Folgeauftrag ist Füllauftrag!

OLG Naumburg, Urteil vom 24.11.2022 - 2 U 180/21 BGB a.F. §§ 648a, 649; BGB §§ 648, 650f

1. Unternehmer i.S.v. § 648a BGB a.F. kann auch ein Architekt sein, wenn er dem Besteller kraft werkvertraglicher Verpflichtung eine für die Errichtung des Bauwerks notwendige geistige Leistung schuldet.*)
2. Ein Anspruch nach § 648a BGB a.F. besteht auch nach einer sog. freien Kündigung des Werkvertrags und bezieht sich dann auf den schlüssig dargelegten Vergütungsanspruch nach § 649 BGB a.F.*)
3. Wird ein Planungsauftrag für die Modernisierung eines Bestandsgebäudes vorzeitig gekündigt und zugleich ein neuer Planungsauftrag für den Umbau und die Modernisierung eines Gebäudekomplexes unter Einschluss des vorgenannten Bestandsgebäudes erteilt, so muss sich der Planer bei der Vergütung der nicht erbrachten Leistungen des zuerst genannten, vorzeitig beendeten Auftrags die Vergütung der erbrachten Leistungen des zuletzt geschlossenen Vertrags als anderweitigen Erwerb anrechnen lassen.*)

 

OLG Naumburg, Urteil vom 24.11.2022 - 2 U 180/21

BGB a.F. §§ 648a649; BGB §§ 648650f

 

Problem/Sachverhalt

Ein Architekt (A) begehrt vom Auftraggeber (AG) eine Sicherheit gem. § 648a BGB a.F. Für die Modernisierung eines Gebäudes schlossen die Parteien 2017 einen Architektenvertrag. Dieser wurde im Laufe der Vertragsbeziehungen - was zwischen den Parteien streitig war - seitens des AG durch eine sog. freie Kündigung (§ 649 BGB a.F.) beendet. 2019 wurde zwischen den Parteien ein neuer Vertrag über die Planungsleistungen für den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses inklusive Abbrucharbeiten geschlossen. Hinsichtlich der verwertbaren Teilleistungen wurde die Anrechnung der Vergütung des Vertrags aus dem Jahr 2017 vereinbart. Nachdem sich die Arbeiten verzögerten, verlangte A für Vergütungsansprüche aus dem beendeten Vertrag aus dem Jahr 2017 eine Sicherheitsleistung in Höhe der offenen, nicht bezahlten Restvertragssumme zuzüglich Zuschlag i.H.v. 10%.

Entscheidung

Teilweise mit Erfolg! A hat Anspruch auf Stellung einer Sicherheit nach § 648a BGB a.F. Sofern ein Architekt - wie hier - kraft werkvertraglicher Verpflichtung eine für die Errichtung des Bauwerks notwendige geistige Leistung schuldet, ist er Unternehmer im Sinne des Gesetzes. Dieser Anspruch besteht auch nach einer Kündigung. Das Sicherungsinteresse des A besteht nämlich so lange, wie sein Vergütungsanspruch nicht befriedigt ist. Jedoch besteht der Anspruch des A auf Sicherheitsleistung nur hinsichtlich der bereits erbrachten Leistungen, nicht hingegen für die kündigungsbedingt nicht mehr erbrachten Leistungen. Nach einer hier anzunehmenden freien Kündigung muss sich A auf die vereinbarte Vergütung dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen habe. Diesen Anspruch muss A darlegen. Er hat die vereinbarte Vergütung und darüber hinaus darzulegen, welche Kosten er erspart hat und welchen anderweitigen Erwerb er sich anrechnen lässt. Da der neue Vertrag ohne die Kündigung des anderen Vertrags so nicht geschlossen worden wäre, muss die Vergütung aus dem neuen Vertrag als anderweitiger Erwerb angerechnet werden.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist zwar zu § 648a BGB a.F. ergangen. Sie ist aber auf die neue Regelung in § 650f BGB (n.F.) übertragbar. So finden beim Architekten- und Ingenieurvertrag auch die Regelungen über die Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB entsprechende Anwendung. Dass im vorliegenden Fall die Höhe der Sicherheit erheblich vom Gericht reduziert wurde, beruht auf dem angenommenen Füllauftrag. Liegt kein Füllauftrag bzw. kein anderweitiger Erwerb vor, ist die kündigungsbedingte Vergütung für den Architekten bzw. Ingenieur häufig vergleichsweise hoch, da ersparte Aufwendung meist eher gering sind.

 

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Vergaberecht Philipp Scharfenberg, Heidelberg

© id Verlag