Stand der EU-Bauproduktenverordnung

Der EuGH hat mit Urteil vom 27.10.2016 - RS C 613/14 (James Elliott) entschieden, dass der EuGH für die Auslegung von harmonisierten Normen nach der EU-Bauproduktenverordnung zuständig ist. Die rechtliche Einordnung dürfte nicht für jeden auf der Hand liegen, da das Urteil zwar nationales Schuldrecht, aber auch nationales Bauordnungsrecht betrifft, maßgeblich aber auf dem Wirtschaftsrecht der EU beruht. Der Fall, der der Entscheidung zugrunde liegt, ist hingegen nicht besonders komplex.

Grundlage des EuGH-Urteils

Die James Elliott Construction Ltd. hatte im Rahmen eines Bauprojektes Zuschlagstoffe gekauft. Der Vertrag verpflichtete den Verkäufer, die Irish Asphalt Ltd., Stoffe zu liefern, die einer bestimmten irischen Norm entsprachen. Auf Grund des mangelhaften Zuschlagstoffes kam es zu Schäden am Gebäude, wofür die Irish Asphalt von der James Elliott gerichtlich in Anspruch genommen wurde. 

Die Besonderheit des Falles lag darin, dass es sich bei der vertraglich in Bezug genommenen Norm um eine so genannte harmonisierte Norm handelte. Dies sind nationale technische Normen, die inhaltsgleich europäische technische Normen (EN-Normen) in das nationale Normengefüge übernehmen. Europäisch harmonisierte EN-Normen werden im Auftrag der EU-Kommission auf der Grundlage der EU-Bauproduktenverordnung von der europäischen Normungsorganisation CEN erarbeitet. Ihre Fundstelle wird nach Verabschiedung von der EU-Kommission in Teil C des Europäischen Amtsblatts veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten und die nationalen Normungsorganisationen sind sodann verpflichtet, entgegenstehende nationale Normen zurückzuziehen und die harmonisierte Norm unverändert als nationale Norm zu veröffentlichen. In Deutschland geschieht dies durch das DIN. Derartige harmonisierte  Normen sind auf Grund ihrer Bezeichnung als "DIN EN Norm" leicht zu identifizieren.

Der für den Rechtsstreit zuständige irische Supreme Court stellte daher die Frage, ob er überhaupt berufen sei, über die Auslegung dieser Norm zu entscheiden, da die irische Norm letztlich auf europäischem Recht beruht und legte dem EuGH diese Frage vor.

Der EuGH entschied, dass er für die Auslegung von EN-Normen zuständig sei und stellte zudem fest, dass die Auslegung der nationalen Norm im Einklang mit der harmonisierten Norm stehen muss. Im Ergebnis bedeutet dies, dass auch Vertragsparteien in Deutschland, die über den Inhalt einer vertraglich in Bezug genommenen harmonisierten technischen Norm streiten, den Vertragsinhalt, d. h. das Leistungssoll letztlich nur mit Hilfe des EuGH verbindlich klären können. Denn den nationalen Gerichten ist die Auslegung solcher harmonisierten DIN EN Normen nicht möglich. 

Weder Vertrags- noch Baurecht

Um diese Entscheidung zu verstehen muss man sich vergegenwärtigen, dass das europäische Bauproduktenrecht weder Vertragsrecht noch Baurecht darstellt. Es handelt sich vielmehr um Wirtschaftsrecht und dient der Verwirklichung des Binnenmarkts. Da Produkte anderer Mitgliedstaaten nur gekauft und verwendet werden können, wenn sie die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden technischen Anforderungen erfüllen, stellen nationale technische Normen ein potentielles Handelshemmnis dar. So könnte jeder Mitgliedstaat seine Märkte im Prinzip über technische Regelsetzung abschotten. Um dies für Bauprodukte zu verhindern sind seit dem Jahr 2000 eine Vielzahl von harmonisierten Normen von CEN erarbeitet und im Europäischen Amtsblatt veröffentlicht worden. Erfüllt ein Bauprodukt die Anforderungen der EN Norm, so wird es mit einer CE-Kennzeichnung versehen und erhält eine Leistungserklärung. Dies ermöglicht es den Herstellern, ihre Produkte auf dem gesamten Binnenmarkt in anzubieten. Die Käufer können die auf einer einheitlichen Grundlage ermittelten Leistungen aller Produkte vergleichen und ihre Kaufentscheidung abhängig von Preis, Leistung oder sonstiger Eigenschaften des Produkts treffen. Es liegt auf der Hand, dass dieses System nur funktionieren kann, wenn die Hoheit über den Inhalt und die Auslegung solcher Normen auf der Europäischen Ebene verbleibt.

EN-Normen sind EuGH-Sache

Für das Kaufrecht aber auch das Werkvertragsrecht bedeutet dies, dass auch deutsche Gerichte im Streitfall nicht darüber entscheiden können, was sich aus einer harmonisierten Norm an Anforderungen ergibt. Diese Frage müssen sie ggf. dem EuGH vorlegen. Dieser entscheidet damit indirekt über das vertragliche Leistungssoll, wenn die Parteien eine solche Norm vertragliche in Bezug genommen haben, was bei Ausschreibungen, auch der öffentlichen Hand, nicht selten geschieht.

EN-Normen gegen Handelshemmnisse

Harmonisierte Normen bestimmen keine Anforderungen, sondern nur einheitliche Prüf- und Messverfahren, mit denen die Hersteller die Leistungsangaben feststellen müssen. Daher lässt sich aus der Norm alleine nur ermitteln, ob das Bauprodukt die vertraglich geschuldete Leistung hat, wenn in der Norm Mindestleistungen oder entsprechende Bedingungen vorgesehen sind. Der EuGH betonte zudem, dass die Normen dazu dienten, Handelshemmnisse abzubauen und nicht dazu, nationales Privatrecht zu vereinheitlichen. Daher seien die nationalen Gerichte weiterhin berufen, festzustellen, wozu sich der Schuldner verpflichtet habe. Das nationale Recht könne auch festlegen, auf welche Weise ein Schuldner die Nachweise der Einhaltung seiner vertraglichen Verpflichtungen führen könne und welcher Zeitpunkt hierfür entscheidend sei. Folglich steht es einem Auftragnehmer im Rahmen des nationalen Rechts auch frei, wie er den Nachweis führe, dass sein Produkt der entsprechenden harmonisierten Norm entspricht. Das kann er ggf. also auch mit Hilfe von Sachverständigengutachten.

Ferner stellte der EuGH fest, dass Bauprodukte, die die  Anforderungen der Bauproduktenrichtlinie erfüllen und daher im Rechtssinne „brauchbar“ seien, nicht zwangsläufig auch für den Käufer brauchbar sein müssen. Über die Brauchbarkeit hätten die Käufer selbst zu entscheiden. Ob das Produkt angesichts des vertraglich festgelegten Verwendungszwecks oder sonstiger vertraglicher Regeln für den Käufer tatsächlich "brauchbar" ist, sei durch europäisches Recht folglich nicht geregelt, sondern werde vielmehr nach nationalem Schuldrecht und anhand des Vertrags beurteilt. Eine europarechtliche "Vermutung der Brauchbarkeit" gibt es in Bezug auf vertragliche Regelungen also nicht.

CE-Kennzeichnung ausreichend

Trotzdem sollten die Beteiligten beachten, dass harmonisierte Bauprodukte nach dem EuGH-Urteil vom 16.10.2014 - RS C 100/13 in Deutschland künftig ohne besondere Verwendbarkeitsnachweise verbaut werden können. Bauordnungsrecht und Werkvertrag ist daher genügt, wenn ein Produkt ordnungsgemäß mit einer CE-Kennzeichnung versehen ist und die geforderten bzw. vereinbarten Leistungen nach Erklärung des Herstellers auch tatsächlich erbringt. Daraus ergibt sich ebenfalls, dass Bauaufsichtsbehörden und Marktüberwachung nicht über den Inhalt einer harmonisierten Norm befinden. Dazu gehört auch die für Hersteller wichtige Frage, ob ihr Produkt überhaupt der betreffenden Norm unterfällt und damit die Rechtsfolgen der EU-Bauproduktenverordnung auslöst. Auch für diese Frage ist der EuGH zuständig.


Autor: Rechtsanwalt Michael Halstenberg, Ministerialdirektor a.D.