Wie tiefgehend muss ein Sachverständiger im selbständigen Beweisverfahren eine eigene Sanierungsplanung „begutachten“?

OLG Koblenz, Beschluss vom 02.09.2013 Az.: 5 W 481/13

In selbständigen Beweisverfahren geht es nicht nur um die Beweissicherung, sondern grundsätzlich auch um eine Begutachtung der Kosten. Bei komplexen Sachverhalten scheut sich so mancher Gerichtsgutachter zur Erstellung einer umfassenden Sanierungsplanung. Wann ist ein Beharren auf eine tiefgreifende Planung für die Prozessbeteiligten sinnvoll oder nicht ratsam?

Ausgangssituation:

Gemäß § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Variante 3 ZPO ist im selbständigen Beweisverfahren auch die Begutachtung zum Aufwand der Beseitigung eines Sachmangels zulässig. Dies ist bei „überschaubaren“ Mängeln sicher sinnvoll. Bei tief im Baukörper verborgenen Mängeln oder Mängeln aufgrund von Wechselwirkungen verschiedener baulicher Begebenheiten ist eine zutreffende Kostenermittlung häufig nur auf Basis einer konkreten Sanierungsplanung möglich, die komplex sein kann. In vielen Fällen verweisen Gutachter auf ihre Rechtsauffassung, dass sie so etwas nicht zu bewerkstelligen haben. Die Rechtsprechung sieht dies anders, kann aber hinterfragt werden.

Beispiel:

(Nach OLG Koblenz, Beschluss vom 02.09.2013 Az.: 5 W 481/13)

Es geht um Schallschutzprobleme in Hörkabinen einer Hörakustikerpraxis. Der Gutachter im selbständigen Beweisverfahren stellt Schallschutzmängel fest, mag sich zu den konkreten Mangelbeseitigungsleistungen und deren Kosten jedoch nicht äußern. (Vgl. Schuller, in IBR 2014, S. 385) Das Oberlandesgericht vertritt die Auffassung, dass das Beweisverfahren (auch) der Vorbereitung einer Klage dient. Dies verlangt die Gewinnung einer gesicherten Grundlage für die Bezifferung eines Klageantrags. Hierzu sei der Gutachter in seiner Stellung im Zivilverfahren verpflichtet und müsse ggf. zusätzliche fachkundige Personen in seine Gutachtenerstellung einbeziehen.

Hinweis:

Auch das OLG Hamm verpflichtet einen Gutachter wegen Mängeln an einer Bodenplatte zu einer umfassenden Sanierungsplanung nebst Einholung von Vermessungen und geotechnischen Untersuchungen, wenn dies für eine Kostenermittlung der Mangelbeseitigungsarbeiten notwendig ist. (Vgl.: Beschluss vom 09.01.2014 Az.: 17 W 38/13) Vor diesem Hintergrund können Sachverständige zur Sanierungsplanung verpflichtet werden.

Ein Gericht hat gemäß § 409 ZPO die Möglichkeit, bei Weigerung des Gutachters ein Ordnungsgeld festzusetzen. Für die Parteien oder die Prozessvertreter der Parteien stellt sich allerdings die Frage, inwieweit ein ordnungsgemäßes Arbeitsergebnis von einem offenkundig Unwilligen zu erwarten ist und ob eine solche Vorgehensweise sinnvoll ist.

Insbesondere bei mehreren Lösungsvarianten kann eine Planungsaufgabe Abstimmungen mit dem Gebäudeeigentümer erforderlich machen. Bei streitgegenständlichen Planungsmängeln, die nicht in einer fehlerhaften Ausführungsplanung, sondern in einer Nichtbeachtung von Planungsanforderungen des Bauherrn bestehen, also bei Mängeln der Entwurfsplanung, wird es ohne Entscheidung des Bauherren oftmals nicht gehen.

Die Tätigkeit des Gutachters kann sich mit typischen Architektenleistungen überschneiden, die ab einem gewissen Kostenumfang nach der HOAI preisgebunden zu vergüten wären. Der Gutachter in seiner Stellung als Gehilfe des Gerichts erbringt jedoch keine werkvertraglichen Leistungen, sodass der Anwendungsbereich der HOAI nicht eröffnet ist. Dementsprechend erhält er keine „Vergütung“, sondern gemäß § 413 ZPO eine „Entschädigung“ nach JVEG.

Der Gutachter haftet gegenüber dem prozessbeteiligten Bauherrn oder Eigentümer nur nach § 839a BGB. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift setzen so hohe Hürden, dass eine Haftung seltenst durchsetzbar ist. Gegebenenfalls ist es für den Bauherrn daher ratsam, gleichwohl nochmals einen Planer vertraglich zu beauftragen. Damit besteht ein Risiko unnötig entstehender Kosten.#

 

Rechtsanwalt Johannes Jochem

RJ Anwälte, Wiesbaden