von Dr. Jörn Zons (Köln) und Justus Kraner (Köln)
I. Überblick
Die 27. Sitzung des Arbeitskreises internationales Baurecht stand ganz im Zeichen der Energiewende. Die Umstellung der deutschen Energieversorgung auf erneuerbare Energien macht zum einen die Errichtung von neuen Anlagen zur Stromerzeugung (insbesondere von Offshore-Windparks) nötig, zum anderen erfordert sie aber zudem eine weitgehende Umgestaltung des Übertragungsnetzes ("Stromautobahnen", Phasenschieber, Speichermöglichkeiten etc.).
Das bringt eine große Bandbreite von sehr unterschiedlichen Projekten mit sich. Bei diesen wird nicht nur in technischer Hinsicht häufig Neuland betreten. Auch für die darin involvierten (Vertrags-/Projekt-)Juristen stellen sich in diesem Zusammenhang neue Fragen und Herausforderungen. Diesen für deutsche Juristen häufig noch fremde Problemstellungen nachzugehen und solcherart ungewohnte Ufer zu kartieren, war ein Ziel der Sitzung.
II. Einzelne Beiträge
1. Martin Dressel: Netzausbau im Rahmen der Energiewende – Übertragung erneuerbarer Energien, insbesondere Offshore Wind
Den Beginn machte Martin Dressel (50Hertz Transmission GmbH, Berlin), der in seinem Beitrag die regulatorischen Rahmenbedingungen für den Netzausbau aus Sicht eines Übertragungsnetzbetreibers vorstellte. Zunächst erläuterte er, dass Grundlage des Netzausbaus der von den vier Übertragungsnetzbetreibern gemeinsam entwickelte Netzentwicklungsplan Strom ist.
Der Netzentwicklungsplan Strom mit darin enthaltenen Ausbau-Vorhaben wird schließlich nach erfolgter Öffentlichkeitsbeteiligung von der Bundesnetzagentur (BNetzA) genehmigt. Aktuell ist derzeit der im März 2024 bestätigte Netzentwicklungsplan Strom für die Zieljahre 2037/2045 gültig. Der Netzentwicklungsplan mit den Ausbau-Vorhaben dient der Bundesregierung als Grundlage und Entwurf für den Bundesbedarfsplan. Mit Erlass des Bundesbedarfsplans durch den Bundesgesetzgeber wird für die darin enthaltenen Vorhaben die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf festgestellt.
Im Anschluss daran beschrieb Dressel das Ausschreibungsverfahren zur wettbewerblichen Bestimmung der Betreiber von Windenergieanlagen auf See. Die Zuordnung von Flächen für die Ausschreibung erfolgt dabei anhand des Flächenentwicklungsplans. Sodann sind zwei unterschiedliche Verfahren für zentral voruntersuchte und für nicht zentral voruntersuchte Flächen zu unterscheiden.
Relevant aus Sicht der Übertragungsnetzbetreiber, so Dressel, ist vor allem die Netzanbindung der geplanten Windenergieanlagen auf See. Diese herzustellen sind die Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet. Im aktuellen Netzentwicklungsplan (2037/2045) sind insgesamt 35 Netzanbindungssysteme für Offshore-Windparks mit Inbetriebnahme-Terminen zwischen 2029 und 2041 vorgesehen.
Vorhabenträger ist grundsätzlich jeweils derjenige Übertragungsnetzbetreiber, in dessen Zuständigkeitsbereich der landseitige Netzverknüpfungspunkt gelegen ist (es kann aber auch ein anderer Übertragungsnetzbetreiber als Vorhabenträger bestimmt werden, wenn dieser ein möglichst zügige und effiziente Durchführung sicherstellen kann). Die Übertragungsnetzbetreiber, darauf wies Dressel besonders hin, haften den Windpark-Betreibers für einen verspäteten oder gestörten Netzanschluss. Das Energiewirtschaftsgesetz sieht insofern eine im Grundsatz verschuldensunabhängige Haftung der Übertragungsnetzbetreiber für Vermögensschäden der Betreiber vor.
Zum Schluss warf Dressel noch einen Blick auf Interkonnektoren-Projekte. Dabei handelt es sich um Stromleitungen zwischen verschiedenen Marktgebieten, d.h. um eine Verbindung des deutschen Stromnetzes mit Nachbarstaaten. Diese dienen dem Ziel der EU, einen integrierten Elektrizitätsbinnenmarkt zu schaffen. Mit sog. hybriden Interkonnektoren ist es darüber hinaus möglich, einen Windpark an zwei Marktbereiche anzuschließen (so erstmals im Projekt Kriegers Flak in der Ostsee erfolgt).
2. Stefan Höhns: Verträge über die Lieferung und Errichtung von Windturbinen – Besonderheiten und Herausforderungen
Die spezifischen Besonderheiten von Verträgen über die Lieferung und Errichtung von Windenergieanlagen – im internationalen Kontext häufig auch als Turbine Supply Agreements (TSA) bezeichnet – standen im Fokus des Vortrags von Dr. Stefan Höhns (Siemens Gamesa Renewable Energy, S.A.U., Bilbao, Spanien). Höhns nahm dabei acht Themenkomplexe in den Blick:
Zunächst stellte er die typische allgemeine Verteilung von Pflichten und Risiken zwischen den Vertragsparteien vor: Üblicherweise bestehen die wesentlichen charakteristischen Vertragspflichten des Turbinen-Lieferanten in Design, Fertigung, Lieferung, Installation, Inbetriebnahme der Windturbinen sowie der entsprechenden Mängelhaftung, häufig nebst zugesagten Leistungsgarantien. Der Auftraggeber hingegen hat den Zugang zur Windparkfläche, das Vorliegen der relevanten Genehmigungen, die Übergabe der geophysikalischen Untersuchungen der Fläche ("Site Data") und Maßnahmen des Umweltschutzes sicherzustellen.
Wetter und Bodenrisiken (Altlasten, UXO, Kabel, Pipelines) wird der Lieferant in der Regel nicht übernehmen wollen, da der Auftraggeber die Fläche ausgesucht hat und von den dort herrschenden Windbedingungen profitiert. Für den Fall der Realisierung derartiger Risiken wird der Lieferant deshalb in der Regel einen Anspruch auf Fristerstreckung ("Extension of Time", "EoT") sowie auf Erstattung von Zusatzkosten verlangen.
Der zweite Themenkomplex, auf den Höhns abstellte, war Verzug und Verzugshaftung, d.h. die Vereinbarung von Vertragsterminen, deren Einhaltung durch sog. "Liquidated Damages" ("LDs") – und zwar nur im Fall eines Verschuldens des Lieferanten – gesichert wird. Da LDs zugleich als Haftungsbegrenzung für den Lieferanten fungieren sollen, ist aus dessen Sicht auf eine "sole and exclusive remedies"-Klausel ebenso zu achten, wie auf eine Beschränkung des Kündigungsrecht auf den Fall der Ausschöpfung der Termin-LDs. Die wichtigsten Punkte für eine Force Majeure-Klausel sprach Höhns ebenfalls an.
Ein dritter wichtiger Punkt (jedenfalls für Lieferanten) ist ein Leistungsverweigerungsrecht ("Suspension") im Fall einer Zahlungssäumnis des Auftraggebers. Auch dieser lässt sich typischerweise ein Recht zur Unterbrechung der Vertragsdurchführung einräumen, häufig ein freies ("for conveniance"). Das gibt wiederum Anlass für den Lieferanten auf eine Regelung der Konsequenzen und eine zeitliche Begrenzung (mittels Recht zur Kündigung) zu achten.
Die vierte Punkt, den Höhns erläuterte, waren Performance Garantien (wie etwa Leistung, Verfügbarkeit, Schall), die der Lieferant in der Regel zusagt.
Fünftens bedarf die Abnahme ("Taking Over") und das Abnahmeverfahren einer genauen Regelung mit Blick auf Voraussetzungen und Rechtsfolgen.
Als sechsten Punkt thematisierte Höhns Kündigung-.und Rücktrittsrechte der Parteien, wobei Rücktritt die Rückabwicklung des Vertrags meint, und Kündigung die Vertragsbeendigung zum Kündigungszeitpunkt. Die entsprechenden Rechte und Rechtsfolgen sollten im Vertrag geregelt werden.
Im Zusammenhang mit der Mängelhaftung ("Defects Liability"), dem siebten Punkt, wies Höhns besonders auf die Bedeutung und die wichtigsten Punkte einer Serienschaden-Klausel hin.
Last but not least beschrieb Höhns zum Abschluss seines Beitrags die Prinzipien von Haftungsbegrenzungs- und Haftungsausschluss-Klauseln.
3. Jan Hendrik Rowold: Kabelverträge im deutschen Übertragungsnetz mit internationalen Akteuren – Ein Überblick zu den tatsächlichen und vertraglichen Besonderheiten
Jan Hendrik Rowold (Amprion GmbH, Hamburg) nahm sodann Kabelverträge in den Blick. Dabei handelt es sich um Verträge zu Fertigung. Lieferung, Montage, Installation und Inbetriebnahme von Kabeln bzw. Kabelsystemen, wie bspw. für die Netzanschlusssysteme für die Windparks in nord- und Ostsee oder die Trassen zur Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) zwischen Nord- und Süddeutschland. Es geht bei derartigen Kabel-Projekten darum, den Offshore-Windstrom an Land zu bringen und innerhalb Deutschlands an die Regionen mit großem Verbrauch zu verteilen.
Von solchen HGÜ-Leitungen mit hoher Kapazität sind bereits und werden weiter in den kommenden etliche tausende Kilometer errichtet. Entsprechend groß ist der Bedarf an leistungsfähigen HGÜ-Kabeln. Allerdings sei der Netzausbau durch schwierige Marktbedingungen geprägt, so Rowold. Angesichts des weltweiten Ausbaus von Offshore-Windenergie und knappen Kabel-Produktionsressourcen sähen sich die Auftraggeber einem internationalen Oligopol von Lieferanten gegenüber.
Von herausgehobener Wichtigkeit ist der Factory Acceptance Test (FAT) für die Kabel, da Mängel insbesondere bei Erd- oder Seekabel später nur schwer lokalisier- und behebbar sind.
Rowold erläuterte sodann eine wichtige Besonderheit von Kabelverträgen: Zu Zwecken der Qualitätssicherung haben die Kabel und ihre Produktionsstätten eine Präqualifikation zu absolvieren. Von herausgehobener Wichtigkeit ist der Factory Acceptance Test (FAT) für die Kabel, da Mängel insbesondere bei Erd- oder Seekabel später nur schwer lokalisier- und behebbarbar sind. Typischerweise werden für Kabel zudem Verfügbarkeits- und Leistungsparameter vereinbart.
Eine weitere Problematik, namentlich für die Montage-Phase, stellen Leistungsänderungen dar. Häufig kommt es aufgrund von Planungsunschärfen und eines dynamischen Umfelds zu Änderungen bei der Verlegung der Kabel. Hier ist eine genaue Abgrenzung zwischen einer Leistungsänderung und bereits eingepreisten Leistungen erforderlich.
Rowold erörterte abschließend noch verschiedene Vergütungsstrukturen. Typisch ist eine Mischung aus Festpreis und variablen Vergütungsanteilen. Häufig findet sich in diesem Zusammenhang eine Preisgleitung für einzelne Stoffe, Bunker (insbes. Schiffs-Treibstoff) und Komponenten. Soweit teilweise Lieferanten auf einem Cost-Plus-Fee-Ansatz bestehen, kann das mit beträchtlichen Kosten-Unsicherheiten für den Auftraggeber verbunden sein. Es ist deshalb mit geeigneten vertraglichen Mitteln sicherzustellen, dass dieses Risiko begrenzt werden kann (z.B. mittels eines Open-Book-Verfahrens, einer gewissen Kontrolle über die Subunternehmerverträge oder der sauberen Definition von Voraussetzungen einer Kostenübernahme). Auch die Vereinbarung eines Bonus-Malus-Systems kann hierfür ein Baustein sein.
4. Cedric Sabbe: Introduction to contracting principles for offshore wind installation
In die Welt der Offshore-Transport- und Installations-Verträge ("T&I-Contracts" im internationalen Jargon) führte Cedric Sabbe (DEME Group, Antwerpen, Belgien) mit einem auf Englisch gehaltenen Vortrag ein. Er legte dabei einen Schwerpunkt auf Verträge, die den Transport und die Installation von Fundamenten für Offshore-Windturbinen zum Gegenstand haben.
Aus der Sicht von Sabbe sei ein Wandel im Markt bzgl. Windturbinen(-fundamente) zu beobachten: dominierten früher EPCI-Verträge bzgl. des ganzen Fundament-Systems, so sei heute fast durchweg ein Multi-Contracting-Ansatz vorherrschend, bei dem Design, Fertigung sowie Transport und Installation getrennt beauftragt würden. Eine derartige Scope-Reduzierung vermindere nicht nur die Margen für die Unternehmer, sondern bringe auch erhebliche Risiko-Schnittstellenprobleme mit sich. Aus der Perspektive eines reinen T&I-Kontraktoren sei es deshalb wichtig darauf zu achten, keine Risiken jenseits des reinen T&I-Scopes zu übernehmen.
Allerdings gebe es keine anerkannten Standardverträge, die mit einer entsprechend ausgewogenen Risikoverteilung für den T&I-Scope geeignet seien. Das führe laut Sabbe dazu, dass eigentlich für andere Zwecke entwickelte Vertragsmuster als Grundlage herangezogen und projekt-spezifisch (zumeist recht weitgehend) modifiziert würden. Selten ergäbe sich dabei eine ausgewogene und faire Vertragsstruktur. Insbesondere die Verwendung von FIDIC-Verträgen als Basis sei problematisch, da die meisten genuinen Offshore-Themen (z.B. Marine Warranty Surveyer, Knock-for-Knock, Adverse Weather, Rely-Upon-Information etc.) in den FIDIC-Mustern (als Muster für Onshore-Projekte) gar nicht vorgehsehen seien, und deshalb auch nicht in das FIDIC-System passen würden.
Als Alternative stellte Sabbe das jüngst entwickelten IMCA-Vertragsmuster für T&I-Verträge der International Marine Contractors Association vor. Er berichtete zudem, dass sowohl BIMCO als auch das World Forum Offshore Wind Arbeitsgruppen mit dem Ziel eingerichtet haben, einen T&I-Standard-Vertrag zu entwickeln.
Im letzten Teil seines Beitrags diskutierte Sabbe einige aus Sicht eines T&I-Kontraktoren wichtige Vertragspunkte für einen T&I-Vertrag. Dazu gehören seiner Ansicht nach zunächst detaillierte Regelungen zu den T&I-Kontraktor-Pflichten im Zusammenhang mit dem Marine Warranty Surveyor. Sodann sei in jedem Fall eine klare Risikoverteilung mit Blick auf die geophysikalischen Daten (Site Data) dergestalt vorzunehmen, dass der Unternehmer sich auf die vorhandenen Daten verlassen darf ("Rely-Upon-Information") und im Fall einer Abweichung der tatsächlichen Verhältnisse Anspruch auf Terminerstreckung und Zusatzkosten erhält.
Ein solches Spätest-Datum erlaub es dem Kontraktor, das Installationsschiff im Fall einer Projektverzögerung vom Projekt abzuziehen, wenn es für ein anderes Projekt verbindlich gebucht ist.
Weiter erläuterte Sabbe das Konzept eines Latest Vessel Availability Date (LVAD). Ein solches Spätest-Datum erlaube es dem Kontraktor, das Installationsschiff im Fall einer Projektverzögerung vom Projekt abzuziehen, wenn/soweit es für ein anderes Projekt verbindlich gebucht sei. Das gelte unabhängig davon, was die Gründe für die Verzögerung seien. Zwar bleibe der T&I-Kontraktor verpflichtet, den Vertrag zu Ende zu führen, allerdings erst dann, wenn wieder ein freier Zeit-Slot des Schiffs vorhanden ist. Auch wenn ein solches Konzept aus Auftraggeber-Perspektive sehr problematisch erscheine, so Sabbe, sei es dennoch unabdingbar, um künftige Projekte und Kunden vor übermäßigen Verzögerungen durch vorangehende Projekte zu schützen. Dies gelte insbesondere vor dem derzeitigen Hintergrund einer starken weltweite Nachfrage nach Offshore-Windenergie bei gleichzeitiger Knappheit von Installationskapazitäten.
Schließlich wendete sich Sabbe noch Haftungsfragen und den Gefahrtragungsregeln zu ("care and custody"). Ein klares Knock-for-Knock-Regime sei in diesem Zusammenhang für einen T&I-Unternehmer unerlässlich. Üblich sei, dass die Vertragsobjekte ("Installation Items") aus dem Knock-for-Knock-Mechanismus herausgenommen seien. Umso wichtig ist deshalb die Aufnahme von "Employer's Risks", wie sie aus FIDIC bekannt seien und für die der Kontraktor nicht hafte (z.B. Krieg, Terror oder auch schuldhaftes Handeln/Unterlassen des Auftraggebers).
5. Justus Kraner: Knock-for-Knock: Von der Grundidee in "Tug&Tow"-Verträgen zu den Weiterentwicklungen für komplexe Offshore-Projekte
Justus Kraner (Friedrich Graf von Westphalen & Partner, Köln) warf sodann einen genaueren Blick auf eines der prägenden Konzepte von Offshore-Verträgen, die sog. Knock-for-Knock-Risikoverteilung. Ausgangspunkt ist das besondere Risikoprofil von Offshore-Aktivitäten, das die Wahrscheinlichkeit von hohen Sach- und Personenschäden steigert: Auf dem Meer herrschen oft heikle, von Naturkräften ausgehende und nur bedingt vorherzusehende Umweltbedingungen (Wetter, Wellen, Wind, Strömung, Sturm, Gezeiten, Wassertemperaturen etc.).
Diese erfordern ggfs. schwierige Entscheidungen in Sekundenbruchteilen, umso mehr als die Personensicherheit auf See oberste Priorität hat. Wenn es dann zum Schadensfall kommen sollte, erreichen die Schadenssummen sehr schnell enorme Höhen. Das liegt an den im Spiel befindlichen hohen Sachwerten (bspw. Konverter-Topsides, Windturbinen, Installationsschiffe etc., ebenso im Fall herkömmlicher Öl- und Gas-Plattformen). Schadenserhöhend wirkt zudem die kostentreibende Logistik für Rettung, (Wrack-)Bergung, Schadensbehebung und Reparaturen.
Da derartige Schadensrisiken von den Projektbeteiligten/den Kontraktoren nicht sinnvoll versichert, geschweige denn getragen werden können, hat sich vor diesem Hintergrund der Knock-for-Knock-Mechanismus als Mittel zu einer bestimmten Risikoverteilung zwischen den Projektbeteiligten etabliert. Dessen Grundidee ist einfach: Jeder trägt und versichert allein die Schäden an seinem eigenen Eigentum bzw. an seinem eigenen Personal. Rechtstechnisch wird dies durch wechselseitige Freistellungsverpflichtungen ("cross indemnities") in Bezug auf Sach- und Personenschäden erreicht.
Da diese wechselseitigen Freistellungsverpflichtungen typischerweise alle auf Seiten der Vertragsparteien aktiv werdenden weiteren Partner erstrecken (Subunternehmer jedweder Ebene, verbundene Unternehmen etc.), sind alle Projektbeteiligten einbezogen. Entscheidend sind überdies die dahinterstehenden Versicherungen, bei denen mittels eines Regressverzichts ("waiver of subrogation") sichergestellt wird, dass die cross indemnities nicht durch einen Versicherer-Rückgriff unterlaufen werden.
Kraner demonstrierte sodann im Detail anhand von gängigen Musterklauseln – zum einen mit BIMCO-TOWCON 2021 ein klassischer Tug&Tow-Vertrag, zum anderen mit LOGIC Construction ein Vertrag für komplexe Offshore-Projekte – wie Knock-for-Knock-Klauseln in der Praxis aussehen, und wie unterschiedlich der Knock-for-Knock-Mechanismus je nach Bedarf ausgestaltet sein kann.
Ferner berichtete Kraner von drei englischen Gerichtsentscheidungen (deutsche gibt es bislang keine), die den Knock-for-Knock-Mechanismus für das englische Recht geprägt haben (die Fälle "A Turtle vs. Superior Trading", "Möbius vs. Smit" und die Rechtsstreitigkeiten infolge der Piper-Alpha-Katastrophe).
Ein praktischer Teil mit Hinweisen dazu, was bei der Gestaltung von Knock-for-Knock-Regelungen im Blick behalten werden sollte, bildete den Abschluss Kraners Vortrag. Dazu gehört v.a. ein "Lücken-Screening" auf potentielle Haftungs-/Deckungslücken (insbesondere auch bzgl. betroffenem Dritt-Eigentum) sowie eine ganzheitliche Projekt-Perspektive mit korrespondierenden Knock-for-Knock-Regelungen in idealerweise sämtlichen Vertragspaketen im Projekt. Besonders wichtig jedoch ist die Abstimmung zwischen dem Vertrag und dem Versicherungskonzept hinsichtlich versicherter Schäden, vereinbarter Selbstbehalte ("deductibles") sowie vereinbarter Regressverzichte.
6. Olaf Weidemann: Risikomanagement und Versicherungslösungen für Projekte im Offshore-Bereich
An den vorherigen Beitrag anknüpfend beleuchtete Olaf Weidemann (NW Assekuranzmakler Düsseldorf GmbH & Co. KG, Düsseldorf) das Thema Versicherungen im Offshore-Bereich. Das Risiko- und Versicherungsmanagement beginne, so Weidemann, bereits mit der Gestaltung von Versicherungsklauseln der jeweiligen Werk-/Lieferverträge des Projekts. Diese sollten in jedem Fall beinhalten, welche Versicherungen von den Vertragsparteien abzuschließen und vorzuhalten sind.
Auf Auftraggeberseite geht es dabei typischerweise um eine Construction All Risk (CAR) und um eine Third Party Liability (TPL) sowie weitere gesetzlich vorgeschriebene Versicherungen. Zumeist wird vereinbart, dass der Auftragnehmer als Mitversicherter in die AG-Versicherungen (insbesondere in die CAR) aufgenommen wird, verbunden mit einem Regressverzicht des jeweiligen Versicherers.
Ebenfalls wird zumeist die Höhe der Selbstbehalte vereinbart, und wer in welchen Fällen den Selbstbehalt zu tragen hat. Auf Seite des Auftragnehmers geht es in der Regel um Sachversicherungen für von diesem genutztes Equipment, eine Schiffskaskoversicherung (Hull and Machinery, H&M) sowie eine "Protection and Indemnity"-Versicherung (P&I), letztere ggfs. mit "specialist operations"-Deckung. Auch hier ist zu vereinbaren, dass ein Regressverzicht des/der Versicherer aufzunehmen ist. In allen Fällen, d.h. sowohl bzgl. der AG- als auch der AN-Versicherungen, ist zu regeln, welche Rechtsfolgen bei nicht ausreichend beschafften Versicherungsschutz gelten (Ersatzbeschaffung durch andere Partei, Entfall der Haftungsbegrenzungen o.ä.).
Soweit es der Markt hergibt, muss im Anschluss an die fertig ausgehandelten Projektvertröge ein dafür anhand einer Risikoanalyse sowie der vereinbarten Versicherungsklausen maßgeschneiderter Versicherungsschutz eingekauft werden.
Weidemann erläuterte, dass im Anschluss an die fertig ausgehandelten Projektverträge ein dafür anhand der Risikoanalyse sowie der vereinbarten Versicherungsklauseln maßgeschneiderter Versicherungsschutz eingekauft werden müsse (soweit es der Markt hergebe). Das geschehe häufig mittels einer kombinierten Projekt-Versicherung als eine Allgefahren-Sachversicherung, mit der alle Projektphasen abgedeckt werden können: von der Lagerung nach Abschluss der Fertigung, über Transport, etwaige Zwischenlagerung, Offshore-Errichtung und Inbetriebnahme bis hin zur operativen Phase durch eine Extended Maintenance-Deckung).
Eine "Delay in Start-up"-Komponente (Deckung von Vermögensschäden im Fall einer Projektverzögerung) sei sinnvoll und werde überdies häufig von finanzierenden Instituten gefordert. Weidemann stellte zudem eine Reihe von typischen und im Markt anerkannten Klauseln vor, mit denen besondere Risiken abgedeckt werden: Cable-Cutting-Klausel, Mangelfolgeschaden-Klausel (LEG1-LEG3). Serienschadens-Klausel, Marine-Warranty-Surveyor-Klausel und Cable-Protection-System-Klausel.
Selbstverständlich durfte ein Hinweis auf die so wichtigen Selbstbehalte in den verschiedenen Versicherungen und Deckungsbausteinen nicht fehlen. Gerade im Offshore-Bereich sei mit signifikanten Selbstbehalten bis hin zu 5 Mio. EUR zu rechnen, so Weidemann. Zudem gebe es typischerweise in derartigen Projektpolicen eine ganze Reihe von Sub-Limits für bestimmte Schadensarten.
III. Fazit
Die Beiträge der 27. Sitzung des Arbeitskreises (AK) Internationales Baurecht zeigten die Bandbreite an neuen und spannenden juristischen Themen auf, die im Kielwasser der Energiewende auf den Schreibtischen der Juristen landen. Zum einen führen andersartige technische Hintergründe zu neuen regelungsbedürftigen Punkten bei der Vertragsgestaltung.
Zum Zweiten führen die Besonderheiten von Offshore-Projekten (die einen beträchtlichen Teil der Energiewende-Investments ausmachen) im Zusammenspiel mit international etablierten Marktstandards zum Auftreten von bislang für deutsche Juristen ungewohnten Haftungs- und Versicherungskonstruktionen. Da die Energiewende ein Marathon ist, werden die damit verbundenen juristischen Fragestellungen auf absehbare Zeit aktuell bleiben. Hier Orientierung zu bieten, ist den Referenten sehr gut gelungen.
IV. Zum Arbeitskreis Internationales Baurecht der ARGE Baurecht
Der AK ist eine Unterorganisation der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltverein. Geleitet wird der AK von Dr. Jan-Bertram Hillig (GSK Stockmann, Berlin), Dr. Oliver Koos (GSK Stockmann, Frankfurt am Main), Tobias Voigt (Kyriss Legal, Hamburg) und Dr. Jörn Zons (Friedrich Graf von Westphalen, Köln).
Ziele des AK sind die Förderung des Erfahrungsaustausches zum grenzüberschreitenden Bau- und Anlagenbaurecht sowie die Schulung von Interessierten aus dem Kreis der deutschen Baurechtsanwälte.
An den Treffen des AK können alle interessierten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte teilnehmen. Weitere Informationen fnden Sie hier.