erbracht wurde – mit den üblichen Konsequenzen für den weiteren Bauverlauf. Über das Vergütungssystem im Mehrparteienvertrag, welches auch einen Bonus- oder Malus vorsieht, kann der Auftraggeber den Beteiligten zusätzliche Anreize schaffen, das Budget und die Bauzeit einzuhalten.

 

Welche Herausforderungen können bei der Zusammenarbeit und Koordination zwischen den verschiedenen Projektbeteiligten auftreten und wie können sie bewältigt werden? 

Wir sprachen schon über den Mehraufwand und die Bereitschaft, Dinge anders anzugehen, Risiken und Haftungsfragen „integriert“ zu organisieren. Darauf müssen sich alle Beteiligten einlassen. Bei „A-Nord“ haben wir die gesamtschuldnerische Haftung äußerst intensiv diskutiert. Letztlich verfolgen alle Beteiligten eigene wirtschaftliche Ziele. Am Ende haben sich aber alle darauf eingelassen, denn schließlich hat es auch Vorteile, wenn man als Unternehmen weiß, dass bei Kapazitätsengpässen ein Partner einspringen kann. Eine andere konkrete Herausforderung war etwa das Beschaffungsmanagement. Bei einem Projekt dieser Größenordnung brauchen Sie derart große Mengen an Baustoffen, die kann nicht jeder für sich einkaufen. Es werden tausende Tonnen an Flüssigboden und anderem Verfüllmaterial für die Stromtrasse benötigt. Wenn da jeder versucht, für sich einzukaufen, kann das dazu führen, dass Engpässe am Markt entstehen und die Beteiligten sich gegenseitig Konkurrenz machen. Daher haben wir im Zuge der IPA ein eigenes Beschaffungsmanagement entwickelt. Das war für die meisten Beteiligten neu und stellte eine Herausforderung dar – die wir gemeinsam gemeistert haben. Letztlich geht es darum, den IPA Gedanken auch vertraglich zu regeln, was für uns als Juristen durchaus eine Herausforderung darstellt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass bei unserem Vortrag bei der 62. Baurechtstagung im November in München darüber kritisch diskutiert werden wird, worauf ich mich natürlich freue.

 

Inwiefern verändert IPA Ihre Rolle als Rechtsanwalt?

Auf der 5. IPA Konferenz kürzlich in Berlin fiel der Satz „Nach Abschluss des Mehrparteienvertrag brauchen wir die Juristen nicht mehr“. Im laufenden Projekt stellen wir jedoch fest, dass das so natürlich nicht stimmt. Es gibt immer Fragen, die zu klären sind, denn natürlich verfolgen alle Beteiligten auch im IPA Vertrag eigene Interessen. Hier können wir als Juristen moderieren und bei Diskussionen vermitteln, so die Eskalation von Konflikten verhindern und unseren kleinen Teil zum Projekterfolg beitragen. Dazu tauschen wir uns unkompliziert und partnerschaftlich mit den beteiligten Juristen der Unternehmen und des Auftraggebers aus. In einem Projekt, das auf einem klassischen Bauvertrag basiert, wäre das sicher anders.

 

Herr Manz, wir danken für das Gespräch.

 

Integrierte Projektabwicklung (IPA) – Gestaltung von Bauverträgen

Vortrag im Rahmen der 62. Baurechtstagung am 17. und 18. November 2023 in München 

Rechtsanwalt Marcel Manz, Ingenieur Hilko Eilers 

Programm anschauen

Die IPA Prinzipien

Die integrierte Projektentwicklung (IPA) basiert auf einer Reihe von Prinzipien, die zur erfolgreichen Umsetzung des Konzepts beitragen. Hier sind die wichtigsten IPA-Prinzipien: 

  • Alle relevanten Projektbeteiligten, einschließlich Bauunternehmen, Architekten, Ingenieure und Projektentwickler, werden von Anfang an in den Planungs- und Entwicklungsprozess einbezogen. Dadurch werden unterschiedliche Perspektiven und Fachkenntnisse bereits in der frühen Phase des Projekts integriert. 

  • IPA berücksichtigt alle Aspekte eines Bauprojekts, einschließlich Design, Kosten, Zeitplanung, technische Anforderungen und Nachhaltigkeit. Durch die Integration dieser verschiedenen Aspekte wird ein umfassendes Verständnis und eine effektive Koordination des Projekts erreicht. 

  • Die IPA fördert eine offene und transparente Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten. Regelmäßige Meetings, Workshops und Abstimmungen ermöglichen den Austausch von Informationen, die Identifizierung von Problemen und die gemeinsame Entwicklung von Lösungen. 

  • Jeder Projektbeteiligte hat klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, die von Anfang an definiert werden. Dadurch wird sichergestellt, dass alle Parteien ihre Aufgaben verstehen und effizient zusammenarbeiten können. 

  • Die IPA basiert auf einem kooperativen Ansatz, bei dem die Projektbeteiligten zusammenarbeiten, anstatt in Konflikt zu geraten. Durch den Aufbau von Vertrauen und Respekt können Probleme frühzeitig identifiziert und gemeinsam gelöst werden. 

  • Der Einsatz von digitalen Tools wie Building Information Modeling (BIM), 3D-Visualisierungen und Projektmanagement-Software unterstützt die IPA, indem sie die Planung, Koordination und Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten erleichtern. 

     

  • Die IPA ermutigt zu kontinuierlichem Lernen und zur Verbesserung der Prozesse. Durch die Analyse von Erfahrungen und das Einbeziehen von Feedback können zukünftige Projekte effizienter gestaltet werden. 

Zur Beschreibung des IPA-Modells wurden von Experten aus Wissenschaft und Praxis acht Charakteristika und 21 Modellbestandteile definiert. Die Publikation „Integrierte Projektabwicklung (IPA) – Charakteristika und konstitutive Modellbestandteile“ kann hier heruntergeladen werden. 

Marcel Manz, LL.B.

  • Rechtsanwalt für Vergabe-, Bau- und Architketenrecht
  • Mitglied der ARGE Baurecht
Zum Profil