Was bedeutet "schlüsselfertig"?

OLG Braunschweig, Urteil vom 16.01.2020 - 8 U 2/17; BGH, Beschluss vom 02.11.2022 - VII ZR 22/20 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen) BGB §§ 133, 157, 631, 633, 640; VOB/B § 1 Abs. 2

Der Begriff "schlüsselfertig" ist die funktionale Beschreibung des Leistungsinhalts. Daher gehen konkrete Leistungsbeschreibungen vor. Nur soweit diese Lücken aufweisen, können diese durch die Schlüsselfertigklausel gefüllt werden. Eine Lücke liegt aber nicht vor, wenn ausdrücklich bestimmte Leistungen herausgenommen werden.

 

OLG Braunschweig, Urteil vom 16.01.2020 - 8 U 2/17; BGH, Beschluss vom 02.11.2022 - VII ZR 22/20 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

BGB §§ 133157631633640; VOB/B § 1 Abs. 2

 

Problem/Sachverhalt

Der Auftraggeber (AG) beauftragt den Auftragnehmer (AN) mit der schlüsselfertigen Errichtung einer Wohnanlage. Nach Ziff. 15 der Baubeschreibung gehören Bodenbeläge in Wohnräumen und Fluren nicht zur vom AN geschuldeten Leistung. Als der AN die Abnahme verlangt, wendet der AG ein, die Leistung weise wesentliche Mängel auf, weil der AN in den Wohnräumen und Fluren keinen Bodenbelag verlegt habe und die Wohnanlage deshalb nicht "schlüsselfertig" errichtet worden sei.

 

Entscheidung

Damit kommt der AG nicht durch! Die Leistung des AN ist mangelfrei. Soweit der AG die fehlende Abnahmefähigkeit der Leistung damit begründet hat, dass entgegen § 4 Abs. 7 des Bauvertrags keine schlüsselfertige Leistung vorliege, weil nach der Baubeschreibung Bodenbeläge in den Wohnräumen und Fluren nicht enthalten seien, was zu einer schlüsselfertigen Erstellung gehöre, steht dieser Umstand einer Abnahme nicht entgegen. Der Begriff "schlüsselfertig" ist die Beschreibung einer Pauschalierung des Leistungsinhalts. Daher gehen konkrete Leistungsbeschreibungen vor. Nur soweit diese Lücken aufweisen, können diese durch die Pauschalangabe "schlüsselfertig" gefüllt werden. Eine solche Lücke liegt aber nicht vor, wenn ausdrücklich bestimmte Leistungen herausgenommen werden.

 

Praxishinweis

1. "Schlüsselfertig" bedeutet, dass der Auftraggeber nach Fertigstellung des Bauvorhabens sofort mit dem Einzug und der Möblierung beginnen kann, ohne weitere Bauleistungen ausführen zu müssen (OLG Düsseldorf, IBR 1995, 503). Die Leistung ist folglich funktional beschrieben. Eine funktionale Leistungsbeschreibung weist aber keine Lücken auf. Die geforderte Leistung wird vielmehr über den zu erreichenden Erfolg vollständig beschrieben (BGH, IBR 1994, 223). Der Auftragnehmer muss deshalb zu der vereinbarten (Pauschal-)Vergütung grundsätzlich sämtliche Leistungen ausführen, die für die Erreichung des Vertragszwecks nach den anerkannten Regeln der Technik erforderlich sind. Zur schlüsselfertigen Herstellung eines Wohngebäudes gehören sämtliche Bauleistungen, die zu dessen ordnungsgemäßer und vollständiger Nutzung notwendig sind, also auch Bodenbeläge (OLG Düsseldorf, a.a.O.).


2. Ist eine Teilleistung detailliert(er) beschieben, geht diese Beschreibung dem funktionalen Leistungziel - dem Grundsatz "Speziell vor Allgemein" folgend - vor (BGH, NJW 1984, 1676). Gleiches gilt, wenn - wie das OLG vorliegend im Ergebnis zutreffend festgestellt hat - einzelne Teilleistungen aus dem vereinbarten Leistungsumfang ausdrücklich herausgenommen werden.


3. In welcher Qualität die Leistungen bei funktionaler Leistungsbeschreibung auszuführen sind, ist durch Auslegung (§§ 133157 BGB) zu ermitteln. Dabei können der technische und qualitative Zuschnitt des ausgeschriebenen Vorhabens, sein architektonischer Anspruch und die Bestimmung des Gebäudes bedeutsam werden. Bestimmte Vorgaben sind im Zusammenhang eines einfachen Industriebaus anders zu verstehen als bei einem Repräsentativgebäude. So kann deshalb etwa der erwartete Qualitätsstandard nach der Zweckbestimmung des Gebäudes erheblich schwanken. Auch die zu erwartenden Anforderungen an die ästhetische Gestaltung sind bei einem schlichten Bürogebäude anders zu sehen als bei einem Repräsentativbau (BGH, IBR 1993, 410; OLG Schleswig, IBR 2023, 511).


4. Die Verwendung von Schlüsselfertigkeitsklauseln ist nicht AGB-widrig (BGH, IBR 1997, 46). Das gilt auch für sog. aufgesetzte Komplettheitsklauseln (OLG Düsseldorf, IBR 2015, 3; a.A. LG Hagen, Urteil vom 06.09.2023 - 21 O 75/20IBRRS 2023, 3110).

 

RA Dr. Stephan Bolz, Mannheim