Gutachter auf der Baustelle

Die Ausnahme wird zur Regel

LG Fulda, Beschluss vom 22.11.2022 - 4 OH 13/22 JVEG §§ 9, 13

Zur Beurteilung komplexer bautechnischer Fragestellungen, die eine besondere Sachkunde des Sachverständigen erfordern, ist nach § 13 Abs. 2 Satz 2 JVEG eine Erhöhung des Regelstundensatzes auf 155 Euro netto möglich.

LG Fulda, Beschluss vom 22.11.2022 - 4 OH 13/22

JVEG §§ 9, 13

Problem/Sachverhalt

Ein Auftraggeber (AG) leitet ein Beweisverfahren ein bezogen auf Baumängel an Rohbau- und Klinkerarbeiten, Putzarbeiten, Landschaftsbauarbeiten/Terrassenbeläge, Schlosserarbeiten sowie die Überprüfung von Architektenleistungen. In der Auftragsbestätigung des Sachverständigen wird abweichend von Anl. 1 zu § 9 JVEG (Honorargruppe 4.3 - Schadensfeststellung und Ursachenermittlung, 105 Euro/Stunde) eine Erhöhung des Regelstundensatzes auf 155 Euro/Stunde beantragt. Zur Begründung führt der Sachverständige aus, die im neuen JVEG genannten Stundensätze würden noch immer nicht auf dem Prinzip einer marktgerechten Honorierung basieren und wären nicht kostendeckend. Da er sehr häufig für Gerichte tätig sei und sein Einkommen zu nahezu 100% aus Sachverständigentätigkeit bezogen werde, würden bei einem niedrigeren Stundensatz erhebliche Einkommenseinbußen zum Tragen kommen. Bei Privataufträgen werde üblicherweise ein Stundensatz von 175 Euro netto abgerechnet, der für ein kostendeckendes Arbeiten notwendig sei, um u. a. fixe Bürokosten (Lohn, Archiv, Bibliothek, Mess- und Prüftechnik, Weiterbildung, EDV und Telekommunikationstechnik sowie Miet- und Mietnebenkosten) abzudecken. Ein Antragsgegner erteilt keine Zustimmung, die übrigen Beteiligten stimmen dem erhöhten Stundensatz zu.

Entscheidung

Das Landgericht spricht nach § 13 Abs. 2 Satz 2 JVEG den geforderten Stundensatz von 155 Euro/Stunde netto zu. Das Doppelte des nach § 9 JVEG zulässigen Honorars werde nicht überschritten. Es lägen besondere Gründe für die Zustimmung vor, da eine besonders große Sachkunde und Kompetenz des Sachverständigen erforderlich oder besonders schwierige Beweisfragen zu beantworten seien, deren Beantwortung überlegenes Wissen oder den Einsatz technisch anspruchsvoller und selten vorgehaltener Gerätschaften verlange. Derartiges nimmt das Landgericht an. Es handle sich um komplexe zu beurteilende bautechnische Fragestellungen, die eine besondere Sachkunde des Sachverständigen erfordern. Der Kammer als Spezialkammer für Bausachen sei zudem aus Erfahrung bekannt, dass im Einzelfall ein anderer Sachverständiger nicht verfügbar sei, welcher eine hinreichend qualifizierte Leistung binnen einer angemessenen Frist auch zum einschlägigen gesetzlichen Honorarsatz erbringe.

Praxishinweis

Eine Zustimmung des Gerichts zu einer Honorierung, die über die Vorgaben des § 9 JVEG hinausgeht, ist nur in Ausnahmefällen zulässig (LG Oldenburg, IBR 2019, 1108 - nur online). Das Landgericht stellt zwar auf den Beschluss des LG Köln (IBR 2015, 336) ab, wonach eine Zustimmung des Gerichts zu einem vom Gesetz abweichenden höheren Stundensatz nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht kommt und allein wirtschaftliche Erwägungen des Sachverständigen keine Erhöhung der Vergütung rechtfertigen. Mit der Begründung des Landgerichts, es handle sich um komplexe zu beurteilende bautechnische Fragestellungen, wird der Ausnahmefall zur Regel. Auch eine Deckelung auf 130 Euro/Stunde, wie vom LG Hamburg (IBR 2022, 545) beschlossen wurde, erfolgt nicht.

 

RA und FA für Bau- und Architektenrecht Dr. Thomas Krebs, Berlin 

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