Das Leistungsverweigerungsrecht des Unternehmers bei Nachträgen

Die vorgenannte Norm des § 320 Abs. 1 BGB ist die „klassische“ Ausprägung des Synallagmas bei gegenseitigen Verträgen. Für das Werk- und Bauvertragsrecht ordnet das Gesetz hinsichtlich der Herstellung des Werks hingegen eine Vorleistungspflicht des Unternehmers an.

I. Das Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB

„Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, kann die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist.“

Der Unternehmer hat nach § 632a BGB bzw. § 16 Abs. 1 VOB/B einen Anspruch auf Abschlagszahlungen gegen den Besteller, bemessen nach dem Wert der von ihm erbrachten und nach dem Vertrag geschuldeten Leistung.

Hat der Unternehmer die Vorleistung – rechtlich handelt es sich um eine Teilleistung i.S.v. § 266 BGB, also eine gemessen am Vertragsinhalt irgendwie unvollständige Leistung – erbracht, endet seine Vorleistungspflicht.
Nun muss der Besteller bezahlen, andernfalls kann der Unternehmer „die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern“. 

Die Forderung, auf die der Unternehmer die Einrede des § 320 BGB stützt – hier der Anspruch auf Abschlagszahlung – muss wirksam und fällig und die Gegenleistung noch nicht bewirkt worden sein. Ein Verzug des Bestellers ist nicht erforderlich, insbesondere kommt es auf sein Verschulden für die ausbleibende Zahlung nicht an.

II. Einwendungen des Bestellers

Der Unternehmer trägt bei Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts stets das Risiko, dass sich die Arbeitseinstellung als unberechtigt erweist, etwa weil

  • der abgerechnete Leistungsstand nicht den Tatsachen entspricht, also zu viel abgerechnet wurde,
  • dem Besteller seinerseits ein Leistungsverweigerungsrecht hinsichtlich der Bezahlung aufgrund von Mängeln nach § 641 Abs. 3 BGB zusteht oder
  • die vom Besteller verweigerte Vergütung verhältnismäßig geringfügig i.S.d. § 320 Abs. 2 BGB ist.

Überdies ist auch die eigene Vertragstreue des Unternehmers (sog. tu-quoque-Einwand) erforderlich, woran es z.B. fehlt, wenn der Unternehmer eine endgültige Vertragsliquidierung herbeiführen will.

Teilweise wird im VOB/B-Vertrag – anders als im BGB-Vertrag – auch eine Nachfrist oder Ankündigung als erforderlich erachtet. Dies zu Unrecht, dazu noch nachfolgend.

1. Geringfügigkeit i.S.d. § 320 Abs. 2 BGB

Das Leistungsverweigerungsrecht des § 320 BGB wird durch § 320 Abs. 2 BGB dahingehend eingeschränkt, dass ein lediglich geringfügiger fehlender Teil der Gegenleistung (hier: Vergütung) nicht zur Leistungsverweigerung berechtigen soll.
Der Schuldner darf nach einer Teilleistung des Gläubigers die Gegenleistung insoweit nicht verweigern, als dies nach den Umständen, insbesondere wegen der verhältnismäßigen Geringfügigkeit des rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoße. § 320 Abs. 2 BGB regelt damit einen Sonderfall des Ausschlusses des Leistungsverweigerungsrechts nach Treu und Glauben.

Die Gerichte haben bei der Beurteilung, ob und inwieweit die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechtes bei Teilleistungen berechtigt ist, einen weiten Beurteilungsspielraum. Es handelt sich stets um eine Einzelfallentscheidung. Aus Sicht des Unternehmers stellt sich die Frage, wann er „sicher“ davon ausgehen kann, dass die ausstehende Vergütung, der „rückständige Teil“, als verhältnismäßig geringfügig anzusehen ist.

  • OLG Saarbrücken: Kürzung einer Abschlagsrechnung um 1,5 % = geringfügig
  • OLG Brandenburg, Nachtragsvergütung, die 4 % der Nettoauftragssumme entspricht, nicht geringfügig

Kommt es auf das Verhältnis zur insgesamt geschuldeten Vergütung (Auftragssumme) oder auf das Verhältnis zur abgerechneten, offenen Vergütung (alle offenen Abschlagsrechnungen, ggf. auch nur die aktuelle) an? In der Rechtsprechung wird das nicht klar herausgearbeitet und es wurde bereits auf beides abgestellt.
Tatsächlich dürften die Gerichte auch insoweit einen Beurteilungsspielraum haben.

In der Literatur wird eine Zumutbarkeitsgrenze von 2–5 % der Nettoauftragssumme bejaht; Leinemann hebt dabei auf den Gewinn von 5 % als maximale Obergrenze der Geringfügigkeit ab. Als Faustregel dürfte in der Tat bei Überschreitung dieser Grenzen § 320 Abs. 2 BGB nicht greifen. Indes ist hervorzuheben: die Grenze der Geringfügigkeit kann nach den Umständen des Einzelfalls auch deutlich niedriger liegen.

Es geht darum, ob im Rahmen einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung die ausstehende Zahlung insgesamt, d.h. unter Berücksichtigung aller Umstände, als unverhältnismäßig zu betrachten ist.

So ist kaum vorstellbar, dass bei einem Bauprojekt über 100 Mio. €, dass ggf. auch über mehrere Jahre mit einer jährlichen Bausumme in zweistelliger Millionenhöhe hinweg läuft, ein Zahlungsrückstand von 1 Million € geringfügig wäre, obwohl dies nur ein Prozent der Auftragssumme ausmacht.

Es kann also – ähnlich zur Rechtsprechung zu Mehrkosten beim Pauschalpreisvertrag und § 313 BGB – bei sehr hohen bzw. sehr niedrigen Auftragsvolumina Abweichungen von den vorgenannten Beträgen geboten sein; insbesondere dürfte stets auch der absolute Betrag selbst eine Rolle spielen.

Die verhältnismäßige Geringfügigkeit der ausstehenden Vergütung ist nämlich sowieso nur einer von mehreren Aspekten, der für das Leistungsverweigerungsrecht ausschlaggebend sein kann.

Ebenso maßgeblich sein kann das Durchsetzungsinteresse des Unternehmers an der offenen Vergütung, die Schwere des vertragswidrigen Verhaltens des anderen Teils, die Dauer der Rückstände, die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Parteien, vergebliche Mahnungen des Unternehmers betreffend die offene Forderung und etwaige Sicherheitsleistungen hinsichtlich der noch offenen Vergütung sowie unter Berücksichtigung des Kooperationsprinzips auch das wechselseitige Verhalten der Vertragspartner.

Keine Rolle dürfte spielen, wie viele andere Gewerke von der Fortsetzung der Leistungserbringung abhängig sind. Denn dies ist kein Umstand, der in Zusammenhang zur rückständigen Vergütung steht. Ebenso wenig dürfte die Größe des Unternehmers relevant sein, da sie keinen Auftragsbezug hat.

2. Nicht erreichter Leistungsstand

Abschlagszahlungen sind von der tatsächlich erbrachten Leistung abhängig. Sie dürfen weder höher noch niedriger sein als der vertragsmäßig vereinbarte Wert der nachgewiesenen Leistung, der sich nach der anteiligen Vergütung für die erbrachte Leistung berechnet. Für unfertige und damit nicht ausgeführte (Teil-) Leistungen kann der Unternehmer mangels „Wertes“ keine Abschlagszahlung beanspruchen.

Insoweit kann der Besteller gegenüber einer Leistungsverweigerung natürlich einwenden, dass der abgerechnete Leistungsstand zu hoch ist. Der Unternehmer kann hier also ein „böses Erwachen“ haben, wenn er, z.B. unter Berücksichtigung von vermeintlichen Nachtragsleistungen die Leistung einstellt, sich dann aber herausstellt, dass der angenommene Leistungsstand gar nicht zutrifft, z.B. weil „Schätzaufmaße“ vorgelegt wurden oder Nachträge unberechtigt sind und deshalb von einer Geringfügigkeit i.S.v. § 320 Abs. 2 BGB auszugehen ist.

 


- Ende des Auszugs -

Der vollständige Aufsatz „Das Leistungsverweigerungsrecht des Unternehmers bei Nachträgen" von Sebastian Eufinger und Dr. Maximilian R. Jahn erschien zuerst in der Fachzeitschrift „Baurecht“ (BauR 2024, 1263 - 1278, Heft 9)Sie können den Beitrag hier online betrachten und herunterladen.