Mängelansprüche: Voraussetzungen für jeden Mangel gesondert zu prüfen

OLG Koblenz, Urteil vom 15.12.2022 - 1 U 688/22 BGB §§ 633, 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1 Alt. 2

1. Notwendigkeit und Angemessenheit einer Fristsetzung müssen bei einer zusammengefassten Rüge einer Vielzahl von Mängeln für jeden Mangel gesondert beurteilt werden.
2. Nach Übergang in das Abrechnungsverhältnis muss vor Geltendmachung der auf Geld gerichteten Mängelansprüche nicht nochmals eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt werden.

OLG Koblenz, Urteil vom 15.12.2022 - 1 U 688/22

BGB §§ 633, 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1 Alt. 2

Problem/Sachverhalt

Ein Generalunternehmer (GU) soll Räume zu einem Fitnessstudio umbauen. Die Abnahme der vom ihm als fertig gestellt angebotenen Leistung wird zunächst unter Hinweis auf 35 Mängel abgelehnt. Monate später überlässt der Eigentümer eine neue Mängelliste mit 84 Positionen und setzt erstmals eine Frist zur Beseitigung. Der GU beanstandet, angesichts der hohen Zahl der Mängel sei die Frist zu kurz. Hinsichtlich einzelner Mängel wird die Beseitigung mit unterschiedlichen Gründen abgelehnt. Er bleibt völlig untätig, so dass nach Fristablauf die Ersatzvornahme angekündigt wird und einige Zeit später beginnt. Mit der Klage macht der Eigentümer Ersatzvornahmekosten geltend und fordert weiter Vorschuss für noch nicht beseitigte Mängel. Er erklärt, dass ein weiteres Tätigwerden des GU endgültig verweigert werde. Das Landgericht weist die Klage ohne Beweisaufnahme ab. Die Frist sei wegen der Vielzahl und Komplexität der Mängel zu kurz gewesen. Im Übrigen sei diese Frist vor Übergang in das Abrechnungsverhältnis gesetzt und deshalb verbraucht. Eine Fristsetzung könne nur wirksam sein, wenn sie im Gewährleistungsstadium erfolge.

Entscheidung

Das OLG verweist das Verfahren zur Durchführung der Beweisaufnahme über die Mängel zurück. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei eine nochmalige Fristsetzung nach Übergang in das Abrechnungsverhältnis nicht erforderlich. Dieses Erfordernis sei den Entscheidungen des BGH vom 19.01.2017 nicht zu entnehmen. Nach Ablauf der nach Abnahmeverweigerung gesetzten Frist seien die Ansprüche entstanden. Beim Vorschuss käme hinzu, dass die Auffassung des Landgerichts den Besteller zu widersprüchlichem Verhalten zwingen würde (zunächst endgütige Verweigerung der Zusammenarbeit - dann nochmalige Fristsetzung). Auch die Frist zur Mängelbeseitigung sei angemessen gewesen. Jeder Mangel stelle einen gesonderten Streitgegenstand dar, so dass Notwendigkeit und Angemessenheit der Frist jeweils gesondert beurteilt werden müssen. Bei zu kurzer Frist zur Mängelbeseitigung habe der Unternehmer vor Fristablauf die Unangemessenheit anzuzeigen und die Umstände mitzuteilen, die dem Besteller die Ermittlung der angemessenen Frist ermöglichen.

Praxishinweis

Die Einzelbetrachtung der Mängel ist anerkannt bei der Frage der Verjährungshemmung (BGHZ 120, 329). Sie gilt jedoch allgemein. Zwischen Erfüllungsanspruch und den sekundären Mängelrechten liegt nach Abnahmeverweigerung und Fristsetzung ein Fall der elektiven Konkurrenz vor. Erst die Geltendmachung der sekundären Mängelrechte (bzw. endgültige Verweigerung beim Vorschuss) schließt die (Nach-)Erfüllung aus, macht die Abnahme entbehrlich und den Weg für die Mängelrechte frei.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Dr. Wolfgang Weller, Koblenz

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