Gebäudeabriss: Nachbar kann Maßnahmen zur Sicherung seines Gebäudes verlangen!

OLG Naumburg, Urteil vom 29.01.2024 - 12 U 75/23 BauO-SA § 12 Abs. 1 Satz 2; BGB § 823 Abs. 2, §§ 906, 1004, ZPO § 265

1. Bebauungsvorschriften, die nachbarschützenden Charakter besitzen, stellen gleichzeitig Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB dar.*)
2. Die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 2 BauO-SA zur Standsicherheit hat nachbarschützende Wirkung.*)
3. Sie gilt nicht nur für die Errichtung, sondern auch für den Abriss einer baulichen Anlage.*)

OLG Naumburg, Urteil vom 29.01.2024 - 12 U 75/23

BauO-SA § 12 Abs. 1 Satz 2; BGB § 823 Abs. 2, §§ 9061004, ZPO § 265

Problem/Sachverhalt

Der Beklagte reißt auf seinem Grundstück ein Gebäude nahe der Grundstücksgrenze ab. Der Nachbar behauptet unter Gutachtenvorlage, dass durch den Abriss die Stabilität der angrenzenden Böschung und damit auch die Standfestigkeit seines Gebäudes gefährdet sei.

Bereits die vom Beklagten selbst beauftragten Fachleute hätten dringende Maßnahmen zum Schutz der Standsicherheit der Böschung und weitere Prüfungen angeraten. Der Nachbar meint, dass bei dem Abriss Maßnahmen zum Schutz seines Gebäudes hätten erfolgen müssen. Nun seien Schäden in Form von Rissen entstanden und die Standsicherheit sei gefährdet.

Der Nachbar fordert daher Sicherungsmaßnahmen für sein Grundstück. Seine Klage wurde in erster Instanz abgewiesen, weshalb das OLG über die Berufung des Klägers zu entscheiden hatte.

Entscheidung

Das OLG Naumburg gibt dem Nachbarn Recht! Ein Anspruch des Nachbarn auf Vornahme notwendiger Sicherungsmaßnahmen zur dauerhaften Gewährleistung der Standsicherheit seines Gebäudes folgt aus § 1004 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 BauO-SA. Die Bauordnung regelt zunächst, dass jede Anlage für sich allein standsicher sein muss.

Das gilt sowohl bei der Errichtung eines Gebäudes, als auch bei dessen Abriss. Aber auch die Standsicherheit von Gebäuden des Nachbarn und die Tragfähigkeit des Baugrunds von Nachbargrundstücken dürfen nicht gefährdet werden!

Die bauordnungsrechtliche Regelung hat nachbarschützenden Charakter und stellt ein sog. Schutzgesetz dar. Bei einem Verstoß hat der Nachbar Ansprüche gegen den schadensverursachenden Bauherrn. Das Landgericht stützte seine Entscheidung allein auf mehrere vorprozessual eingeholte Parteigutachten.

Aus diesen Gutachten schlussfolgerte das Landgericht - ohne über eigene sachverständige Expertise zu verfügen -, dass der Beklagte keine Sicherungsmaßnahmen hätte veranlassen müssen. Allerdings war genau diese Frage zwischen den Parteien streitig. Es hätte nach Auffassung des OLG einer Beweisaufnahme durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens bedurft. Indem das Landgericht dies unterließ und die streitige Frage selbst beurteilte, hat es gegen den gesetzlichen Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen.

Die Beweisaufnahme muss nun durch das Landgericht nachgeholt werden. Sie erfolgt nicht durch das OLG. Die Zurückerweisung an das Landgericht führt zwar zu einer Verteuerung und Verzögerung des Rechtstreits - so das OLG - sei aber sachdienlich, da den Parteien andernfalls eine Tatsacheninstanz genommen werde.

Praxishinweis

Die Entscheidung des OLG Naumburg zeigt, dass Bauherren regelmäßig Rücksicht auf die Rechte und Rechtsgüter der Nachbarn zu nehmen haben. Wird gegen Vorschriften des öffentlichen Baurechts verstoßen riskiert der Bauherr einen behördlich angeordneten Baustopp und zusätzlich mitunter auch beträchtliche Forderungen des Nachbarn.

Zur Vermeidung von Schäden am Eigentum des Nachbarn und von Personenschäden, ist Bauherren, zu raten, bereits frühzeitig Fachleute hinzuzuziehen. Dies gilt in Bezug auf die Nachbarn jedenfalls dann, wenn in Grenznähe gebaut wird.

Bestenfalls werden noch vor Baubeginn nachbarrechtliche Vereinbarungen geschlossen, welche klare Regelungen und im beiderseitigen Interesse auch eine Beweissicherung vorsehen.

RA Ingo Kolms, LL.M., Berlin

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