Teilkündigung beim VOB/B-Vertrag: Was sind "in sich abgeschlossene" Teilleistungen?

OLG Düsseldorf, Urteil vom 08.12.2022 - 5 U 232/21 VOB/B § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2

1. Die VOB/B geht von einer Vollkündigung aus. Die Kündigung kann auf einen in sich abgeschlossenen Teil der vertraglichen Leistung beschränkt werden.
2. Der Begriff des in sich abgeschlossenen Teils einer Leistung ist eng auszulegen. Leistungsteile innerhalb eines Gewerks können grundsätzlich nicht als abgeschlossen angesehen werden.
3. Bezieht sich eine Teilkündigung nicht auf einen abgeschlossenen Teil der Leistung, ist sie unwirksam.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 08.12.2022 - 5 U 232/21

VOB/B § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2

 

Problem/Sachverhalt

Auftraggeber (AG) und Auftragnehmer (AN) schließen im Jahr 2013 einen VOB/B-Vertrag über Dachdeckerarbeiten für das Justizzentrum Bochum. Das Justizzentrum besteht aus mehreren Gebäuden, die aneinander anschließen bzw. miteinander verbunden sind (Bauteile A bis F). Das Bauteil F, in dem sich u. a. die Wachmeisterei befindet, ist deutlich niedriger als die übrigen Bauteile und ist an die Bauteile A, D und E angeschlossen. Der AG erklärt eine auf § 8 Abs. 3 VOB/B gestützte Teilkündigung aus wichtigem Grund hinsichtlich der noch ausstehenden Arbeiten auf dem Bauteil F und einem Verbindungsgang zwischen den Bauteilen A und B. Der AN erhebt Klage auf Feststellung, dass die Kündigung nicht berechtigt ist. Das Landgericht gibt der Klage statt. Hiergegen legt der AG Berufung ein.

Entscheidung

Ohne Erfolg! Ob ein wichtiger Kündigungsgrund vorlag oder nicht, ist nicht entscheidungserheblich. Die Teilkündigung war unwirksam, da sie nicht in sich abgeschlossene Teile der vertraglichen Leistung i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 VOB/B zum Gegenstand hatte. Nach den vom BGH aufgestellten Auslegungsgrundsätzen ist ein Begriff, der innerhalb eines AGB-Klauselwerks mehrfach verwendet wird, grundsätzlich für alle Klauseln einheitlich auszulegen. Dementsprechend sind hier bei der Auslegung die Ziele des § 12 Abs. 2 VOB/B (Teilabnahme), in welchem der Begriff ebenfalls verwendet wird, zu beachten. Das hat eine enge Auslegung zur Folge, da einer Teilabnahme enge Grenzen gesetzt sind, um dem Interesse des Auftraggebers Rechnung zu tragen, dass zusammen-gehörende Leistungsteile nicht durch unterschiedliche Abnahmewirkungen mit divergierenden Gewährleistungsfristen und Gefahrübergänge zergliedert werden. Leistungsteile innerhalb eines Gewerks können daher nicht als abgeschlossen angesehen werden, es sei denn es liegt nach der Vertragsgestaltung eine klare zeitliche und räumliche Trennung vor. Hier handelte es sich um Leistungsteile innerhalb des Gewerks Dachabdichtungsarbeiten, die zudem einen einheitlichen Gebäudekomplex betrafen. Auch im Rahmen der Leistungsbeschreibung, der Ausführung, den zu übergebenden Nachweisen, der Dokumentation und Planung wurde nicht nach Bauteilen differenziert. Zudem war für die Wartung ein Pauschalpreis und keine Teilabnahmen vorgesehen.

Praxishinweis

Das überzeugende Urteil entspricht der einschlägigen BGH-Rechtsprechung (siehe näher Bolz/Jurgeleit/[Jahn], ibr-online-Kommentar VOB/B, 24.08.2022, § 8, Rz. 241 ff.). Eine unwirksame Teilkündigung aus wichtigem Grund ist darauf zu prüfen, ob sie als eine zulässige freie Teilkündigung oder gar eine ordentliche oder außerordentliche Gesamtkündigung ausgelegt oder umgedeutet werden kann. (Bolz/Jurgeleit/[Jahn], ibr-online-Kommentar VOB/B, 24.08.2022, § 8, Rz. 246). Eine Teilkündigung wegen Mängeln scheidet bezogen auf das von Mängeln betroffene Gewerk in aller Regel aus, zumal eine mangelhafte Leistung als bereits erbrachte Leistung nicht kündbar ist (siehe Anm. Jahn zu OLG Koblenz, IBR 2015, 594). Damit korrespondiert, dass § 4 Abs. 7 VOB/B eine "Ersatzvornahme" vor Abnahme nicht zulässt. Im Anwendungsbereich von § 648a Abs. 2 BGB muss der Leistungsteil nur abgrenzbar sein, so dass eine abweichende Gestaltung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zulässig ist.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Dr. Maximilian R. Jahn, Frankfurt a.M. 

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