Mindestvorgaben der DIN 18015-2 unterschritten: Verstoß gegen anerkannte Regeln der Technik?

OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2023 - 5 U 227/21 BGB §§ 280, 633, 634; HOAI 2013 § 53

1. Die Planungsleistung eines Ingenieurs hat den anerkannten Regeln der Technik (a.R.d.T.) zu entsprechen, sofern die Vertragsparteien keine abweichende Vereinbarung getroffen haben.
2. A.R.d.T. sind diejenigen technischen Regeln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen, die in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig erkannt sind und feststehen, sowie insbesondere in dem Kreis der für die Anwendung der betreffenden Regeln maßgeblichen, nach dem neuesten Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker durchweg bekannt und aufgrund fortdauernder praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind.
3. A.R.d.T. können in DIN-Normen niedergelegt sein, wobei aber DIN-Normen insbesondere nicht als Rechtsnormen zu qualifizieren sind, sondern lediglich als private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter.
4. Die DIN 18015-2 (Elektrische Anlagen in Wohngebäuden - Teil 2: Art und Umfang der Mindestausstattung) ist ihrem Regelungsgehalt nach nicht geeignet, die Vermutungswirkung, a.R.d.T. zu sein, für sich in Anspruch zu nehmen.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2023 - 5 U 227/21

BGB §§ 280633634; HOAI 2013 § 53

 

Problem/Sachverhalt

Ein Bauunternehmen (BU) erarbeitet mit einem Planungsbüro (P) die technische Gebäudeausrüstung. Um Kosten zu sparen, wird vereinbart, der in DIN 18015-2 beschriebene Standard hinsichtlich der Anzahl von Steckdosen zu unterschreiten. Nach der Ausführung rügt BU dies gegenüber P. Die a.R.d.T. seien als Mindeststandard nicht eingehalten. BU macht einen Schaden i.H.v. über 1 Mio. Euro geltend.

Entscheidung

Ohne Erfolg! BU und P sind sachkundig und haben gemeinsam die - dann auch gebauten -- Beschaffenheiten entwickelt, die von DIN 18015-2 abweichen. Weiterhin ist diese Norm nicht als a.R.d.T., sondern lediglich als Handlungsempfehlung anzusehen. Daher liegt kein Mangel vor, der einen Schadensersatzanspruch begründet.

Praxishinweis

Das Urteil stellt einmal mehr klar, dass DIN-Normen nicht von vorneherein als werkvertraglicher Mindeststandard anzusehen sind, sondern als Handlungsempfehlungen. Das entspricht der Geschäftsordnung des DIN, der DIN 820. Immanenter Bestandteil von Regeln ist deren wissenschaftlich-theoretische Richtigkeit. Dennoch ist die in den Leitsätzen angeführte Definition zu a.R.d.T. de facto unhaltbar, weil nur in wenigen Fällen die wissenschaftlich-theoretische Notwendigkeit von Regeln nachgewiesen wird, es weder eine einheitliche Meinung oder gar Überzeugung in (welchen?) Kreisen von Fachleuten gibt, noch Meinungen in Fachkreisen technische Sachverhalte beeinflussen können. Auch ist die Entwicklung der Bautechnik schneller als jede Praxisbewährung nachgewiesen werden könnte. Regeln haben Technik zu folgen und nicht umgekehrt. Mit der o. a. Definition "verkommen" a.R.d.T. zu einem Missbrauchsinstrument, weil in Streitfällen mindestens eines der o. a. Kriterien nicht nachgewiesen und damit jeder Bauschaffende mit dem Vorwurf der Mangelhaftigkeit überzogen werden kann. In sehr vielen Fällen beschreiben Normen einen höheren Standard, der für die Verwendungseignung nicht notwendig ist. Wenn aber der für die Verwendungseignung nötige Mindeststandard unterschritten wird, trifft das auch für a.R.d.T. zu. Anders liegt es bei DIN-Normen (aber auch VDE), die nicht für die Verwendungseignung (inkl. Sicherheit) Notwendiges beschreiben, sondern Komfortstandards. Werden diese unterschritten, funktioniert das Werk ebenso wie bei Einhaltung, wenn auch bei einem geringeren Komfort. Darauf kann man sich verständigen.

 

Dipl.-Ing. Prof. Matthias Zöller, Architekt und ö.b.u.v. Sachverständiger