Kündigung wegen zerstörten Vertrauensverhältnisses: Gesamtabwägung möglich?

OLG Hamburg, Urteil vom 17.11.2022 - 4 U 110/22 BGB § 314; VOB/B § 5 Abs. 1, 3, § 8 Abs. 3

1. Der Auftraggeber ist zur außerordentlichen Kündigung des Vertrags berechtigt, wenn durch ein schuldhaftes Verhalten des Auftragnehmers der Vertragszweck so gefährdet ist, dass dem Auftraggeber die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann, weil hinreichender Anlass für die Annahme besteht, der Auftragnehmer werde sich auch künftig nicht vertragstreu verhalten.
2. Eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses kann entweder auf einzelnen besonders schwerwiegenden positiven Vertragspflichtverletzungen beruhen oder sich aus einer ganzen Reihe von Pflichtverletzungen, die jeweils für sich genommen zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung nicht ausreichend wären, im Rahmen einer Gesamtabwägung ergeben.

OLG Hamburg, Urteil vom 17.11.2022 - 4 U 110/22

BGB § 314; VOB/B § 5 Abs. 1, 3, § 8 Abs. 3

Problem/Sachverhalt

Der Auftraggeber (AG) beauftragt den Auftragnehmer (AN) mit der Ausführung von Trockenbauarbeiten. Die VOB/B ist einbezogen. Der AN lässt die Arbeiten zunächst durch nicht genehmigte Nachunternehmer (NU) ausführen. Bei Überprüfungen stellt der AG fest, dass Mitarbeiter des NU erforderliche Unterlagen (SOKO-Bau, Berufsgenossenschaft, Entgeltabrechnungen) nicht vorlegen können.

Der AN stellt daraufhin die Arbeiten ein und weist darauf hin, dass die NU bereits mit Zustimmung des AG auf Parallelbaustellen im Einsatz sind. In der Folge werden weder aktuelle Unterlagen vorgelegt noch eine Genehmigung des NU - Einsatz erteilt.

Nach wochenlanger Arbeitseinstellung fordert der AG den AN am 30.06.2017 unter Fristsetzung zur Wiederaufnahme der Arbeiten im eigenen Betrieb bis zum 07.07.2017 auf und droht die Kündigung an. Parallel weist er darauf hin, dass aktuelle Unterlagen der NU zur Eignungsprüfung eingereicht werden müssen.

Nach Arbeitseinstellung und mehrfachen Fristsetzungen fordert der AG den AN zur Wiederaufnahme der Arbeiten im eigenen Betrieb auf und droht die Kündigung an. Er weist auch darauf hin, dass aktuelle Unterlagen der NU eingereicht werden müssen. Die Frist zur Wiederaufnahme verstreicht, woraufhin der AG die Kündigung erklärt.

Entscheidung

Der AG ist nach Gesamtabwägung zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt. Der AN hat die Leistung durch ungenehmigten NU-Einsatz ausgeführt und es unterlassen, Unterlagen zur Eignungsprüfung vorzulegen und die Arbeit wieder aufzunehmen, obwohl es ihm angesichts der Verzögerung und der wiederholten Fristsetzungen oblegen hätte, intensivierte Bemühungen an den Tag zu legen, um das Vorhaben voranzubringen.

Praxishinweis

Ob der NU Einsatz und die unterlassene Wiederaufnahme (aufgrund von fehlenden Kapazitäten) zur Kündigung berechtigen, ist differenziert zu betrachten (vgl. Parallelbeiträge). Fraglich ist auch, ob alle "kleinen Vertragsverletzungen" bei der Gesamtabwägung berücksichtigt werden können oder das Vertrauensverhältnis nach einem Zeitablauf ohne Pflichtverletzung wieder vollständig hergestellt und eine neue Abwägung anzustellen ist.

Nach § 314 Abs. 3 BGB (i.V.m. § 648a Abs. 3 BGB) ist die Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntnis vom Kündigungsgrund zu erklären. Wenn schon ein Einzelvorfall, der zur Kündigung berechtigt, nach einer gewissen Frist nicht mehr zur Kündigung herangezogen werden kann, dann auch nicht Einzelvorfälle, die unterhalb dieser Schwelle liegen (Bolz/Jurgeleit/Jahn, 1. Aufl. 2023, VOB/B § 8; Rz. 233, auch Jahn in IBR 2021, 120).

Im vorliegenden Fall ist kein relevanter Zeitablauf zu verzeichnen, weshalb eine Gesamtabwägung möglich und die Entscheidung im Ergebnis richtig ist.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Dr. Maximilian R. Jahn, Frankfurt a.M.