Auftraggeber kann vorzeitig (und gegen den Willen des Auftragnehmers) abnehmen!

Thesen gebildet nach: RA Fabian Halbgewachs: Die vorzeitige Abnahme, veröffentlicht in: NZBau 2025, 203 ff. BGB §§ 640, 641

1. Die Abnahme ist kein Recht, sondern eine Pflicht des Auftraggebers. 

2. Der Auftraggeber kann die Abnahme vor Eintritt der Abnahmereife und auch gegen den Willen des Auftragnehmers erklären. Rechtlich geschützte Interessen des Auftragnehmers werden dadurch in der Regel nicht berührt. 

3. Ausstehende Restleistungen können auch bei vorzeitiger Abnahme grundsätzlich (in voller Höhe) in die Schlussrechnung aufgenommen und die damit korrespondierenden Vergütungsansprüche geltend gemacht werden. Für Restleistungen kann der Auftraggeber einen Einbehalt in Höhe der einfachen Mängelbeseitigungskosten vornehmen. 

 

Thesen gebildet nach: 
RA Fabian Halbgewachs: Die vorzeitige Abnahme, veröffentlicht in: NZBau 2025, 203 ff. 

BGB §§ 640, 641 


Problem 

Dass der Auftragnehmer die Abnahme nur verlangen kann, wenn er seine Leistungen abnahmereif erbracht hat, ist hinlänglich bekannt. Aber wie verhält es sich mit dem Auftraggeber? Kann er das Werk auch vor Eintritt der Abnahmereife und ggf. gegen den Willen des Auftragnehmers abnehmen oder stehen dem möglicherweise schutzwürdige Belange des Auftragnehmers entgegen? 

 

Kernaussage des Autors 

Der Auftraggeber kann die Abnahme vorzeitig und auch gegen den Willen des Auftragnehmers erklären! Die Abnahme ist kein Recht des Auftraggebers, sondern dessen Pflicht (§ 640 Abs. 1 BGB: "Der Besteller ist verpflichtet, das vertragsmäßig hergestellte Werk abzunehmen [...]"). Sie dient vornehmlich dem Schutz des Auftragnehmers, Sicherheit über die Vertragserfüllung zu erlangen, und nicht dem Auftraggeber, das Werk zu überprüfen. Nach § 271 Abs. 2 BGB kann der Auftraggeber die geschuldete Leistung (hier: die Abnahme) im Zweifel vor deren Fälligkeit (hier: vor Eintritt der Abnahmereife) bewirken.

Weder das Gesetz noch schutzwürdige Interessen des Auftragnehmers schließen dies aus. Insbesondere ist die Abnahme nicht von einer Zustimmung des Auftragnehmers abhängig. Sie muss allerdings ausdrücklich erfolgen; für eine konkludente Abnahme ist regelmäßig kein Raum, wenn die Leistungen noch nicht vollständig erbracht sind.

Der Vergütungsanspruch entsteht - auch beim Einheitspreisvertrag - mit der Abnahme in voller Höhe und wird nur durch die Einrede des § 641 Abs. 3 BGB in Höhe der einfachen Mangelbeseitigungskosten für offene Restleistungen reduziert (BGH, IBR 2009, 637); ein Einbehalt in Höhe des Doppelten der erforderlichen Mängelbeseitigungskosten ist nur bei "echten" Mängeln berechtigt. Irrt der Auftraggeber über die Abnahmereife, weil im Zeitpunkt der (vorzeitigen) Abnahmeerklärung wesentliche Mängel noch nicht bekannt sind, ist eine Anfechtung nur bei arglistiger Täuschung möglich. 

 

Anmerkung 

Der Autor setzt sich eingehend mit möglichen schutzwürdigen Interessen des Auftragnehmers und auch mit der verbreitetenen Gegenauffassung auseinander, die einer vorzeitigen und aufgedrängten Abnahme kritisch gegenübersteht (statt aller: Kniffka/Jurgeleit/Pause/Vogel, ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand 07.02.2025, § 640 Rdn. 26 mwN).

Der BGH hat im Zusammenhang mit einem VOB/B-Vertrag darauf hingewiesen, dass bei wesentlichen Restleistungen im Einzelfall zu prüfen sei, ob die Gesamtabnahme nicht in Wahrheit eine Teilabnahme (nur) der erbrachten Leistungen ist (BGH, a.a.O.; vgl. auch OLG München, IBR 2020, 171). § 12 Nr. 2 VOB/B (a.F.) regele zwar, dass die Teilabnahme zwingend zu erfolgen habe, wenn dies für in sich abgeschlossene Leistungen verlangt werde, schließe aber eine Abnahme von Leistungen, die nicht in sich abgeschlossen sind, nicht aus. 

 

RA Thomas Ryll, Ludwigshafen 

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