Gute Nachrichten für Architekten und Ingenieure die mittels sogenannter Aufstockungsklagen unter Berufung auf das verbindliche Preisrecht der HOAI die Unwirksamkeit einer Honorarvereinbarung wegen Unterschreitens des in § 7 HOAI geregelten Mindestsatzes gegen ihren Auftraggeber geltend machen. Denn mit dem aktuellen EuGH-Urteil vom 18. Januar wird genau das wieder möglich.
„Wir haben erwartet, dass der EuGH die Mindestsätze der HOAI auch für ältere Verträge für unwirksam erklären würde. So jedenfalls lauteten die vorausgegangenen Empfehlungen des Generalsstaatsanwalts, denen das Gericht in den meisten Fällen folgt“, sagt Rechtsanwalt Prof. Frank Siegburg von der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltverein. Es kam jedoch anders. Der EuGH stellt mit seinem Urteil vom 18. Januar 2022 (Rechtssache C-261/20) fest, dass nationale Gerichte die europarechtswidrigen Mindestsätze der HOAI 2013 zwischen Privatpersonen grundsätzlich weiter anwenden dürfen.
Der EuGH erklärte mit seinem Urteil vom 4. Juni 2019 die Mindest- und Höchstsätze der HOAI in der Fassung 2013 für unionswidrig. Mit dem aktuellen Urteil stellt der EuGH den Grundsatz klar, dass sich eine Richtlinie der Europäischen Union, anders als die nur in wenigen Fällen zulässige Verordnung, nur an den Mitgliedsstaat richte und dem Einzelnen keine Verpflichtungen auferlegen könne. Deutsche Gerichte sind nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, die deutsche Regelung unangewendet zu lassen, obwohl die HOAI mit ihren Mindest- und Höchstsätzen für Planer nach Auffassung des EuGH gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstößt. Damit spielt der EuGH den Ball zurück an den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser hatte im Mai 2020 den EuGH um Vorabentscheidung ersucht. (Beschl. v. 14.07.2020, Az. VII ZR 174/19).
Der VII. Zivilsenat des BGH tendierte bisher bereits zu der Auffassung, für die „Altfälle“ (Verträge, die bis 31.12.2020 geschlossen wurden) die verbindlichen Mindestsätze trotz des EuGH-Urteils im Vertragsverletzungsverfahren weiter anzuwenden. Dem BGH zufolge zwinge das „Mindestsatz-Urteil“ des EuGH vom 4. Juni 2019 die nationalen Gerichte nicht, von der Unwirksamkeit des § 7 HOAI auszugehen. Mithin ist zu erwarten, dass der BGH in dem laufenden Verfahren die Revision des Auftraggebers zurückweisen wird. Der klagende Architekt oder Ingenieur kann abweichend vom Vertrag den Mindestsatz verlangen.
Die aktuelle Entscheidung aus Luxemburg wird für grob geschätzt einige tausend Verfahren in Deutschland bedeutsam sein. Für die Zukunft der HOAI wird es jedoch keine Rolle mehr spielen
sagt Siegburg. Die mit der HOAI 2021 geschaffene Möglichkeit, Honorare frei zu vereinbaren, bringt indes viele Chancen mit sich. „Die neuen Regelungen gelten seit einem Jahr und es zeigt sich, dass die Vertragspartner im Markt die neu gewonnene Vertragsfreiheit zunehmend ausschöpfen“, sagt Siegburg. Zwar müsse sich die Branche noch immer daran gewöhnen, aufwandsbezogen zu kalkulieren, aber die Praxis zeigt, dass sich „Vereinbarungen in aktuellen Planungsverträgen sowohl bezogen auf die Leistungsbilder als auch hinsichtlich der Vergütungsvereinbarung deutlich von der HOAI entfernen“, so Siegburg.
Dem Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht zufolge werden in der Praxis zunehmend auf die konkrete Bauaufgabe individuell zugeschnittene Leistungsbilder entwickelt und in der Regel aufwandsbezogene Honorare vereinbart. Allem Anschein nach sind derzeit sowohl die Architekten und Ingenieure als auch die Bauherren Nutznießer dieser Entwicklung. „Die große Befürchtung der Architekten- und Ingenieurverbände, dass nach Wegfall des zwingenden Preisrechtes der HOAI die Honorare drastisch sinken werden, hat sich bis heute jedenfalls noch nicht bewahrheitet“, sagt Siegburg.
Ohnehin ist absehbar, dass die HOAI in der aktuellen Form sowie auch in etwaigen zukünftigen Fassungen, nicht mehr die Bedeutung erlangen wird, wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Mit anderen Worten: „Die HOAI wird wohl schon bald auf dem Friedhof der Deutschen Rechtsgeschichte landen“, so Siegburg.
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