Der Winter ist auf dem Rückzug, Verkehrssicherungspflichten auf der Baustelle bleiben jedoch weiterhin wichtig. „Denn eine Verkehrssicherungspflicht ist immer dann angezeigt, wenn eine Gefahrenquelle eröffnet wird,“ sagt Kathrin Heerdt, Mitglied im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht (ARGE Baurecht). „Das ist auf einer Baustelle praktisch immer der Fall, und zwar unabhängig von der Jahreszeit“, betont die Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht.
Baugruben oder Dächer gegen Absturz sichern, Baumaschinen gegen versehentlichen Betrieb sichern oder die Baustelle Kinder unzugänglich einrichten – Verkehrssicherungspflichten sind vielfältig. Der Umfang der zu beachtenden Pflichten kann je nach Baustelle stark variieren. „Pauschal lässt sich nicht sagen, was konkret in welchem Fall erforderlich ist“, so Heerdt. „ Aber immer geht es darum, Menschen vor Schaden zu bewahren“.
Gesetzliche Grundlage dafür sind vor allem die Baustellenverordnung (BaustellenVO), die Regeln zum Arbeitsschutz auf der Baustelle (RAB) sowie die Arbeitsschutzgesetze, Unfallverhütungs- und DIN-Vorschriften. Die hieraus resultierenden Pflichten zielen ausschließlich darauf ab, die Verwirklichung von Gefahren zu verhindern, die bei einer gewöhnlichen Benutzung der Baustelle durch befugte Personen entstehen.
Einen Sonderfall stellen dabei jedoch Kinder dar, die aufgrund ihres geringen Gefahrenbewusstseins und ihrer Neugier ebenfalls zu schützen sind, auch wenn sie als unbefugte Personen gelten. Es ist somit dringend notwendig, dass sich alle Akteure auf der Baustelle mit den genannten Rechtsgrundlagen vertraut machen und die eigene Arbeit auf Einhaltung der daraus resultierenden Pflichten kritisch prüfen. „Einfach ausgedrückt: Verantwortliche müssen alles dafür tun, dass auf ihrer Baustelle niemand in ein Loch fällt oder anderweitig zu Schaden kommen kann, ob nun befugt oder unbefugt“, so Heerdt.
Achtung: Sekundäre Verkehrssicherungspflicht
Die Verkehrssicherungspflichten auf dem Bau treffen zunächst den Bauherren, da er als Initiator der Bauarbeiten, die Gefahr schafft (BGH VI ZR 21/73, BGH II ZR 91/91). Beauftragt er jedoch einen Bauunternehmer, so geht diese Pflicht auf diesen über, da er die Verfügungsgewalt über die Einrichtung der Baustelle und den Ablauf der Arbeiten auf ihr erlangt (BGH VI ZR 47/13, BGH VII 278/75). Beim Bauherrn verbleibt eine so genannte sekundäre Verkehrssicherungspflicht, die ihn zur Kontrolle und Überwachung des Bauunternehmers anhält. Gefahren, die er erkennt oder erkennen müsste, hat er durch geeignete Maßnahmen selbst abzuwenden, wenn der Bauunternehmer augenscheinlich nicht tätig werden will oder kann.
Eine vergleichbare sekundäre Verkehrssicherungspflicht trifft auch einen baubegleitend tätigen Architekten zu, der bei seinen Kontroll- und Überwachungsaufgaben auf Pflichtverletzungen des Bauunternehmers zu achten hat und bei fehlender Sachkunde oder unzureichenden Kapazitäten des Unternehmers eigenverantwortlich Maßnahmen zur Gefahrenabwehr treffen muss. Primär einstandspflichtig wird der Architekt zudem, wenn ihm Planungs- oder Überwachungsfehler vorzuwerfen sind, durch die sich eine Gefahr verwirklicht.
Koordinator für Sicherheit und Gesundheit
Bauherren sind neben der genannten sekundären Verkehrssicherungspflicht nach § 2 BaustellenVO überdies verpflichtet, einen Koordinator für Sicherheit und Gesundheit zu benennen. Dieser SiGeKo ist für alle Sicherheitsaspekte bei der Zusammenarbeit parallel tätiger Bauunternehmen zuständig. Den vom Bauherrn benannten SiGeKo treffen eigene Pflichten im Rahmen der Verkehrssicherung in der Planungs- und Ausführungsphase, die in § 3 Abs. 2 und 3 BaustellenVO umschrieben werden. Zur Einhaltung dieser Pflichten ist er primär verpflichtet. Der SiGeKo hat nach herrschender Meinung kein Weisungsrecht gegenüber Bauunternehmern oder Bauherren. Von einer etwaigen Haftung kann er sich jedoch befreien, indem er die notwendigen Hinweise erteilt und zumutbare Maßnahmen zur Durchsetzung seiner Pflichten trifft. „Der SiGeKo muss seine individuellen Pflichten auf der Baustelle genau kennen“, unterstreicht Heerdt. „Und er muss sicherstellen, dass die auf der Baustelle befindlichen Personen seine Hinweise wahrnehmen und verstehen. Wenn jemand nicht auf ihn hört und zu Schaden kommt, ist er dann rechtlich nicht angreifbar“.