
1. Der Zurechnungszusammenhang zwischen einem Ausschreibungsfehler des Planers (hier: produktspezifische Ausschreibung) und Schäden des Bauherrn infolge der Durchführung eines Vergabenachprüfungsverfahrens fehlt, wenn das Nachprüfungsverfahren nicht durch den Ausschreibungsfehler, sondern einen vergaberechtswidrigen Verstoß gegen des Verhandlungsverbot vom Bauherrn veranlasst wurde. Jedenfalls ist ein ganz überwiegendes Mitverschulden des Bauherrn anzunehmen.
2. Der Planer ist ausschließlich für die Erstellung eines (vergaberechtskonformen) Leistungsverzeichnisses verantwortlich, nicht für eine umfassende vergaberechtliche Beratung und sämtliche Entscheidungen im Vergabeverfahren.
KG, Urteil vom 30.01.2024 - 9 U 110/21
Problem/Sachverhalt
Der Ingenieur (I) wurde vom Bauherrn (B) u. a. mit der Erstellung von Leistungsverzeichnissen beauftragt. B wirft I vor, im Leistungsverzeichnis für das Gewerk Sicherheitstechnik eine Position verdeckt produktspezifisch - nach den Vorgaben eines bestimmten Produktdatenblattes - ausgeschrieben zu haben und B hierauf im daraufhin von einem Bieter eingeleiteten Vergabenachprüfungsverfahren nicht hingewiesen zu haben.
B macht gegenüber I die Kosten des Nachprüfungsverfahren in Höhe von rund 50.000 Euro klageweise geltend sowie bauliche Mehrkosten in Höhe von über 2 Mio. Euro aufgrund der Aufhebung und Neuausschreibung. Das Landgericht weist die Klage ab. Dagegen wendet sich die Berufung des B.
Entscheidung
Ohne Erfolg! Es besteht kein Schadensersatzanspruch nach §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB. Eine Haftung für die Kosten des Nachprüfungsverfahrens scheitert am fehlenden Zurechnungszusammenhang. B hat die alleinige Haftungsursache gesetzt. Er hat erkannt, dass Angebot des günstigsten Bieter nicht den LV-Anforderungen entsprach und anschließend vergaberechtswidrig mit dem Bieter nachverhandelt, um das Angebot zuschlagsfähig zu machen. Den anschließenden berechtigten Rügen des zweitplatzierten Bieters hat er nicht abgeholfen. Aus diesem Grund hatte das Nachprüfungsverfahren Erfolg. Dieses Vorgehen des B war nicht durch die produktspezifische Ausschreibung des I herausgefordert.
Der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang wurde durch das grob vergaberechtswidrige Vorgehen des B unterbrochen (vgl. BGH, Urteil vom 08.09.2016 - IX ZR 255/13, Rz. 24, IBRRS 2016, 3201). Jedenfalls wäre die Haftung wegen ganz überwiegenden Mitverschulden des B ausgeschlossen (§ 254 BGB). Nichts anderes folgt daraus, dass I in die Vorgänge eingebunden war, denn er trug aus den in Leitsatz 2 ersichtlichen Gründen insoweit keine Verantwortung. Es besteht auch kein Anspruch auf Ersatz der erhöhten Baukosten. Denn es bestand auch nach den Vergabenachprüfungsverfahren keine rechtliche Veranlassung, das Vergabeverfahren aufzuheben.
B hätte dem zweitplatzierten Bieter, der das Verfahren eingeleitet hat, den Zuschlag erteilen und damit ein weiteres Vergabeverfahren und daraus folgende Mehraufwendungen vermeiden können. Im Übrigen fehlt es auch hier am erforderlichen Haftungszusammenhang, jedenfalls liegt ein anspruchsausschließendes Mitverschulden vor
Praxishinweis
1. Die im Ergebnis zutreffende Entscheidung veranschaulicht die enormen Risiken, derer sich Planer im vergabe- und förderrechtlichen Umfeld ausgesetzt sehen (siehe auch OLG Naumburg, IBR 2023, 247). Dass der öffentliche Auftraggeber sich auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts über mehrere Instanzen beim Planer schadlos zu halten versuchte, hinterlässt einen faden Beigeschmack.
2. Welche Rechtsdienstleistungen der Planer im Rahmen der Leistungsphasen 6 und 7 überhaupt erbringen darf, richtet sich nach §§ 2, 5 RDG (zur "Verfahrensberatung": OLG Düsseldorf, IBR 2023, 94; VK Bund, IBR 2021, 426; zu den Grenzen der Rechtsberatungspflichten im Allgemeinen: Ryll, BauR 2024, 1099).
RA Thomas Ryll, Ludwigshafen
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