Die Mindestsatzregelung gem. § 7 HOAI a.F. nach dem EuGH-Urteil vom 18.01.2022 – C-261/20

I. Mit Urt. v. 04.07.2019 (C-377/17) stellte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in einem von der Europäischen Kommission betriebenen Vertragsverletzungsverfahren fest, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Beibehaltung verbindlicher Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1 , Abs. 2 Buchst. g) und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen hat.

Diese Vorschrift führt eine Reihe von Anforderungen auf, die Dienstleistungserbringern nur unter bestimmten Bedingungen auferlegt werden dürfen, darunter verbindliche Preise. Sie können lediglich aufrechterhalten werden, wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sowie nicht diskriminierend sind und die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt, d. h. dasselbe Ziel nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden kann.

Gem. § 7 HOAI in der seit Juli 2013 gültigen Fassung richtet sich das Honorar für Architekten- und Ingenieurleistungen nach der schriftlichen Vereinbarung, die die Vertragsparteien bei Auftragserteilung im Rahmen der festgesetzten Mindest- und Höchstsätze treffen (Abs. 1). Die Mindestsätze können durch schriftliche Vereinbarung in Ausnahmefällen unterschritten werden (Abs. 3). Sofern nicht bei Auftragserteilung etwas anderes schriftlich vereinbart worden ist, wird gemäß Abs. 5 unwiderleglich vermutet, dass die jeweiligen Mindestsätze gemäß Abs. 1 vereinbart sind. Die am 12.12.2006 erlassene und am 28.12.2006 in Kraft getretene Dienstleistungsrichtlinie war bis zum 28.12.2009 in nationales Recht umzusetzen gewesen. Der deutsche Verordnungsgeber hatte auf diese Vorgabe bezüglich des verbindlichen Preisrechts im Zuge der Neufassung der HOAI 2009 nicht durch Abschaffung der Mindest- und Höchstsätze reagiert, sondern durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf innerstaatliche Sachverhalte. Nach § 1 HOAI in der Fassung ab 2009 regelte die Verordnung nur die Berechnung der Entgelte für die Grundleistungen der Architekten und Ingenieure mit Sitz im Inland, soweit die Grundleistungen vom Inland aus erbracht werden. Die Annahme, hierdurch den Anforderungen von Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie Rechnung getragen zu haben, erwies sich als Irrglaube; der EuGH hat sie im Vertragsverletzungsverfahren unter Verweis auf seine gegenteilige Rechtsprechung lapidar verworfen. Die in der Dienstleistungsrichtlinie enthaltenen Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer sind danach auch auf einen Sachverhalt anwendbar, dessen Merkmale nicht über die Grenzen eines einzelnen Mitgliedsstaats hinausweisen.

Hinsichtlich der Mindestsätze hat der EuGH sein Verdikt der Unionsrechtswidrigkeit des Preisrechts letztlich – nur – auf den Gesichtspunkt fehlender Kohärenz und insoweit maßgeblich darauf gestützt, dass die HOAI nicht berufs-, sondern leistungsbezogen ist. Bezüglich der Höchstsätze hat er eine Begründung dafür vermisst, weshalb die von der Kommission als weniger einschneidend vorgeschlagene Maßnahme, Kunden Preisorientierungen für die verschiedenen Leistungskategorien der HOAI zur Verfügung zu stellen, nicht ausreiche, um die verbraucherschützenden Ziele der Preistransparenz sowie der Verhinderung überhöhter Honorare angemessen zu verwirklichen. Ob auch ein Verstoß gegen Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) vorliegt, musste das Gericht hiernach nicht mehr prüfen.

 

II. Zur Anpassung der deutschen Rechtsordnung an diese Vorgaben ist zunächst das Gesetz zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen (ArchLG), das in § 1 die Bundesregierung zum Erlass der HOAI ermächtigt, mit Wirkung zum 19.11.2020 geändert worden und hieran anschließend zum 01.01.2021,auch die HOAI selbst. Darin ist die Inländerbeschränkung ersatzlos entfallen. Die HOAI 2021 – die im Übrigen weiterhin und nicht berufsbezogen ist – erfasst daher auch die Leistungserbringung vom Ausland aus. Außerdem enthält sie zwar noch Honorartafeln als Orientierungswerte (§ 2a Abs. 1 Satz 1 HOAI 2021), aber kein verbindliches Preisrahmenrecht mehr, sondern nur eine unverbindliche Preisorientierung. Gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 HOAI 2021 richtet sich das Honorar für Architekten- und Ingenieurleistungen nach der Vereinbarung, die die Parteien in Textform treffen.

 

III. Gilt danach für Architekten- und Ingenieurverträge, die ab dem 01.01.2021 geschlossen worden sind (§ 57 Abs. 2 HOAI 2021), diese „neue“ HOAI, so bestand darüber, welche Folgerungen sich aus der vom EuGH festgestellten Unionsrechtswidrigkeit des bisherigen Preisrechts ergeben, in der Praxis große Unsicherheit. Im Fokus standen dabei vor allem die sogenannten Aufstockungsklagen, mit denen der Architekt, der mit seinem Auftraggeber eine die Mindestsätze unterschreitende Honorarvereinbarung abgeschlossen hat, unter Geltendmachung der Unwirksamkeit dieser Absprache den Differenzbetrag zu den Mindestsätzen einklagt.

1. Die Streitfrage, ob und inwieweit eine Feststellung der Richtlinienwidrigkeit des bisherigen HOAI-Preisrechts unmittelbare Wirkung für das nationale Recht hat, war schon aufgekommen, während das Vertragsverletzungsverfahren noch beim EuGH anhängig war, namentlich im Zusammenhang mit der Behandlung hierauf gestützter Aussetzungsanträge (§ 148 ZPO ), und sie entbrannte praktisch unmittelbar nach Verkündung des Urteils vom 04.07.2019 vollends. Ein Teil der Oberlandesgerichte hielt das als unionsrechtswidrig erkannte HOAI-Preisrecht auch ohne vorherige Umsetzung des Vertragsverletzungsurteils in staatliches Recht für nicht mehr anwendbar und wies Aufstockungsklagen mangels weiterer Anwendbarkeit des HOAI-Preisrechts ab, dies unter Verweis auf die Bindungswirkung des EuGH-Urteils, den Vorrang des Unionsrechts sowie mit dem Argument, die Dienstleistungsrichtlinie sei inhaltlich den Grundfreiheiten vergleichbar und müsse daher in ihren Wirkungen wie eine solche behandelt werden. Andere Oberlandesgerichte nahmen demgegenüber an, das bisherige Recht gelte in Auseinandersetzungen zwischen Privatparteien bis auf Weiteres fort, dies unter Hinweis darauf, dass sowohl eine horizontale Direktwirkung von Richtlinien unter Privaten als auch die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Interpretation der HOAI-Regelungen ausscheide.

 


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Der vollständige Aufsatz „Die Mindestsatzregelung gem. § 7 HOAI a.F. nach dem EuGH-Urteil vom 18.01.2022 – C-261/20* von Rüdiger Pamp erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2023, 363 - 372, Heft 3). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.