
I. Einleitung
Zu erwähnen sind diesbezüglich beispielhaft die Bestrebungen der einzelnen Länder zur Reform der jeweiligen Landesbauordnungen, das von Leupertz im Auftrag der BID Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland erstattete Rechtsgutachten zu neuen Regelungskonzepten für die kostengünstige und nachhaltige Durchführung von Bauvorhaben im Bereich des Wohnungsbaus und vor allem der im vorstehenden Abstrakt erwähnte Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums, der sich allerdings nur auf eine punktuelle Änderung i. R. d. Bauvertragstypen der §§ 650a ff. BGB beschränkt.
Vorwegzunehmen ist, dass die vorerwähnten volkswirtschaftlichen Defizite nicht unmittelbar aus den aRT als solche resultieren. Soweit die aRT bewährte Methoden zur Realisierung bestimmter Ausführungsverfahren widerspiegeln, können sie für die Abwicklung von Werkverträgen unverzichtbar sein. Dies gilt insbesondere bei Fehlen ausdrücklicher Vereinbarungen der Vertragsparteien und insoweit bei Rechtsgeschäften mit Verbrauchern.
Auf diese Weise kann die Einhaltung der aRT die Sicherstellung eines vom Besteller qualitativ zu erwartenden Mindeststandards gewährleisten. Insoweit lassen sich die aRT in gewisser Weise mit dem vom Schuldner nach § 243 Abs. 1 BGB einzuhaltenden Qualitätsmaßstab des allgemeinen Leistungsstörungsrechts vergleichen. Mit anderen Worten: Bestimmte Eigenschaften und Funktionalitäten des jeweils vereinbarten Werks können nur bei einer den aRT entsprechenden Ausführungsvariante verwirklicht werden.
In diesem Fall liegt es auf der Hand, dass der Unternehmer im Rahmen der Werksherstellung bei sonst fehlenden Vereinbarungen auch die aRT einzuhalten hat. Problematisch sind jedoch die werkvertragliche Einordnung der aRT auf Grundlage der aktuellen Rechtsprechung des BGH im Rahmen von § 633 BGB und die daraus resultierenden Folgeschwierigkeiten. Die damit einhergehen Defizite tragen in einem erheblichen Umfang zur beschriebenen Situation des immer mehr unbezahlbar werdenden Wohnraums bei.
Losgelöst von der Thematik der aRT bedarf die Vorschrift des § 633 Abs. 2 BGB ohnehin längst der Überarbeitung. Aus den erforderlichen Anpassungen gehen wichtige Erkenntnisse im Zusammenhang mit der rechtlich zutreffenden Einordnung der aRT hervor, und zwar nicht nur für das Bauvertragsrecht gem. §§ 650a ff. BGB, sondern für das gesamte Werkvertragsrecht der §§ 631 ff. BGB. Sie bilden das Fundament zur Lösung der hier erörterten Problematik.
Zur besseren Übersicht werden nachstehend die maßgeblichen Grundsätze des BGH zu den aRT skizziert. Anschließend werden die daraus resultierenden Defizite anhand von drei ausgewählten Beispielthemen verdeutlicht gefolgt von einer vorgeschlagenen Gesetzesänderung mit Erläuterungen.
II. Gegenwärtige Judikatur zu den aRT
Allgemein anerkannte Regeln der Technik sind auf mehreren Rechtsgebieten relevant, wie z.B. im Rahmen des Strafrechts gem. § 319 StGB. Eine Legaldefinition existiert allerdings nicht. Bezogen auf das Werkvertragsrecht der §§ 631; 633 ff. BGB kann beispielhaft die folgende Definition herangezogen werden:
„Anerkannte Regeln der Technik sind diejenigen technischen Regeln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen, die in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig erkannt sind und feststehen sowie insbesondere in dem Kreise der für die Anwendung der betreffenden Regeln maßgeblichen, nach dem neuesten Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker durchweg bekannt und aufgrund fortdauernder praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind.“
Stark verkürzt lassen sich die aRT als in der Wissenschaft erprobten und sich in der Praxis durchgesetzten Ausführungsmethoden definieren. Es handelt sich um standardisierte Verfahren, die sich in der Vergangenheit bewährt haben. Begrifflich unterstreicht das Wort „allgemein“, dass sich die jeweiligen Methoden sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis bewähren müssen; die gewählte Abkürzung „aRT“ dient lediglich der Vereinfachung.
Von den aRT abzugrenzen ist beispielhaft der Begriff des „Stand der Technik“. Damit ist das gegenwärtig technisch höchstmöglich Ausführbare gemeint, unabhängig davon, ob es sich in der Praxis bewährt und durchgesetzt hat. Ein auch hierüber hinausgehender Standard wird durch den Begriff des „Stand von Wissenschaft und Technik“ beschrieben, welcher von zusätzlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen geprägt ist, die über die aktuellen technischen Möglichkeiten hinausgehen können und damit die Anforderungen weiter nach oben verschieben.
1. Konkludente Beschaffenheitsvereinbarung
Bereits zu der vor dem 01.01.2002 geltenden Rechtslage war der BGH der Auffassung, dass der Unternehmer üblicherweise bei Vertragsschluss und dem Fehlen anderslautender Vereinbarungen stillschweigend die Einhaltung der aRT zusichere. Der Gesetzgeber der zum 01.01.2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform hat die explizite Erwähnung der aRT in § 633 BGB mit folgender Begründung abgelehnt:
„Erwogen, im Ergebnis aber verworfen worden ist der Vorschlag von Weyers (Gutachten Bd. III S. 281), in die Vorschrift eine ausdrückliche Regelung des Inhalts einzustellen, dass grundsätzlich die anerkannten Regeln der Technik einzuhalten sein sollen. Dass, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, die anerkannten Regeln der Technik einzuhalten sind, ist nicht zweifelhaft. Eine ausdrückliche Erwähnung bringt deshalb keinen Nutzen.
Sie könnte andererseits zu dem Missverständnis verleiten, dass der Werkunternehmer seine Leistungspflicht schon dann erfüllt hat, sobald nur diese Regeln eingehalten sind, auch wenn das Werk dadurch nicht die
vertragsgemäße Beschaffenheit erlangt hat. Eine solche Risikoverteilung wäre nicht sachgerecht. Das Risiko, dass sich die anerkannten Regeln der Technik als unzulänglich erweisen, muss der sachnähere Werkunternehmer tragen, nicht der Besteller.“
Der BGH hat an seiner Rechtsprechung auch für das ab dem 01.01.2002 geltende Schuldrecht festgehalten; die vorerwähnte konkludente Vereinbarung präzisiert er dahin, dass sich das Leistungsversprechen des Unternehmers sowohl beim VOB/B- als auch beim BGB-Bauvertrag auf den Stand der aRT zum Zeitpunkt der Abnahme beziehe.8 Im Regelfall gelte dies – so der BGH – auch bei einer Änderung der aRT zwischen Vertragsschluss und Abnahme ungeachtet der Frage eines etwaigen Mehrvergütungsanspruchs des Unternehmers.
Insoweit habe der Unternehmer den Besteller über die Änderung und über die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken für die Bauausführung zu informieren, es sei denn, diese seien dem Besteller bekannt oder würden sich ohne Weiteres aus den Umständen ergeben.9Die Rechtsprechung des BGH hat zur Folge, dass die aRT unmittelbar in den Tatbestand der Beschaffenheitsvereinbarung nach § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB zu verortet sind.
- Ende des Auszugs -
Der vollständige Aufsatz „Bezahlbarer Wohnraum trotz allgemein anerkannter Regeln der Technik?" von Dr. Paul Popescu erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2024, 1585 - 1595, Heft 11). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.