Der Zweck der Aufklärungspflicht bei arglistig verschwiegenen Mängeln der Kaufsache

Für die baurechtliche Praxis endet der rechtliche Horizont nicht beim Werkvertragsrecht. Erhebliche Bedeutung weist auch das Kaufrecht auf. Als seinerseits zentraler Bereich des Kaufrechts verdient damit das dortige Sachmängelhaftungsrecht ebenfalls besondere Aufmerksamkeit, insbesondere im Zusammenhang mit Haftungsausschlüssen. Der BGH geht hier seit einigen Jahren davon aus, dass der Verkäufer sich schon dann nicht mehr auf einen vereinbarten Haftungsausschluss berufen kann, wenn er Mängel arglistig verschweigt. Im Unterschied zum früheren Gewährleistungsrecht sei es für den Eintritt der Rechtsfolge, sich nicht auf den Haftungsausschluss berufen zu können, entbehrlich, dass sich das arglistige Verschweigen der Mängel kausal auf den Kaufentschluss des Käufers auswirke. Ob diese Rechtsauffassung tatsächlich zu überzeugen vermag, erörtert Rechtsanwalt Dr. Hans-Joachim Weingart.

I. Einleitung


§ 444, 1. Alt. BGB versagt dem Verkäufer die Berufung auf einen Haftungsausschluss wegen Mängeln dann, wenn er diese Mängel arglistig verschweigt.

Nach Meinung des für Kaufrecht bei Immobilien zuständigen fünften Zivilsenats des BGH in seiner Entscheidung vom 15.07.2011 ist es bedeutungslos, ob sich der Umstand arglistig verschwiegener Mängel kausal auf den Willensentschluss des Käufers zum Erwerb der Immobilie ausgewirkt hat. Auch wenn die Kausalität fehlt, darf sich der arglistig agierende Verkäufer nicht auf den Haftungsausschluss berufen. Er ist damit den Sachmängelhaftungsansprüchen ausgesetzt.1

Zugleich ist derselbe Senat exakt gegenteilig hierzu in seiner Entscheidung vom 15.06.12 der Auffassung, dass der Verkäufer sich erfolgreich auf den Haftungsausschluss berufen kann, wenn der Käufer Kenntnis der arglistig verschwiegenen Mängel hat. In dieser Entscheidung subsummiert der Bundesgerichtshof bei § 444, 1. Alt. BGB bei genauer Betrachtung das dort im Gesetz selbst nicht ausdrücklich erwähnte Tatbestandsmerkmal der Kausalität. Er selbst meint allerdings, das Tatbestandsmerkmal des arglistigen Verschweigens zu prüfen.

Der BGH äußert in der Entscheidung insoweit, dass bei Kenntnis des Käufers von durch den Verkäufer verschwiegenen Mängeln kein arglistiges Verschweigen vorliege. „Handwerklich“ wird die Wohltat für den Verkäufer, den Sachmängelansprüchen erfolgreich mit dem Haftungsausschluss des § 444, 1. Alt. BGB entgegentreten zu können, also darauf gestützt, es liege bereits kein arglistiges Verschweigen von Mängeln vor, wenn der Käufer diese kennt.2

Dies trifft nicht zu. Denn die Qualifizierung eines Verhaltens als verwerfliches arglistiges Verschweigen kann ersichtlich nicht davon abhängen, ob der Käufer Kenntnis der verschwiegenen Mängel hat. Nur wenn seinerseits der Verkäufer Kenntnis davon hat, dass der Käufer den verschwiegenen aufklärungsbedürftigen Mangel kennt, könnte das Verkäuferverhalten als nicht mehr arglistig bewertet werden.

Wenn der Käufer die arglistig verschwiegenen Mängel kennt – und genau dies dem Verkäufer nicht bekannt ist – und der Käufer gleichwohl den Kaufvertrag abschließt, wird in Wirklichkeit die Kausalität zwischen der arglistigen Täuschung und dem Kaufentschluss geprüft. Prüfungsergebnis ist, dass die Kausalität fehlt. Es wird nicht etwa ein, selbstverständlich beim Verkäufer vorhandenes, vorwerfbares, verwerfliches Verhalten geprüft – dieses liegt durchaus auch bei Kenntnis des Käufers vom Mangel vor.

Im Ergebnis ist damit in der jüngeren Entscheidung vom 15.06.12 die fehlende Kausalität der tragende Grund, dem Verkäufer den Haftungsausschluss zu Gute kommen zu lassen und ihn vor Sachmängelhaftungsansprüchen zu schützen.

Dies leitet zu der grundsätzlichen Fragestellung über, ob hier eine Fehlinterpretation der Regelung über den Haftungsausschluss und eine Wertungswidersprüchlichkeit dieser beiden Leitentscheidungen vorliegt. Denn in beiden Fällen liegt das Tatbestandsmerkmal „arglistiges Verschweigen von Mängeln“ vor. Im einen Fall hält der BGH den Haftungsausschluss nach § 444, 1. Alt. BGB unabhängig von der Kausalität allein wegen des arglistigen Verhaltens für unanwendbar.3  Dagegen hält er ihn in dem anderen Fall für anwendbar4  und stellt hierbei ausschlaggebend auf die fehlende Kausalität – verkörpert in der vorhandenen Mängelkenntnis des Käufers – ab. Dass bei gleichem Sachverhalt und Subsumtion der identischen Vorschrift des § 444, 1. Alt. BGB einmal die Kausalitätsfrage geprüft wird, im anderen Fall nicht und damit einmal als irrelevant qualifiziert wird und das andere Mal die entscheidende Frage sein soll, lässt sich nicht erklären.

Bei einer der Entscheidungen des BGH muss mithin eine unzutreffende Interpretation des § 444, 1. Alt. BGB vorliegen.

Erste Fingerzeige zur zutreffenden Auslegung des § 444, 1. Alt. BGB lassen sich aus dem Wortlaut und der Gesetzessystematik – hier in der Zusammenschau mit dem in Passagen nahezu im Vergleich zu § 444, 1. Alt. BGB wortidentischen § 442 BGB – ableiten.

II. Der Wortlaut des § 444, 1. Alt. BGB und der systematische Zusammenhang mit § 442 BGB


Beide Vorschriften regeln Fragen der Sachmangelhaftung aus zum Teil entgegengesetztem, zum Teil übereinstimmendem Blickwinkel.

Während es sich bei § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB um einen Fall des immer greifenden gesetzlichen Sachmangelhaftungsausschlusses handelt, geht es bei § 444, 1. Alt. BGB – umgekehrt – um die bestehenbleibende Sachmängelhaftung trotz eines vertraglichen Haftungsausschlusses.

Schließlich betrifft, insoweit übereinstimmend mit dem zu untersuchenden § 444, 1. Alt. BGB , § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB das Bestehenbleiben der Sachmängelhaftung im Fall des arglistigen Verschweigens von wesentlichen Mängeln durch den Verkäufer.

Geradezu ins Auge springt, dass mit Ausnahme der Verwendung des Wortes „wenn“ in der einen Regelung (§ 442 Abs. 1 Satz 2 BGB) und des Wortes „soweit“ in der anderen Regelung (§ 444, 1. Alt. BGB ) der Tatbestand bei der Problematik arglistig verschwiegener Mängel identisch bei den beiden zu betrachtenden Vorschriften formuliert ist: „Wenn bzw. soweit der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat“, bleiben dem Käufer die Sachmängelrechte erhalten, auch wenn er die Mängel grob fahrlässig nicht kennt, § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB, bzw. ein Haftungsausschlusses vereinbart ist, § 444, 1. Alt. BGB.

Beiden Vorschriften lässt sich damit der gemeinsame Grundsatz entnehmen, dass der Verkäufer für arglistiges Verschweigen von Mängeln durch das Bestehenbleiben der Sachmängelhaftung „bestraft“ werden soll. Aus unredlichem Verhalten soll der Verkäufer keinen Vorteil ziehen können.5  Das mit Sanktionen belegte unredliche Verhalten ist in beiden Fällen identisch. Ungefragt aufklärungspflichtige wesentliche Mängel, die eine Aufklärungspflicht begründen, müssen verschwiegen worden sein.6

Der Formulierungsunterschied im Gesetzestext zwischen § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB mit „wenn“ im Vergleich zu „soweit“ bei § 444, 1. Alt. BGB ist hierbei rein redaktioneller Natur. Er ist ohne rechtliche Auswirkung und damit für die vorliegende Untersuchung ohne Belang. Das in diesem Zusammenhang nicht stringent gleichlautend formulierte Gesetz will übereinstimmend mit dem „wenn“ bzw. dem „soweit“ folgendem Umstand Rechnung tragen: Arglistiges Verschweigen kommt nur bei wesentlichen verborgenen Mängeln und ausschließlich hier bestehenden Aufklärungspflichten in Betracht. Nun kann es bei arglistig verschwiegenen Mängeln zu einer zugleich bestehenden Sachmängelhaftung für die arglistig verschwiegenen wesentlichen Mängel und einem Sachmängelhaftungsausschluss für unwesentliche, nicht aufklärungspflichtige, Mängel kommen. Dies bringt einmal das (sprachlich zutreffende) „wenn“ und das andere Mal das (sprachlich unzutreffende) „soweit“ zum Ausdruck.

Vom Wortlaut her lässt sich weiterhin bei § 444, 1. Alt. BGB nur konstatieren, dass die Kausalitätsfrage, ob das arglistige Verschweigen sich also auf den Kaufentschluss des Käufers auswirkt, in der Gesetzesformulierung ausgeklammert ist.

Ganz im Gegensatz hierzu nimmt das Kausalitätsthema bei der Regelung in § 442 Abs. 1 BGB breiten Raum ein.

Nach § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB scheidet bei positiver Kenntnis des Käufers die Sachmängelhaftung aus. Dies ist nichts anderes als das Kriterium der objektiv fehlenden Kausalität des arglistigen Verhaltens für den Kaufentschluss als weiteres (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal. Denn wenn Kenntnis von den arglistig verschwiegenen Mängeln beim Käufer vorliegt, kann deren arglistiges Verschweigen schlechterdings nicht kausal für eine dann fehlende Unkenntnis vom Mangel sein. Zugleich liegt dann auch die fehlende Kausalität zwischen dem arglistigen Verschweigen der Mängel und dem Kaufentschluss vor: Der Käufer, der in positiver Mängelkenntnis kauft, trifft diesen Willensentschluss losgelöst und unabhängig vom arglistigen Verschweigen der Mängel.

Auch in § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB  ist die Kausalität Gegenstand der gesetzlichen Regelung und als Tatbestandsmerkmal vorhanden: Im hier ausdrücklich genannten Fall des arglistigen Verschweigens von Mängeln bleibt es bei der Sachmängelhaftung, wenn die betreffenden Mängel bei einem in eigener Sache grobfahrlässig agierenden Käufer unbekannt geblieben sind. In § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB  ist in Umkehrung zu der Regelung im vorausgehenden § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB  nicht die fehlende, sondern die bestehende Kausalität Tatbestandsmerkmal: Objektiv liegt Unkenntnis des Käufers über die arglistig verschwiegenen Mängel vor („infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben“), sodass sich bei Aufklärung über die Mängel statt arglistigem Verschweigen die Kenntnis des Mangels eingestellt hätte. Dies ist nichts anderes als die Kausalität zwischen dem arglistigen Verschweigen und der Unkenntnis. Auch bei § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB  besteht ein Gleichklang zwischen den – in diesem Fall im Unterschied zu § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB  bestehenden und nicht fehlenden – Kausalitäten der Gestalt, dass das arglistige Verschweigen der Mängel über die zunächst erzeugte Unkenntnis vom Mangel beim Käufer auf der weitergehenden Kausalschiene automatisch auch den Kaufentschluss mitverursacht, also auch insoweit kausal ist.

Bei § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB nimmt auch der BGH im Gleichklang mit der soeben angestellten Überlegung und im Unterschied zur Betrachtung bei § 444, 1. Alt. BGB an, dass die Kausalität zwischen dem arglistigen Verschweigen von Mängeln und dem Kaufentschluss ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist. Dies lässt sich mittelbar daraus entnehmen, dass er das subjektive Tatbestandselement der Arglist nur dann bejaht, wenn „der Verkäufer weiß oder damit rechnet, dass der Käufer den Mangel nicht kennt und den Vertrag bei der Aufklärung nicht oder nicht so geschlossen hätte.“7  Eine kausale Auswirkung des arglistigen Verschweigens auf den Kaufentschluss setzt der BGH bei § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB also voraus.

Als Zwischenergebnis ist damit zu konstatieren, dass die Grundregelung über den Sachmängelhaftungsausschluss nach § 442 Abs. 1 Satz 1 BGB ebenso wie die Grundregelung über die Sachmängelbeibehaltung nach § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB  entscheidend im Rahmen der Fallkonstellationen, bei welchen ein arglistiges Verschweigen des Verkäufers in Bezug auf Mängel vorliegt, auf des Kriterium der fehlenden (§ 442 Abs. 1 Satz 1 BGB) oder bestehenden (§ 442 Abs. 1 Satz 2 BGB) Kausalität abstellt und zwar sowohl der Kausalität zwischen dem arglistigen Verschweigen der Mängel und der Mangelunkenntnis als auch dem nur die Folge der Mangelunkenntnis darstellenden Kaufentschluss.

 


 

- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „Der Zweck der Aufklärungspflicht bei arglistig verschwiegenen Mängeln der Kaufsache  erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2020, 829-905 (Heft 6)). Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.