Die riskante Bauausführung – Haftung und Zurechnung

Der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof a.D. Prof. Dr. Rolf Kniffka beschäftigt sich in diesem Fachaufsatz mit einem Problemkreis, der durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum ESG-H-Glas-Urteil in den Vordergrund gerückt ist. Der Bundesgerichtshof hat angenommen, eine technisch nicht durchführbare Leistung könne zu einem Anspruch aus § 280 i.V.m. § 311a BGB führen. Dieses Urteil hat Kritik erfahren und ist erläuterungsbedürftig. Es wirft zudem einige grundsätzliche Fragen dazu auf, inwieweit ein Unternehmer haftet, wenn er ein potentiell gefährliches Bauprodukt verwendet.

I. Das ESG-H-Glas-Urteil

a) Dem Urteil liegt ein spezifischer Sachverhalt zugrunde. Der Auftragnehmer verpflichtete sich, eine vom Auftraggeber vorgeschriebene ESG-H-Glas-Fassade zu errichten. Diese Vorgabe beruhte auf einer Fachplanung der vom Auftraggeber hinzugezogenen Fassadenplaner. Die Parteien haben zur Ausführung der Glasfassade folgende Vereinbarung getroffen haben:

„Durch den Auftragnehmer ist nachzuweisen, dass die zur Verwendung kommenden vorgespannten Glasscheiben keine zerstörenden Einschlüsse (z.B. Nickelsulfid) haben. Alle ESG-Scheiben sind einem fremdüberwachten Heißlagerungstest (Heat-Soak-Test) als ESG-H gemäß Baurregelliste zu unterziehen …“.

Der Hintergrund dieser Regelung liegt darin, dass ESG-H-Glas bereits seit langer Zeit für den Bau komplexer Glasfassaden mit großen Fensterflächen verwendet wird. Im Gegensatz zum herkömmlichen Glas hat das in einem speziellen Verfahren hergestellte Glas eine größere Schlag- und Bruchfestigkeit. Außerdem zerfällt es bei Zerstörung in viele Kleinteile, wie es vom Autobau her bekannt ist. Das Herstellungsverfahren hat den Nachteil, dass es zu nicht erkennbaren Nickelsulfideinschlüssen kommen kann. Diese sind gefährlich, weil das Nickelsulfid wegen seines Ausdehnungsverhaltens das Glas bei Sonneneinstrahlung zum Bersten bringen kann (sog. Spontanbruch). Um diese Gefahr zu mindern, müssen die hergestellten Fenster dem Heat-Soak-Test unterzogen werden. Dieser simuliert in einem Ofen quasi die Sonnenstrahlung, so dass die vorhandenen Nickelsulfideinschlüsse die Fenster zerstören. Nur die Fenster werden ausgeliefert, die diesen Test überstanden haben. Leider garantiert dieser Test keine volle Sicherheit. Es kommt vor, dass trotz des Testes Fenster mit Nickelsulfideinschlüssen ausgeliefert und eingebaut werden, die später unter Sonneneinstrahlung platzen. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses wird von den Sachverständigen auf 1 Fenster auf ca. 10.000 bis 20.000 m² eingeschätzt. Vor den Gerichten hat es wiederholt Prozesse gegeben, in denen bis zu 6 Scheiben auf einer geringeren Quadratmeterzahl zerstört worden sind. In dem dem Urteil des Bundesgerichtshofs zugrunde liegenden Fall, waren nach Abnahme ebenfalls mindestens 6 Fenster zerstört worden, wobei allerdings nicht geklärt worden war, ob der Heat-Soak-Test ordnungsgemäß durchlaufen worden war. Der Auftraggeber hat Schadensersatz und Vorschuss für die Errichtung einer neuen Glasfassade aus ESG-H-Scheiben verlangt, weil die errichtete Fassade unsicher sei. Der Auftragnehmer ist der Auffassung gewesen, die Fassade sei vertragsgerecht errichtet worden, weil er den Heat-Soak-Test ordnungsgemäß durchgeführt habe. Das dann im Einzelfall verbleibende Risiko trage der Auftraggeber.

b) Das Berufungsgericht hat den verlangten Vorschuss und Anspruch auf Ersatz der Mangelfolgeschäden zugesprochen. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil aufgehoben. Er hat ausgeführt, die Leistung sei mangelhaft, weil die Parteien im Hinblick auf die Regelung, dass die zur Verwendung kommenden vorgespannten Glasscheiben keine zerstörenden Einschlüsse (z.B. Nickelsulfid) haben durften, die Errichtung einer völlig sicheren, risikolosen Fassade vereinbart hätten. Das sei eine unmögliche Leistung. Denn auch nach einem Heat-Soak-Test verbleibe stets ein Restrisiko. Ein Anspruch auf Nacherfüllung scheide daher ebenso aus, wie ein Vorschussanspruch. Der Auftragnehmer hafte nach § 311a Abs. 2 BGB, wenn er gewusst habe oder es ihm habe bekannt sein müssen, dass es nicht möglich sei, eine sichere Fassade zu errichten. Der Auftraggeber hafte nach § 254 BGB mit, wenn seinen Beratern dies ebenfalls bekannt gewesen sei.


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „Die riskante Bauausführung - Haftung und Zurechnung“ erschien zuerst in der Fachzeitschrift „baurecht“ (BauR 2017, 159 - 168 (Heft 2)). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.