1. Ein Schiedsrichter kann durch gerichtliche Entscheidung abberufen werden, wenn er rechtlich oder tatsächlich außerstande ist, seine Aufgaben zu erfüllen, oder er aus anderen Gründen seinen Aufgaben in angemessener Frist nicht nachkommt.
2. Hat ein Schiedsrichter über einen längeren Zeitraum gar nichts unternommen, kann sich dies in Anbetracht der Gesamtumstände und unter Berücksichtigung der technischen sowie rechtlichen Schwierigkeiten des Falles als schlechthin unannehmbar darstellen.
3. Kommt der Schiedsrichter seinen Aufgaben nicht in angemessener Frist nach, kommt es für die Frage der Amtsbeendigung grundsätzlich nicht auf den Grund an. Auch ein etwaiges Verschulden des Schiedsrichters ist ohne Belang.
BayObLG, Beschluss vom 29.04.2024 - 102 SchH 23/24
ZPO § 1038 Abs. 1
Problem/Sachverhalt
In einem seit knapp 20 Jahren anhängigen Schiedsgerichtsverfahren legt der Einzelschiedsrichter im Jahr 2018 sein Amt nieder. Rechtsanwalt R wird im Juli 2022 gerichtlich zum Ersatzeinzelschiedsrichter bestellt. R hatte sich gegenüber dem Gericht dazu bereit erklärt. Anfragen, wann mit dem Fortgang des Verfahrens zu rechnen sei, lässt R unbeantwortet.
Im September 2023 teilt R den Parteien mit, dass er "... das Amt des Schiedsrichters mangels Zeit in absehbarer Zukunft in Ihrem Schiedsgerichtsverfahren leider nicht ausüben kann." Der Schiedskläger (S) beantragt daraufhin beim BayObLG, die Beendigung des Schiedsrichteramts des R auszusprechen.
Entscheidung
Mit Erfolg! Ausgehend von den in den Leitsätzen wiedergegebenen Grundsätzen hat R die Aufgabenerfüllung unangemessen verzögert. R ist im Juli 2022 für das bereits seit rund 20 Jahren anhängige Schiedsverfahren zum Ersatzeinzelschiedsrichter bestellt worden. Die Bestellung erfolgte in Absprache mit R und unter Hinweis auf die wesentlichen Umstände.
Vor dem Hintergrund der außergewöhnlich langen Verfahrensdauer, insbesondere auch des mehrjährigen Verfahrensstillstands in der Zeit zwischen der Amtsniederlegung durch den vormaligen Schiedsrichter bis zur Bestellung von R als Ersatzschiedsrichter, wäre zu erwarten gewesen, dass sich dieser zeitnah der Sache annimmt.
Stattdessen hat er mitgeteilt, dass er das Amt des Schiedsrichters "mangels Zeit in absehbarer Zukunft" nicht ausüben könne. Bis heute liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass R seit seiner Bestellung im Jahr 2022 irgendwelche Aktivitäten entwickelt hat, sein Verhalten lässt auch nicht erwarten, dass er sich nunmehr einarbeitet und dem Schiedsverfahren Fortgang gewährt. Verfahrensbezogene Gründe führt R in diesem Zusammenhang weder an noch sind solche ersichtlich.
Er verweist lediglich ohne nähere Konkretisierung auf mangelnde Zeit "in absehbarer Zukunft", mithin auf nicht näher greifbare, in seiner Sphäre liegende Umstände, deren Dauer unbekannt bleibt.
Bei dieser Sachlage und insbesondere vor dem Hintergrund des bisherigen Verlaufs und der Dauer des Schiedsverfahrens ist S ein Festhalten am gerichtlich bestellten Einzelschiedsrichter nicht zumutbar, nachdem R offenbar nicht dazu bereit ist, das Verfahren in der sachlich gebotenen Weise zu betreiben.
Praxishinweis
Obwohl das Schiedsgerichtsverfahren den Parteien dienen soll, ist die Abberufung wegen Untätigkeit ein schwieriges Unterfangen, weil dem Vorsitzenden des Schiedsgerichts bei der Verfahrensgestaltung ein breiter Freiraum nicht justiziabler Verhaltensweisen zusteht (siehe OLG Düsseldorf, IBR 2008, 774). Auch die Hürden für die Annahme einer rechtlichen oder tatsächlichen Unfähigkeit, das Schiedsverfahren durchzuführen, sind hoch.
Selbst Äußerungen dahingehend, dass das Verfahren nicht justiziabel oder "einfach zu komplex" sei, erlauben nach Ansicht des OLG München (IBR 2016, 321) nicht den Schluss, die Schiedsrichter seien nicht zu einer justizförmigen Entscheidung der Streitsache in der Lage.
RA Dr. Stephan Bolz, Mannheim
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