Eine wirksame Kündigungserklärung muss nicht den Begriff der "Kündigung" beinhalten. Der Vertragspartner muss aus ihr nur eindeutig entnehmen können, dass die andere Seite den Vertrag beenden will und ob es sich um eine freie oder außerordentliche Kündigung handelt. Ist das Kündigungsschreiben nicht eindeutig, ist im Zweifel von einer außerordentlichen Kündigung auszugehen, wenn den Gesamtumständen ein dahingehender Kündigungsgrund zu entnehmen ist.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 15.02.2012 - 13 U 150/10
BGB §§ 314, 649; InsO § 103; VOB/B § 8 Nr. 2 Abs. 1
Problem/Sachverhalt
Ein deutscher Bauherr beauftragt 1991 eine französische Firma mit verschiedenen Arbeiten für ein in Deutschland gelegenes Bauvorhaben. Die VOB in der damals gültigen Fassung wird vertraglich vereinbart. Auch im Übrigen soll deutsches Recht zur Anwendung kommen. Für den Streitfall legen die Parteien die Zuständigkeit deutscher Gerichte fest. Nach Vertragsschluss gerät die französische Firma in finanzielle Schwierigkeiten. Es wird ein Sanierungsverfahren nach französischem Insolvenzrecht eröffnet. Der Bauherr erklärt daraufhin die Beendigung der Zusammenarbeit. Hiergegen wehrt sich der französische Insolvenzverwalter.
Entscheidung
Ohne Erfolg! Das Gericht bestätigt, dass der Vertrag durch außerordentliche Kündigung beendet ist. Das Sanierungsverfahren nach französischem Rechtsteht einem deutschen Insolvenzverfahren gleich. Damit kann der Bauherr den Vertrag nach § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B kündigen. Diese Regelung erfasst nicht nur deutsche Insolvenzverfahren, sondern gilt auch für vergleichbare Verfahren im Ausland. Dem steht nicht die damalige Bezugnahme nur auf Konkurs und Vergleichsverfahren entgegen; die erst spätere Ergänzung um "vergleichbare Verfahren" hat rein klarstellenden Charakter. Es ist auch unerheblich, ob das in § 8 Nr. 2 VOB/B vereinbarte Kündigungsrecht gegen französisches Insolvenzrecht verstößt. Das Vertragsverhältnis ist allein nach deutschem Recht zu beurteilen. Hiernach ist die Kündigungsabrede aber trotz eines § 103 InsO entsprechenden Wahlrechts des Insolvenzverwalters nicht zu beanstanden (BGH, BauR 1986, 91; OLG Bamberg, IBR 2011, 87). Der Bauherr hat die Kündigung auch wirksam erklärt. Dazu muss er nicht explizit den Begriff der "Kündigung" verwenden. Ausreichend ist der eindeutig erkennbare Wille, den Vertrag zu beenden. Weiter muss aus der Erklärung gegenüber dem Vertragspartner hervorgehen, ob es sich um eine freie oder außerordentliche Kündigung handelt. Dabei ist im Zweifel von einer außerordentlichen Kündigung auszugehen, wenn die Gesamtumstände ergeben, dass für den Kündigenden ein dahingehender Kündigungsgrund gegeben ist.
Praxishinweis
Die Auffassung des OLG zum Verhältnis von § 8 Abs. 2 VOB/B und § 103 InsO entspricht mehreren neuen OLG-Urteilen (OLG Schleswig, IBR 2012, 133; OLG Brandenburg, IBR 2010, 210). Der BGH hat sich hierzu und insbesondere zur Kündigung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu Zeiten der InsO aber noch nicht geäußert. Auch unabhängig hiervon ist die Berechtigung zur außerordentlichen Kündigung meist stark umstritten. Dies hat erhebliche Unsicherheiten zur Folge. Kann ein entsprechender Grund nicht festgestellt werden, ist der Vertrag gegebenenfalls noch gar nicht beendet. Eine Umdeutung in eine freie Kündigung nach § 649 BGB ist jedenfalls nicht zwangsläufig (BGH, IBR 2002, 300). Von daher kann es sich für den gekündigten Vertragspartner anbieten, aufgrund der unberechtigten Kündigung der anderen Seite seinerseits die außerordentliche Kündigung zu erklären (BGH, IBR 2009, 640; IBR 2000, 110).
RA und FA für Bau- und Architektenrecht Philipp Hummel, Bonn
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