ESG – Theorie und Praxis in der Baubranche: Überblick und Ausblick

Environmental, Social und Governance – Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Oder kurz: ESG. Diese drei Begriffe stehen im Mittelpunkt der Diskussionen und politischen Bestrebungen, den „Green Deal“ der Europäischen Union in die Praxis umzusetzen. Instrumente der Umsetzung sind u.a. die Offenlegungs- und Taxonomieverordnung.

Die Besonderheit der ESG-Regulatorik besteht darin, dass sie nicht an die Angebots-, sondern die Nachfrageseite  adressiert ist. Die unmittelbar betroffenen Investoren und Kreditgeber leisten selbst – abseits von  Veröffentlichungs- und Nachweispflichten – keinen operativen Beitrag, um die Ziele des Gesetzgebers zu 
erreichen. Der Umbau und die Errichtung „grüner“ oder „sozialer“ Gebäude bleibt naturgemäß Sache von  Projektentwicklern und Bauträgern und der von ihnen in Gang gesetzten Baubeteiligten. Diese werden über die  Vorgaben auf Nachfrageseite inhaltlich und rechtlich vor große Herausforderungen gestellt. Ihre Geschäftsmodelle  werden durch ESG-Vorgaben für die Kreditvergabe beeinflusst, die ihrerseits maßgeblich durch die Offenlegungs- und Taxonomieverordnung getrieben werden. Dieser Beitrag gibt einen kurzen Überblick über die  Rahmenbedingungen und ihre vertragliche Umsetzung.


I. Green Deal

Mit dem „Green Deal“ hat sich die Europäische Union zum Ziel gesetzt, den Übergang zu einer modernen,  ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft zu schaffen.4 Der „Green Deal“ ist der Startpunkt und die Grundlage der Schaffung von Nachhaltigkeitsanforderungen auf europäischer Ebene. Noch vor dem „Green Deal“ wurde bereits im Jahr 2018 der Aktionsplan „Finanzierung Nachhaltigen Wachstums“ der EU-Kommission  veröffentlicht, dessen Herzstück die Taxonomie- und Offenlegungsverordnung sind. 


1. Offenlegungs-VO

Durch die Offenlegungs-VO sollen in erster Linie Informationsasymmetrien in den Beziehungen zwischen  Auftraggebern und Auftragnehmern im Hinblick auf die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken, die  Berücksichtigung nachteiliger Nachhaltigkeitsauswirkungen, die Bewerbung ökologischer oder sozialer Merkmale  sowie im Hinblick auf nachhaltige Investitionen abgebaut werden. Dies soll dadurch gelingen, dass  Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater zu vorvertraglichen Informationen und laufenden Offenlegungen gegenüber Endanlegern verpflichtet werden, wenn sie als Auftragnehmer im Namen der Endanleger  (Auftraggeber) handeln.

Auch die durch die Offenlegungs-VO vorgenommene Kategorisierung von Fonds nach dem Kriterium der  Nachhaltigkeitsqualität ist für Bauherren, die ihre Gebäude am Finanzmarkt platzieren wollen, von großer Wichtigkeit. Denn für sie ist es natürlich relevant, ob ein Gebäude unter die sogenannten nicht oder nicht  wesentlich nachhaltigen „Artikel 6 Fonds“, die sog. „hellgrünen“ Fonds mit ESG-Merkmalen (Art. 8 Fonds) oder die  sog. „dunkelgrünen“ Fonds mit messbarem positiven Beitrag (Art. 9 Fonds) fällt.


2. Taxonomie-VO

Die Taxonomie- VO hingegen ist ein Klassifizierungssystem, welches eine Liste von ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten erstellt. Insbesondere durch die Bereitstellung geeigneter Definitionen für Unternehmen, Investoren und politische Entscheidungsträger soll die Taxonomie-VO Sicherheit für Investoren schaffen, private Investoren vor Greenwashing schützen und Unternehmen bei der Planung zur Aufstellung von Nachhaltigkeitskriterien unterstützen.

Als Umweltziele nennt die Taxonomie-VO in Art. 9 den Klimaschutz, die Anpassung an den Klimawandel, die nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie den Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität und Ökosysteme. 

Damit eine Wirtschaftstätigkeit als nachhaltig qualifiziert werden kann, genügt es nicht, dass sie einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung mindestens eines der genannten Umweltziele leistet, sondern es ist zudem erforderlich, dass die Wirtschaftstätigkeit keines der anderen Umweltziele des Art. 9 der Taxonomie-VO wesentlich beeinträchtigt („do no significant harm“ = „DNSH“) und bestimmte Mindestanforderungen erfüllt.

Die Art. 10–15 der Taxonomie-VO enthalten bestimmte abstrakte Kriterien, anhand derer bestimmt werden kann, wann eine Wirtschaftstätigkeit als wesentlicher Beitrag zu den in Art. 9 der Taxonomie-VO genannten Umweltzielen eingestuft wird. In Art. 17 Taxonomie-VO wird die „erhebliche Beeinträchtigung“ näher beschrieben bzw. es wird klargestellt, welche wesentlichen Beeinträchtigungen für jedes einzelne Umweltziel im Sinne der Verordnung im Rahmen der Anwendung des „DNSH“ – Grundsatzes8 vordergründig zu beachten sind. 


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „ESG – Theorie und Praxis in der Baubranche: Überblick und Ausblick" von Rechtsanwalt Dr. Maximilian R. Jahn und Niklas Roth, erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2025, 169-175, Heft 2)Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.