Herr Pamp, wollten Sie schon immer Vorsitzender Richter am BGH werden?
Einmal abgesehen davon, dass das praktisch unmöglich ist, wäre es ein durchaus größenwahnsinniges Ziel gewesen (lacht). Nein, im Ernst: Ich wollte in der Tat schon immer Jura machen und Richter werden, das war mir seit der Rechtskunde-AG in der Oberstufe praktisch klar. Die wurde von einem pensionierten Richter geleitet, der mit uns oft zu Gericht gegangen ist. Das hat mich nachhaltig inspiriert, für ein Jura-Studium und die Richterlaufbahn. Im Referendariat kam ich dann an die Kammer für Handelssachen am Landgericht Bonn. Nach den sechs Monaten war für mich klar, dass ich Vorsitzender Richter an der KfH werden will, was ich im Ergebnis jedoch nie war. Dass daraus ein Vorsitz am BGH werden würde, habe ich seinerzeit natürlich nicht geahnt.
Kann man eine BGH-Karriere planen?
Nein, sicher nicht. Aber man kann möglicherweise etwas dafür tun. Sie werden als Richter am BGH von einem Richterwahlausschuss gewählt, der aus den Justizministerinnen und -ministern der 16 Bundesländer sowie 16 Mitgliedern des deutschen Bundestages besteht. Wenn Sie an den BGH wollen, müssen Sie von diesem Kreis wahrgenommen werden. Es muss jemanden geben, der auf sie aufmerksam wird und für den BGH ins Gespräch bringt. Bei mir war das zunächst mein Landgerichtspräsident in Bonn, der damals halb im Spaß sagte, meine Voten seien mehr als zehn Seiten lang, ich müsse zum BGH (lacht). Das war durchaus ernst gemeint und so kam ich zum BGH – seinerzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Ich hatte es damals weder darauf angelegt noch überhaupt erwartet, gefragt zu werden, fand es aber selbstredend ehrenvoll und herausfordernd. Es folgten weitere Stationen als Richter an Instanzgerichten und schließlich die Berufung nach Karlsruhe. Sicher hat aber die frühere Mitarbeitertätigkeit dazu beigetragen, später von wieder anderen, z. B. meinem OLG-Präsidenten, als jemand betrachtet zu werden, den man für den BGH in den Blick nehmen und dem Justizministerium vorschlagen könne. Ob und wann das wirklich klappt, hängt freilich von weiteren Faktoren ab, zu denen nicht zuletzt auch das Glück gehört.
Hand aufs Herz: Hadern Sie mit Ihren richterlichen Entscheidungen?
Als junger Richter am Amtsgericht hat mir einmal ein Rechtsanwalt gesagt, meine Entscheidung sei das allerletzte. Das hat mich seinerzeit sehr getroffen. Ich kann heute nicht mehr sagen, ob an dem Vorwurf etwas dran war, weiß aber noch genau, wie sehr mich dieser Kommentar beschäftigt hat. Inzwischen würde ich mit solchen Kommentaren natürlich anders umgehen. Allerdings muss ich sagen, auch wenn das arrogant klingen mag: Ich kann mich, soweit mein Erinnerungsvermögen zurück reicht, nicht an eine Entscheidung erinnern, die ich als ‚falsch‘ bezeichnen würde. Selbstverständlich werden gerade BGH-Entscheidungen in der Fachwelt zu Recht intensiv und auch kontrovers erörtert. Über Zustimmung freut man sich natürlich, aber gerade Kritik muss immer zu denken geben. Neulich habe ich mir aufgrund kritischer Anmerkungen ein schon ein Weilchen zurückliegendes Senatsurteil, an dem ich beteiligt war, angeschaut, da dachte ich schon, dass man die Begründung in Einzelpunkten anders hätte gestalten können. Das würde ich nicht ‚hadern‘ nennen, sondern eher ‚beschäftigen‘ – und das muss aus meiner Sicht auch so sein.
Im ersten Teil unseres Sommergesprächs mit Rüdiger Pamp spricht der Vorsitzende Richter am BGH über die Lesart von BGH-Urteilen, spektakuläre Entscheidungen, gute Schriftsätze und weitere Aspekte seiner Arbeit an Deutschlands höchstem Gericht.
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Seit 2018 beschäftigen Sie sich als Vorsitzender des VII. Zivilsenats eingehend mit Baurecht. Wie geht es Ihnen damit?
Mir geht es sehr gut damit. Ich hatte mich seinerzeit auf den Vorsitz des VII. Zivilsenats beworben. Nachdem ich mich acht Jahre als Mitglied des XI. Senats mit Bank- und Kapitalmarktrecht beschäftigen durfte, habe ich mich auf neue Aufgaben und Rechtsgebiete gefreut. Rückblickend kann ich sagen, dass mir das viel stärker in der Mitte des Zivilrechts verortete Baurecht sehr gut gefällt.
Die Juristerei war bei Ihnen schon früh gesetzt. Gab es noch andere Optionen?
Nein, ich wollte nie Maler, Bildhauer oder Betriebswirt werden (lacht). Seit der zehnten Klasse war klar, dass ich Jura machen will. Ich hätte mir aber auch gut vorstellen können, an der Uni zu bleiben. Rechtsgeschichte hat mich sehr interessiert, ich war Mitarbeiter an einem Uni-Institut und hatte bereits ein Promotionsthema. Dann kam meine Referendarzeit dazwischen, die mir einfach zu gut gefallen hat. Dem bin ich gefolgt und die Dinge nahmen ihren – in meinem Falle glücklichen – Lauf.
In der Sommerausgabe des katzenkönig, einer Zeitschrift für den Jura-Nachwuchs, beschreiben Sie, dass Richter:innen teamfähig sein sollten. Inwiefern?
Es gibt sicher ganz viele gute Einzelrichterentscheidungen und etliche weniger gute Kammer- oder Senatsurteile. Gleichwohl bin ich davon überzeugt, dass Gremiumsentscheidungen eine höhere Richtigkeitsgewähr haben. Ich war schon immer ein großer Fan des Kammerprinzips, durch das ich als junger Richter geprägt wurde. Allein durch die Beteiligung mehrerer Personen und entsprechend vieler Betrachtungen, Erwägungen und Meinungen entstehen durchdachte und ausgereifte Urteile. Darum ist für mich das Richteramt ein Team-Beruf.
Welche weiteren „soft skills“ sollten Richter:innen mitbringen?
Sie sollten als Richterin oder Richter nicht aus dem Augen verlieren, warum sie diesen Beruf ausüben. Es geht nicht darum, Macht auszuüben oder anderen zu sagen, wo es langgeht, also Selbstverwirklichung auf Kosten Ihrer Mitmenschen zu betreiben, sondern vielmehr darum, die anvertraute öffentliche Aufgabe mit einer gewissen Demut anzunehmen. Zudem sollten sie auch gut zuhören und sich selbst auch mal zurücknehmen können. Der VII. Senat ist mit neun Personen besetzt, da müssen sie sich auch einmal zurücklehnen, Diskussionen zulassen und nicht um jeden Preis versuchen, ihre eigene Position durchzudrücken. Als (BGH-)Richter:in müssen sie auch konfliktfähig sein und auch mal Urteile schreiben, die gegen die eigene Überzeugung stehen.
Kennen BGH-Richter:innen eine Work-Life-Balance?
Ja, grundsätzlich schon, aber ein ‚nine to five‘ geht sicher anders (lacht). Nein, im Ernst: Ich achte schon auf mich, gleichzeitig gibt es von Montag bis Sonntag kaum einen Tag, an dem ich nicht am Schreibtisch sitze. Ich habe das Glück, mit einer Anwaltstochter verheiratet zu sein, die das von Haus aus kennt und viel Verständnis dafür hat.
Sie haben zwei erwachsene Töchter. Was würden Sie sagen, wenn diese eine Karriere als (Baurechts-)Anwältinnen anstreben würden?
Ich würde sie auf jeden Fall nach Kräften unterstützen, wenn ich den Eindruck habe, dass sie das Richtige gefunden haben. Eine meiner beiden Töchter studiert tatsächlich Jura, ist gerade im Anwaltspraktikum in Bonn. Natürlich stehe ich an ihrer Seite, wenn ich helfen kann. Wenn sie später einmal ihren Weg ins Baurecht findet, würde ich mich freuen – sofern es genau das ist, was sie machen will. Das ist aus meiner Sicht das Wichtigste: Man muss es wollen und Freude daran haben.
Herr Pamp, vielen Dank für das Gespräch!
Rüdiger Pamp ist Vorsitzender Richter am BGH. Seine Karriere am höchsten Gericht Deutschlands begann bereits 1998 als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Nach weiteren Stationen an Instanzgerichten folgte 2010 der Ruf nach Karlsruhe. Als Bundesrichter im XI. Zivilsenat beschäftigte er sich eingehend mit dem Bank- und Kapitalmarktrecht. Dann wurde die Position des Vorsitzenden Richters des VII. Senats vakant. Pamp bewarb sich und wurde 2018 berufen. Seitdem steht unter anderem das Baurecht im Mittelpunkt seiner richterlichen Arbeit.