Keine Pflichtverletzung des rechnungsprüfenden Architekten bei komplexen Rechtsfragen!

OLG Köln, Urteil vom 16.04.2021 - 19 U 56/20; BGH, Beschluss vom 15.03.2023 - VII ZR 449/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen) BGB §§ 133, 157, 255, 276, 633, 634; HOAI 2013 § 33; VOB/B § 2 Abs. 3, 8, § 16

1. Der mit der Bauüberwachung beauftragte Architekt ist verpflichtet, Abschlagsrechnungen von Bauunternehmern daraufhin zu überprüfen, ob sie fachtechnisch und rechnerisch richtig, ob die zu Grunde gelegten Leistungen erbracht sind und ob sie der vertraglichen Vereinbarung entsprechen.
2. Die Abgrenzung zwischen einer Mengenabweichung nach § 2 Abs. 3 VOB/B und einer Ausführungsabweichung nach § 2 Abs. 8 VOB/B ist ebenso wie die korrekte Berechnung der Vergütung für 10% übersteigende Mehrmengen nach § 2 Abs. 3 VOB/B als Rechtsfrage zu klassifizieren.
3. Es würde die Anforderungen an das Maß der im Rahmen eines Architektenvertrags bei der Rechnungsprüfung nach § 276 BGB anzuwendenden Sorgfalt erheblich überspannen, wollte man dem Architekten einen Sorgfaltspflichtverstoß vorwerfen, wenn er in einer komplexen Konstellation eine der vorstehend dargestellten Rechtsfragen unzureichend erfasst und/oder unrichtig beantwortet.

 

OLG Köln, Urteil vom 16.04.2021 - 19 U 56/20; BGH, Beschluss vom 15.03.2023 - VII ZR 449/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

BGB §§ 133157255276633634; HOAI 2013 § 33; VOB/B § 2 Abs. 3, 8, § 16

 

Problem/Sachverhalt

Der Auftraggeber verlangt vom Architekten Schadensersatz nach § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB, weil der Architekt seine vertraglichen Pflichten bei der Rechnungsprüfung verletzt habe und es infolgedessen zu einer Überzahlung des Unternehmers i.H.v. rund 197.000 Euro gekommen sei.

 

Entscheidung

Das OLG Köln verneint den Schadensersatzanspruch und stützt dies u. a. auf folgende Erwägung: Die Frage der Abgrenzung zwischen einer Mengenabweichung nach § 2 Abs. 3 VOB/B und einer Ausführungsabweichung nach § 2 Abs. 8 VOB/B sei ebenso wie diejenige der korrekten Berechnung der Vergütung für 10% übersteigende Mehrmengen nach § 2 Abs. 3 VOB/B als Rechtsfrage zu klassifizieren. Unbeschadet der tatsächlichen Aspekte wie Art und Menge der verbauten sowie berechneten Materialien und Arbeiten seien diese Fragen anhand einer am objektivierten Empfängerhorizont orientierten Vertragsauslegung (§§ 133157 BGB) bzw. einer ergänzenden Vertragsauslegung zu beantworten (vgl. BGH, IBR 2019, 536). Es würde die Anforderungen an das Maß der im Rahmen eines Architektenvertrags bei der Abschlagsrechnungsprüfung nach § 276 BGB anzuwendenden Sorgfalt erheblich überspannen, wollte man dem Architekten einen Sorgfaltspflichtverstoß vorwerfen, wenn er in einer komplexeren Konstellation wie der vorliegenden eine der vorstehend dargestellten Rechtsfragen unzureichend erfasst und/oder unrichtig beantwortet.

 

Praxishinweis

Die Frage nach der Reichweite und den Grenzen der Rechtsberatungspflicht von Planern wird auch bei der Prüfung von Rechnungen der bauausführenden Unternehmen virulent. Die restriktive Haltung des OLG Köln ist im Allgemeinen zu begrüßen, aber: Hätte der Architekt hier erkennen und darauf hinweisen müssen, dass sich die Rechtsfrage der Abgrenzung zwischen Mengenabweichung nach § 2 Abs. 3 VOB/B und Ausführungsabweichung nach § 2 Abs. 8 VOB/B stellt und diese von einem "Sonderfachmann Recht" zu beantworten ist? Grundsätzlich beschränkt sich die Verpflichtung des Architekten auf eine Anwendung der Grundzüge des Rechts unter Berücksichtigung der gängigen Rechtsprechung (OLG Stuttgart, IBR 2023, 28). Zu den insoweit erwartbaren Grundzügen der VOB/B könnte auch die im vorliegenden Sachverhalt relevante Abgrenzungsfrage gehören. Planer sind bei aufkommenden Rechtsfragen jedenfalls gut beraten, lieber einmal zu viel als zu wenig die Einholung von Rechtsrat zu empfehlen.

 

RA Thomas Ryll, Ludwigshafen

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