Stoffpreisgleitklausel darf nicht zu ungewöhnlicher Kalkulation führen!

BGH, Urteil vom 25.01.2018 - VII ZR 219/14 BGB §§ 305c, 631

Eine Stoffpreisgleitklausel des öffentlichen Auftraggebers von Bauleistungen ist überraschend und wird nicht Vertragsbestandteil, wenn sie ohne ausreichenden Hinweis den Auftragnehmer zur Vermeidung erheblicher Nachteile bei Stoffpreissenkungen dazu anhält, bereits bei seiner Kalkulation von üblichen Grundsätzen abzuweichen.*)

BGH, Urteil vom 25.01.2018 - VII ZR 219/14

BGB §§ 305c, 631

Problem/Sachverhalt

Aus einem Bauvertrag verlangt der Auftragnehmer (AN) Vergütung von rund 208.000 Euro, die ihm aufgrund einer Stahlpreisgleitklausel als Minderpreis wegen des gesunkenen Stahlpreisindex abgezogen wurden. Die Klausel lautet auszugsweise wie folgt: "2.4 Bei Stoffpreissenkungen ist der Auftragnehmer verpflichtet, die ersparten (= Minder-)Aufwendungen von seinem Vergütungsanspruch abzusetzen. 3.1 Der Auftraggeber setzt im Einheitlichen Formblatt - EFB-StGL319 einen "Marktpreis" (...) für die jeweilige Stahlart zum Zeitpunkt der Versendung der Angebotsunterlagen (Monat/Jahr) als Nettopreis in Euro/Tonne fest. 3.2 Der Preis zum Zeitpunkt des Einbaus bzw. der Verwendung wird ermittelt aus dem vorgegebenen "Marktpreis" (3.1) multipliziert mit dem Quotienten der Preisindizes (Monat/Jahr) der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte (GP) des Statistischen Bundesamts vom Tag des Einbaus bzw. der Verwendung und dem vom Auftraggeber unter Nr. 3.1 genannten Zeitpunkt, veröffentlicht in der Fachserie 17, Reihe 2, unter der entsprechenden GP-Nummer."

Entscheidung

Die Klausel ist, soweit sie den Abzug ersparter Minderaufwendungen betrifft, wegen ihres überraschenden Charakters gem. § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden. Der BGH bestätigt ausdrücklich sein Urteil vom 01.10.2014 (IBR 2014, 717). Die Klausel zwingt den AN dazu, nicht seine tatsächlichen Einkaufspreise bei Angebotsabgabe zu kalkulieren, sondern den vom Auftraggeber (AG) vorgegebenen "Marktpreis" anzusetzen. Fällt der Stahlpreis, läuft der AN wegen des eigentümlichen Minderungsmechanismus Gefahr, weniger als den tatsächlich von ihm bezahlten Stahlpreis, im Extremfall gar keine Vergütung für Stahl zu erhalten. Die individuellen Begleitumstände des Streitfalls sind für die Beurteilung der Klausel irrelevant, denn der überraschende Charakter einer Klausel i.S.v. § 305c BGB bestimmt sich nach einem generell-konkreten Maßstab. Selbst wenn der vom AG vorgegebene "Marktpreis" bei Angebotsabgabe dem realistischen Marktpreis entsprach, bleibt der von der Klausel vorgegebene Berechnungsmodus sehr ungewöhnlich. Auch eine branchenübliche Verwendung bedeutet nicht, dass die andere Vertragsseite mit den zum Teil außergewöhnlich mindernden Effekten dieser Klausel hinreichend vertraut ist. Der AN kann daher die vertraglich vereinbarten und abgerechneten Preise verlangen.

Praxishinweis

Zum zweiten Mal wird eine bundesweit in den Vergabehandbüchern (VHB 225, ähnl. HVA B-STB) verwendete Preisgleitklausel für unwirksam erklärt, (vgl. BGH, IBR 2014, 717). Das liegt am kuriosen Mechanismus, der es dem AG erlaubt, selbst einen frei geschöpften "Marktpreis" zur Grundlage der Preisberechnung zu machen, anstatt eine Gleitung für den vom AN konkret kalkulierten Preis oder wenigstens für seinen nachgewiesenen, tatsächlichen Einkaufspreis zu vereinbaren. Hätte der AN eine Mehrvergütung infolge steigender Stahlpreise erhalten, dürfte er sie behalten, denn nur der AG als Verwender der unwirksamen Klausel darf sich nicht auf deren Unwirksamkeit berufen. Für alle AN, denen gegenüber solche Klauseln verwendet wurden, besteht eine Rückforderungsmöglichkeit. Sie unterliegt der dreijährigen Verjährungsfrist. Auch die aktuelle Fassung des VHB 225 dürfte noch immer problematisch sein, auch wenn der "Marktpreis" nun "Basiswert" heißt.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Ralf Leinemann, Berlin

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