Problem Sachverständigenbeweis

Es ist kein Geheimnis, dass Bauprozesse, zumal wenn es um Baumängel geht, faktisch oft durch Sachverständige und ihre Einschätzung zu technischen oder baubetrieblichen Zusammenhängen entschieden werden. Problematisch wird es, wenn die Sachverständigen über ihre fachliche Kompetenz hinaus Sachverhalte und entscheidungserhebliche Rechtsfragen bewerten. Rechtsanwalt Uwe Luz bereitet es Sorgen, dass die Gerichte diese Entwicklung befördern, weil sie allzu oft ihrer Pflicht nicht nachkommen, den Sachverständigen verständig einzuweisen und durch klar formulierte Beweisanordnungen so zu leiten, dass er zur Beantwortung der Beweisfragen seine fachlichen Kompetenzen nicht überschreiten muss.

I. Problemlage

In seinem Büchlein „Todsünden” des Sachverständigen problematisiert Bayerlein seit vielen Jahren die unerwiderte Liebe des Sachverständigen zum Recht und unzulässige Ausflüge von Sachverständigen in Rechtsfragen.

Quack hat festgestellt, dass Sachverständige in vielen Fällen Rechtsauslegung und Rechtsanwendung betreiben, ohne dass Gerichte und Anwaltschaft dem pflichtgemäß entgegentreten und kam letztlich zum Resümee: „Verlorene Gutachten sind… verlorene Prozesse.” Verschiedentlich hatten Gerichte klarzustellen, dass Rechtsfragen nicht durch den Sachverständigen zu klären sind, sondern durch das Gericht selbst. Auch der BGH hatte Grund zum Hinweis darauf, dass durch Sachverständige keine Vertragsauslegung zu erfolgen hat. Für das Architektenrecht hat der BGH entschieden, dass das Gericht Rechtsfragen nicht dem Sachverständigen überlassen darf. Auch dass es sich um eine einer Begutachtung durch einen Bausachverständigen nicht zugängliche Rechtsfrage handelt, auf welcher Grundlage das Aufmaß zu nehmen ist, musste vom BGH aufgezeigt werden. Für das selbständige Beweisverfahren war das Landgericht München I zur Klarstellung genötigt, dass der Sachverständige auch im Beweisverfahren keine Rechtsfragen zu beantworten hat. Siegburg hatte ebenso Anlass, dieses Dauerproblem aufzugreifen, wie auch Kniffka in seiner Besprechung des Urteils des 7. Zivilsenats vom 25.04.1996, dabei letztlich die fatale Feststellung treffend, dass die Sachverständigen in den Bausachen häufig die wahren Richter des Prozesses sind. Für die jüngste Vergangenheit besonders hervorzuheben sind die vielfältigen Ausführungen von Seibel, der, unter Bezugnahme auf etliche problematische Beweisbeschlüsse und entsprechende Rechtsprechung hierzu, den Finger in die Wunde gelegt hat. Der 4. Zivilsenat hat im Urteil vom 30.09.1992 formuliert, dass es nicht angeht, es einem Sachverständigen, der juristischer Laie ist, zu überlassen, ob es ihm gelingt, sich im Zuge seiner Gutachtenerstattung zu juristisch bedeutsamen Begriffen hinreichend sachkundig zu machen. Bereits mit nur geringem Rechercheaufwand ist feststellbar, dass es in Literatur und Rechtsprechung von Aufsätzen und Entscheidungen, die dieses Problem betreffen, zahllose weitere Fundstellen gibt. Angesichts dessen ist die Frage zu stellen, ob die Praxis tatsächlich so schlimm ist, dass vom Sachverständigen als „heimlichen Richter” gesprochen werden muss. Die Antwort auf diese Frage ist gleichermaßen brutal wie alarmierend: Es ist schlimmer. Insbesondere die von Quack angesprochene versteckte (inzidente) Rechtsanwendung durch Sachverständige im Bauprozess hat sich seit seiner Feststellung im Jahr 1993 – so die Erfahrung des Verfassers – eher zum Schlimmeren als zum Besseren entwickelt. Es ist daher an der Zeit, einen Weckruf erschallen zu lassen.


Der vollständige Aufsatz „Der Sachverständigenbeweis: Die größte Problembaustelle des Baurechts – Ein Weckruf“ erschien zuerst in der Fachzeitschrift „baurecht“ (BauR 2017, 14 - 23 (Heft 1)). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.